Terrorangst statt Freundschaftsspiel
17. November 2015Es sollte ein Fußballspiel als "Symbol für Freiheit und Demokratie" werden, doch der Sport musste sich dem Terror beugen: Vier Tage nach den Anschlägen von Paris ist das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande knapp anderthalb Stunden vor dem geplanten Anpfiff aus Sicherheitsgründen wegen einer "konkreten Gefährdungslage" abgesagt worden.
DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball äußerte "großen Respekt" vor der Entscheidung: "Der Schutz der Menschen muss höchste Priorität haben." Er erklärte aber, es sei "ein trauriger Tag für Deutschland und den deutschen Fußball". Sein Eindruck sei, dass "der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in vielen Facetten eine andere Wende bekommen hat".
Polizeipräsident Volker Kluwe war der einzige hochrangige Vertreter, der zu den Vorfällen konkrete Angaben machte, während etwa Bundesinnenminister Thomas de Maiziere in einer eilig einberufenen Pressekonferenz aus Sicherheitsgründen keine Details nannte. Kluwe erklärte im NDR, dass es "einen konkreten Hinweis" auf einen Sprengstoffanschlag gegeben habe. "Wir nehmen den Hinweis sehr, sehr ernst. Deshalb hat diese Maßnahme gegriffen, die uns nicht leicht gefallen ist, aber konsequent war." Kluwe sprach von einer "konkreten Gefahrenlage für ganz Hannover".
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bestätigte, dass ein ausländischer Geheimdienst die Landesregierung über ein mögliches Attentat informiert habe. Am Dienstagmittag sei der Hinweis eingegangen, dass "innerhalb der nächsten 48 Stunden ein Anschlag auf ein Sportereignis in Deutschland stattfinden sollte oder könnte", erklärte der CSU-Politiker im Bayerischen Fernsehen. "Aber mich hat die Absage auch überrascht", fügte Herrmann hinzu.
"Austragung nicht zu verantworten"
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius erklärte, es habe "keinerlei Platz für Fehlinformationen oder unterschiedliche Interpretationen" gegeben: "Eine Austragung des Spieles wäre nicht zu verantworten gewesen." Es sei aber noch kein Sprengstoff gefunden und niemand verhaftet worden, erklärte Pistorius gegen 21.30 Uhr. Gerüchte, es sei ein mit Sprengstoff beladener Rettungswagen vor dem Stadion gefunden worden, könne er nicht bestätigen.
Bundesinnenminister de Maiziere nannte auf der Pressekonferenz im niedersächsischen Innenministerium keine Details, "weil diese unsere Bevölkerung verunsichern und unser Handeln erschweren würden und nicht der nationalen Sicherheit dienen". Er stellte aber klar: "Wir hatten gute und bittere Gründe. Die Hinweise haben sich im Laufe des frühen Abends so verdichtet, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes und ich nach Abwägung der Vor- und Nachteile aus Gründen des Schutzes der Bevölkerung dringend empfohlen haben, dieses Länderspiel abzusagen."
Höchste Sicherheitsstufe
Nach den Vorfällen von Paris galt für die Begegnung gegen den WM-Dritten aus den Niederlanden in Hannover die höchste Sicherheitsstufe. Unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere hochrangige Politiker hatten ihr Kommen angekündigt. Einige von ihnen waren zum Zeitpunkt der Absage bereits im Stadion und wurden wieder herausgeführt. Merkel reiste umgehend zurück nach Berlin. Die deutsche Mannschaft war noch im Bus auf der Fahrt in die Arena, etwa fünf Kilometer vor dem Ziel, bevor sie an einen sicheren Ort geleitet wurde. Der Bus mit den Niederländern fuhr direkt zum Flughafen und reiste zurück in die Heimat.
Schon eine Stunde vor der Absage hatte die Polizei wegen des Fundes eines verdächtigen Gegenstandes einen Bereich vor dem Stadion abgesperrt. Nach eingehender Kontrolle wurde da aber noch Entwarnung gegeben: "Der verdächtige Gegenstand an der Robert-Enke-Straße hat sich als ungefährlich herausgestellt", teilte die Polizei Hannover zu diesem Zeitpunkt mit.
Problemlose Evakuierung
Die Zuschauer wurden nach der Absage gebeten, das Stadion ruhig, aber zügig zu verlassen. Rund ums Stadion bestimmten Blaulicht und Sirenen die Szene. Größtenteils verlief die Evakuierung zügig und ruhig. Im Umkreis des Stadions wurden alle Autos kontrolliert, es bildeten sich kilometerlange Staus, der Verkehr kam teilweise zum Erliegen. Zudem wurden einige U-Bahn-Stationen gesperrt.
Nach den Terroranschlägen von Paris vor vier Tagen, die die Nationalmannschaft durch das zeitgleiche Spiel gegen Frankreich aus nächster Nähe erlebt hatte, war bereits im Vorfeld die Absage des Spiels diskutiert worden. Der DFB hatte sich gemeinsam mit den Niederländern aber entschieden, zu spielen. Das Spiel sollte eine "klare Botschaft und ein klares Symbol für die Freiheit und für die Demokratie" sein, hatte Bundestrainer Joachim Löw erklärt.