Vor einer Woche, am 29. Januar 2020, gedachte der Deutsche Bundestag in einer feierlichen Stunde der Opfer des Holocaust. Anlass war die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren. In einer eindringlichen Rede rief Israels Präsident Rivlin in Berlin die Deutschen dazu auf, niemals zu vergessen. Und hartnäckig gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass zu kämpfen. Die Deutschen und ihre Parteien, so Rivlin, hätten eine besondere Pflicht gegenüber freiheitlichen, demokratischen Werten, eine besondere Verantwortung, geschichtsbewusst zu handeln. "Deutschland darf nicht versagen", waren seine Worte.
Und auf den Tag eine Woche später dann das: Mit Hilfe der Stimmen der rechtspopulistischen AfD wird ein Liberaler im Bundesland Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt. Eine Wahl, die Deutschland erschüttert. Eine Wahl, die mehr ist als der Beleg, dass die Landespolitiker von CDU und FDP, die diese Wahl trafen, ihre historische Verantwortung nicht verstanden haben. Eine Wahl, welche die demokratischen Parteien vor eine Zerreißprobe stellt, an deren Ende sogar Neuwahlen zum Bundestag stehen könnten.
Sind die Verlockungen der Macht stärker?
Denn in den kommenden Wochen muss sich zeigen, ob die Worte der deutschen Spitzenpolitiker, niemals Mehrheiten mit der Unterstützung der AfD zu suchen, wirklich Stand halten. Oder ob am Ende die Verlockungen der Macht nicht doch stärker sind.
Zwar hatte die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, ihrem Landesverband Thüringen die klare Ansage gemacht, auf keinen Fall ein Bündnis mit der AfD einzugehen. Aber was bedeutet ihre offensichtliche Schwäche? Was wird die deutsche Bundeskanzlerin tun, wenn Mandatsträger ihrer Partei ausgerechnet mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke den Schulterschluss suchen, der die Deutschen für verrückt erklärt hat, da sie in die Hauptstadt ein "Denkmal der Schande gepflanzt" hätten? Und was wird die SPD tun, die in einer Koalition mit der CDU die Bundesrepublik regiert?
Geschichtsvergessene Deutsche
Dieser denkwürdige Tag muss Deutschland bis ins Mark erschüttern. Und die demokratischen Kräfte müssen nun zeigen, wie fest sie stehen. Was sie bereit sind zu riskieren, um zu verhindern, dass aus diesem bisher einmaligen Vorgang eine neue Normalität wird. Vor wenigen Tagen hat Bundespräsident Steinmeier in der Gedenkstätte Yad Vashem gesagt, der "Nationalsozialismus ist nicht vom Himmel gefallen".
An diesem Tag Anfang Februar in Deutschland wurde klar, wie geschichtsvergessen viele Deutsche inzwischen sind. Und dass die Worte "Deutschland darf nicht versagen" von Reuven Rivlin uns alle angehen. Und dass niemand mehr glauben darf, dass sich Geschichte nie wiederholen kann.