Hochkarätiger Test wird zum Randaspekt
16. November 2015Es wird ein Spagat. Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Dienstag in Hannover ihr Testländerspiel gegen die Niederlande bestreitet (20:45 Uhr MEZ, ab 20:30 Uhr im DW-Livestream), stehen der Fußball und das Sportliche eindeutig nicht im Vordergrund. Zu frisch und zu einprägsam sind die Erinnerungen an die Terroranschläge von Paris und die Nacht, die die Mannschaft gemeinsam mit dem französischen Team in den Katakomben des Stade de France verbracht hat. "Man wird es nicht schaffen, zur Tagesordnung überzugehen", vermutete Bundestrainer Joachim Löw, bei der Pressekonferenz vor dem Jahresabschluss gegen die Niederlande, bei der der Sport, sowie Fragen zum Gegner oder der deutschen Aufstellung ebenfalls nur ein Randaspekt waren.
Die Frage eines niederländischen Journalisten nach Löws Eindrücken zum Oranje-Team wollte Löw am liebsten gar nicht beantworten. "Zur Lage der holländischen Nationalmannschaft möchte ich eigentlich keine Stellung nehmen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Das müssen Holländer alleine analysieren", sagte Löw darauf angesprochen, wie er den tiefen Fall der "Elftal" von Platz drei bei der WM in Brasilien zur verpassten EM-Teilnahme in Frankreich sehe."Die sportliche Rivalität müssen wir in den Hintergrund stellen", sagte der Bundestrainer. "Beide Mannschaften werden versuchen, ihr Bestes zu geben aber das Ergebnis wird nicht die entscheidende Rolle spielen."
Wichtige Erkenntnisse
Dennoch könnte Löw, der die Partie gegen den WM-Dritten von 2014 aufgrund der Umstände als "Symbolspiel" sieht, aus dem Spiel mit einem gewissen Abstand auch sportlich wichtige Erkenntnisse ziehen. Kapitän Bastian Schweinsteiger, Torhüter Manuel Neuer und Lukas Podolski bekommen eine Pause. Leroy Sané reist wie vereinbart zur U21. Löw hat somit noch 18 Akteure in seinem Kader. Denn verletzungsbedingt fehlen außerdem Linksverteidiger Jonas Hector wegen einer Oberschenkelprellung und Innenverteidiger Jerome Boateng, den eine Kapselreizung am Knie plagt. Damit könnte sich dem Liverpooler Emre Can eine neue Chance bieten, Löw zu zeigen, dass er als Außenverteidiger eine Alternative darstellt. In der Innenverteidigung könnten Shokdran Mustafi vom FC Valencia oder der Römer Antonio Rüdiger neben Mats Hummels auflaufen.
Interessant wird außerdem sein, wen Löw ins Tor stellt. Mit dem Hannoveraner Ron-Robert Zieler, Kevin Trapp von Paris St. Germain und dem Leverkusener Bernd Leno stehen drei Torhüter bereit. Wahrscheinlich werden sich zwei von ihnen jeweils eine Halbzeit lang die Arbeit zwischen den Pfosten teilen. Der Austragungsort Hannover spricht für den 96er Zieler, die Geschehnisse vom Freitagabend für Trapp. Im Sturm wird wohl Mario Gomez eine weitere Chance von Anfang an bekommen und auch André Schürrle, der gegen Frankreich 90 Minuten lang nur auf der Bank saß, darf sich berechtigte Hoffnungen auf einen Startelf-Einsatz machen. Für den Wolfsburger wäre es der 50. Einsatz im Nationaltrikot.
Niederlande ohne Robben im alten System
Für den Gegner Niederlande hätte das Spiel nach verkorkster EM-Qualifikation eine Standortbestimmung und ein erster Schritt im Umbruch der Mannschaft werden sollen. Doch die Ereignisse von Paris haben auch im Lager der Niederländer die Vorfreude auf den Klassiker gegen Deutschland verdrängt. Der Entschluss des DFB, zu spielen und die Partie als deutliches Zeichen gegen den Terror zu nutzen, wurde im Oranje-Lager aber sehr begrüßt. "Das Gute an der Entscheidung ist, dass wir alle nicht vor dem Terror zurückweichen", sagte Bondscoach Danny Blind
Gleichwohl werden die Niederländer die Partie in Hannover durchaus ernst nehmen. "Wenn die Spieler morgen das Feld betreten, dann sind sie Fußballer, die noch immer eine gute Leistung zeigen und gewinnen wollen", sagte Blind. Im Nachbarland ist der Frust über das erstmalige Fehlen bei einer EM seit 32 Jahren immer noch groß. Dass es die "Elftal" in einer Gruppe mit unter anderem Island, Tschechien und der Türkei nicht geschafft hat, unter die ersten Drei zu kommen, hat die stolze Fußball-Nation bis ins Mark getroffen. "Der Schmerz ist noch lange nicht Weg. Der bleibt, mindestens bis zum Sommer", sagte Kapitän Arjen Robben. Der Flügelflitzer von Bayern München, der beim 3:2 in Wales am Freitag zweimal erfolgreich war, wird in Hannover fehlen. Das war bereits zuvor zwischen ihm und Blind besprochen worden. Offiziell will Robben nach längerer Verletzungspause kein Risiko eingehen, aber der 31-Jährige wollte sicher auch den drohenden Schmähgesängen der deutschen Anhänger aus dem Weg gehen.
Ob das hämische "Ohne Holland fahren wir zur EM" angesichts der Geschehnisse von Paris tatsächlich durch das Stadion hallen wird, bleibt abzuwarten. Den Niederländern ist es egal, sie wollen das so enttäuschend verlaufene Fußball-Jahr erfolgreich abschließen. Blind kehrt dafür zum so erfolgreichen WM-System mit fünf Defensivspielern zurück. "Die missglückte EM-Quali war der Anlass, um etwas zu verändern", sagte Mittelfeldregisseur Wesley Sneijder. "Das System hat viel Beifall gefunden, darum sind wir zu ihm zurückgekehrt", fügte Blind hinzu. Ob es aber auch ohne Robben funktioniert, ist eine der sportlichen Fragen, die trotz des Terrors von Paris interessant ist.