Temperaturanstieg könnte Regionen unbewohnbar machen
17. Juli 2023Auf der nördlichen Halbkugel fallen immer mehr Hitzerekorde: USA, China, Japan, Italien oder Spanien. Derzeit wird an so vielen Orten extreme Hitze gemeldet, dass es schwerfällt den Überblick zu behalten.
Laut chinesischen Medien wurde im Nordwesten des Landes mit 52 Grad Celsius kürzlich ein neuer Hitzerekord gebrochen. Auf den süditalienischen Inseln Sizilien und Sardinien werden 48 Grad erwartet. Japanische Behörden riefen derweil einen "Hitzeschlag-Alarm" aus und riefen Millionen von Menschen dazu auf, sich vor der sengenden Hitze zu schützen. Im Süden der USA könnten in den nächsten Tagen 80 Millionen Menschen von tödlicher Hitze betroffen sein. Und auch in Europa steigen die Temperaturen, schon der vergangenen Sommer war vielerorts so heiß, dass dort mehr als 60.000 Menschen starben.
Erderwärmung um 2,7 Grad wird die Bewohnbarkeit der Erde völlig verändern
Eine Studie der Zeitschrift Nature Sustainability kommt zu dem Schluss, dass ohne drastischen Klimaschutz in weniger als 80 Jahren rund zwei Milliarden Menschen Ende von extremer und lebensbedrohlicher Hitze betroffen sein - das entspricht rund 23 Prozent der für dann erwarteten Weltbevölkerung. Bleibt es bei der aktuellen Klimapolitik, mit der die Welt auf eine Erwärmung um 2,7 Grad oder mehr bis 2100 zusteuert, könnten Länder wie Katar, Mali oder Burkina Faso für Menschen unbewohnbar werden.
Ein Temperaturanstieg um 2,7 Grad werde die "Bewohnbarkeit" der Erde grundlegend verändern und möglicherweise zu einer "großangelegten Neuordnung der Orte führen, an denen Menschen leben", sagt Studien-Hauptautor Tim Lenton von der britischen University of Exeter.
Schon heute - bei einer Erderwärmung von 1,1 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeiten - sind Hitzwellen wahrscheinlicher, heftiger und damit auch tödlicher für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geworden.
Wie sehr schadet Hitze der menschlichen Gesundheit?
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann extreme Hitze zu einer Reihe von Krankheiten und zum Tod führen, etwa durch Hitzeschlag oder Hyperthermie. Temperaturextreme verschlimmern auch chronische Erkrankungen und haben indirekte Auswirkungen auf die Übertragung von Krankheiten, die Luftqualität und kritische Infrastrukturen. Ältere Menschen, Säuglinge und Kinder, Schwangere, Menschen, die im Freien arbeiten, Sportler und arme Menschen sind durch höhere Temperaturen besonders gefährdet.
Eine Begrenzung der Erwärmung auf das Ziel des Pariser Abkommens von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau würde der Studie zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts immer noch 14 Prozent, oder 400 Millionen Menschen einer gefährlichen Hitze aussetzen - vor allem in Indien, im Sudan und in Niger. Erreicht die Welt eine Temperaturerhöhung um 2,7 Grad werden besonders Länder wie die Philippinen, Pakistan und Nigeria von den Auswirkungen der Hitze und ihrer Folgen extrem betroffen sein.
Menschliche Verluste durch den Klimawandel in den Fokus rücken
Die beteiligten Forscherinnen und Forschern haben in ihrer Studie bewusst mit dem bislang üblichen Ansatz gebrochen, die Auswirkungen des Klimawandels nach wirtschaftlichen und nicht nach menschlichen Gesichtspunkten zu modellieren.
"Dies führt unweigerlich zu einer Verzerrung des Wertes, weg von Menschenleben und hin zu den Zentren des Wohlstands", sagt Ashish Ghadiali, Klimaaktivist und Mitverfasser der Studie, der DW. Eine Modellierung, die sich auf die Wirtschaft konzentriere, so Ghadiali, "misst einem Leben im Staat New York mehr Wert bei, als einem in Bangladesch".
Die meisten anderen Modelle stellten zudem auf die derzeit lebende Bevölkerung ab, statt auf die Menschen, die künftig auf der Erde lebten. Dabei sei die Ungleichheit der Erderwärmung "sowohl global verteilt, als auch zwischen den Generationen", so Ghadiali. "Mein Leben wird (bei diesem Ansatz - Anm.d.Red.) grundsätzlich höher bewertet als das meiner Kinder und das meiner Enkelkinder."
Bei der Betrachtung der Auswirkungen der gefährlichen Hitzewerte auf einzelne Länder stellt das Forschungsteam fest, dass die derzeitigen durchschnittlichen Treibhausgas-Emissionen von 1,2 US-Bürgern einen zukünftigen Menschen in extremer Hitze leben lassen. Trotz ihrer überproportionalen Emissionen ist die US-Bevölkerung aber viel weniger von gefährlichen Temperaturen bedroht.
Wie können Menschen vor extremer Hitze geschützt werden?
Frühere Studien haben gezeigt, dass Städte aufgrund des "Wärmeinseleffekts" besonders anfällig für gefährliche Temperaturanstiege sind. Gebäude, Straßen und Infrastrukturen absorbieren und strahlen die Sonnenwärme stärker ab als natürliche Umgebungen wie Wälder oder Gewässer, wodurch die Temperaturen in Städten im Vergleich zu ländlichen Gebieten in manchen Fällen um bis zu 15 Grad Celsius höher liegen.
Städte auf der ganzen Welt führen mittlerweile sogenannte Hitzebeauftragte ein, um dem unvermeidlichen Temperaturanstieg zu begegnen. Eine von ihnen ist Cristina Huidobro, die das Amt im März 2022 in der chilenischen Hauptstadt Santiago antrat.
"Weltweit sind viele Städte mit extremer Hitze konfrontiert, aber die Lösungen dafür können immer nur lokal gefunden werden", erklärt Huidobro im DW-Gespräch.
Dennoch, so Huidobro, verfolgten alle Hitzebeauftragten eine dreigleisige Strategie: Vorsorge, Sensibilisierung und Anpassung. Zur Vorbereitung gehört, dass Hitzewellen wie andere Naturkatastrophen kategorisiert werden oder eine Alarmschwelle festgelegt wird, die dann eine bestimmte Reaktion auslöst.
Bäume, Grün und mehr Hitzeschutz für Menschen in der Stadt
Laut Huidobro ist die Sensibilisierung für Hitzegefahren eine der wesentlichen Aufgaben. "Es ist ganz einfach, bei extremer Hitze auf sich selbst aufzupassen - Wasser zu trinken, Schatten zu suchen und sich ausruhen", sagt sie. "Niemand muss an extremer Hitze sterben."
Die dritte Säule ist die Anpassung von Städten an die neue Realität hoher Temperaturen, vor allem durch die Schaffung von mehr Grünflächen in der Stadt. Santiago de Chile hat gerade ein städtisches Aufforstungsprojekt gestartet, bei dem 30.000 Bäume in der ganzen Stadt gepflanzt und Strategien entwickelt werden sollen, die Bäume als echte städtische Infrastruktur zu behandeln.
"Bäume, Bäume, Bäume überall. Das bringt mehr Grün in die Stadt", so Huidobro. Aber Bäume zu pflanzen sei nicht so einfach, wie man vielleicht denke. "Wir pflanzen Bäume an wirklich dichten Straßen, zum Beispiel in den Hauptstraßen der Stadt. Man muss Löcher in den Zement graben und wirklich viele Bauarbeiten durchführen. Es ist auch keine Sofort-Lösung gegen Hitze in der Stadt, weil die Bäume Zeit zum Wachsen brauchen. "Die Idee ist es, den Schatten zu pflanzen, den wir in den nächsten 20 oder 30 Jahren haben werden", sagt Huidobro.
US-Städte im Kampf gegen extreme Hitze
In den Vereinigten Staaten - wo früheren Studien zufolge jedes Jahr 12.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Hitze sterben - wurden bisher drei Hitzebeauftragte ernannt: in Phoenix, Miami und Los Angeles.
Die kalifornische Stadt Los Angeles, die als die anfälligste Stadt für Naturkatastrophen, einschließlich Hitzewellen, gilt, hat kürzlich eine Kampagne gestartet, um mehr "Resilienzzentren" mit Schatten und Kühlung durch erneuerbare Energien in gefährdeten Stadtteilen zu errichten. Es gibt bereits ein Netz von Kühlzentren, vor allem in Bibliotheken, wo sich die Menschen vor der Hitze schützen können. Zudem arbeitet man an einem Frühwarnsystem für Hitzewellen.
Phoenix, eine Stadt mitten in der Sonora-Wüste, hat eine Reihe von Anpassungen in Angriff genommen, darunter den Bau "kühlender" Gehwege, die mit einer speziellen Versiegelung versehen sind, die die Sonne reflektiert. Die Versiegelung sorgt dafür, dass sich die Wege um einige Grad weniger aufheizen als etwa der klassische dunkle Asphalt und sich auch die kühle Nachtluft länger halten kann.
Die Stadt Miami in Florida plant große städtische Baumpflanzaktionen, hat bereits Millionen von Dollar für Klimaanlagen in Sozialwohnungen ausgegeben und stellt finanzielle Unterstützung zur Deckung der Energierechnungen einkommensschwacher Haushalte bereit. Laut Cristina Huidobro sollten Klimaanlagen wegen der benötigten Energie jedoch nur ein letztes Mittel zur Anpassung sein.
Ihre Stadt Santiago de Chile will 33 "Miniwälder" pflanzen, die vor allem in der Nähe von Schulen und Gesundheitseinrichtungen als Hitzeschützer dienen sollen. Diese sollen eine Alternative zu den klimatisierten Kühlzentren sein, die in den USA und Europa entwickelt werden. "Während einer Hitzewelle können die Menschen in diese naturnahen Kühlzentren gehen, um Schatten zu finden, sich auszuruhen und Wasser zu trinken", erläutert die Hitzebeauftragte.
Redaktion: Jennifer Collins
Dieser Artikel wurde am 23.05.2023 veröffentlicht und am 17.07.2023 aktualisiert.
Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk