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Noch nicht bereit für Fußball

Sarah Wiertz16. November 2015

Auf unzähligen Pressekonferenzen hat Bundestrainer Löw bereits Rede und Antwort gestanden. Doch diese ist anders. Nur drei Tage nach der Tragödie in Paris will er eigentlich noch nicht auf den Rasen. Doch er muss.

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Deutschland PK Joachim Löw zu Freundschaftsspiel Niederlande
Bild: Getty Images/Bongarts/M. Rose

Von mehreren Polizeiwagen eskortiert kommt der schwarze Wagen mit Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Manager Oliver Bierhoff auf dem Rittergut Barsinghausen westlich von Hannover an - 45 Minuten später als geplant. Löw wirkt mitgenommen. Die innere Anspannung des Bundestrainers ist im Saal zu spüren. Sein schwarzer Pullover scheint das äußerliche Zeichen seines Gemütszustandes zu sein. Dann beginnt er die Pressekonferenz, seine erste nach den Anschlägen in Paris am Freitag, mit einem privaten Statement. Seine Stimme ist gedämpfter als sonst, er blickt ernst umher.

"Es geht mir den Umständen entsprechend ganz gut", sagt er und beschreibt die Nacht im Stade de France im Rückblick als "schreckliche, entsetzliche und für uns alle schockierende Nacht, in der ich Angst, Nervosität und Unsicherheit gespürt habe." Auch für ihn begann sie mit "zwei lauten Knallen" in der Anfangsphase des Testspiels gegen Frankreich. Als er nach dem Abpfiff mit seinen Spielern, den Betreuern und DFB-Verantwortlichen in den Katakomben des Stadions ausharren musste und von den stetig steigenden Opferzahlen hörte, hatte er Zeit zum Nachdenken: "Mir kam immer wieder der Gedanke, ob dieses Spiel gegen Holland stattfinden kann. Ich habe mich gefragt: Gibt es nichts Wichtigeres als den Fußball?"

Zeichen und Symbolik

Eine rhetorische Frage. Die einen aber über die Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), das Freundschaftsspiel gegen die Niederlange morgen (20:45 Uhr MEZ, ab 20:30 Uhr im DW-Livestream) wie geplant stattfinden zu lassen, noch einmal nachdenken lässt. Ein "Zeichen setzten und gesellschaftliche Verantwortung" übernehmen, sagt Teammanager Bierhoff gleich mehrmals. Und Löw spricht von einem "Symbol der Freiheit und Demokratie". Zwei Tage zuvor hatte sich bereits DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball für das Spiel ausgesprochen, "um dem Terror nicht zu weichen".

Aber hätte der DFB nicht auch anders ein Zeichen setzten können? Indem er seine Spieler noch einmal nach Paris schickt, um vor Ort Blumen niederzulegen? Oder als Team nach London zu reisen, wo die französische Nationalmannschaft morgen im Testspiel auf England trifft, um die Solidarität zu bekräftigen? Oder statt des Länderspiels in Hannover ein Training mit Flüchtlingen und Flüchtlingshelfer auszurichten?

Deutschland - Strenge Sicherheitsvorkehrungen Joachim Löw
Löw: Auf Schritt und Tritt von der Polizei verfolgtBild: picture-alliance/dpa

Über das Spiel spricht Löw nicht

Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht. Aber es ist Löw anzumerken, dass er die Entscheidung fragwürdig findet. Am Samstagmorgen, als das Team heil in Frankfurt angekommen war, hatte er "das Gefühl, dass dieses Spiel nicht stattfinden kann und soll". DFB- und Mannschaftsführung beschlossen jedoch, eine Nacht über die Ereignisse zu schlafen und dann neu zu beraten. Und Löw habe danach in seiner Funktion und Vorbildrolle erkannt, was der neben ihm sitzende Bierhoff auf der Pressekonferenz ausspricht: "Man muss funktionieren, hat die Ratio eingeschaltet." Zudem hofft der Ex-Nationalspieler Bierhoff, dass die Partie "den Spielern hilft, ihre Anspannung ein wenig zu lösen, indem sie ein wenig Normalität spüren".

Dem Weltmeister-Trainer Löw aber fällt es sichtlich schwer, sein Team nun auf das Spiel gegen die Niederlande vorbereiten zu müssen. Eine Einschätzung der niederländischen Mannschaft will Löw deswegen an diesem Tag nicht vornehmen, über die mögliche Aufstellung spricht er nicht. Stattdessen sagt er: "Das Sportliche tritt in den Hintergrund. Auch morgen werden unsere Gedanken bei Opfern, den Angehörigen und Familien sein."

Appell an Spieler und Zuschauer

Ähnlich wie 2009 beim 2:2 gegen die Elfenbeinküste wenige Tage nach dem Suizid von Nationaltorhüter Robert Enke wird auch Löws 128. Länderspiel als Nationalcoach eine Partie sein, in dem es um Vieles geht, aber nicht um Sieg oder Niederlage, um Tore, Taktik und Applaus. "Ich erwarte nicht La-Ola-Wellen. Partystimmung ist nicht angebracht", macht Löw deutlich. Der Bundestrainer appelliert an seine Spieler ebenso wie an die Zuschauer.

"Ich wünsche mir sehr, dass die viel zitierte sportliche Rivalität, die es zwischen Deutschland und Holland gibt, zuerst mal in den Hintergrund rückt. Wenn wir dieses Spiel so verstehen, dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen." Ein kurzes Nicken in die Runde. Danach geht Löw zusammen mit Manger Bierhoff wortlos aus dem Raum. In ihrem schwarzen Wagen, umringt von Polizeiautos, verlassen sie das Anwesen.