Und Sieger ist erneut "Teflon Mark"
17. März 2021Der niederländische Premier Mark Rutte und seine rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) haben wie erwartet die Parlamentswahl gewonnen. Nach der Schließung der Wahllokale um 21 Uhr wird die VVD nach den ersten Prognosen mit etwa 23 Prozent und 36 von insgesamt 150 Sitzen mit Abstand stärkste Kraft in der Zweiten Kammer des Parlaments.
Mark Rutte geht nach seinem erneuten Wahlsieg einer Reihe von Rekorden entgegen: Wenn Angela Merkel im Herbst abtritt, wird er in der EU als dienstältester Regierungschef am Tisch sitzen. Und im nächsten Jahr kann er den früheren niederländischen Premier Ruud Lubbers an Amtsjahren überholen und in die heimische Politikgeschichte eingehen.
Im internationalen Vergleich sind Ruttes Wahlsiege mit einer Prise Salz zu genießen. Aber in der zersplitterten Parteienlandschaft der Niederlande geht man eben mit 20 Prozent plus allemal als Erster durch Ziel. Es gibt keine Fünf-Prozent-Hürde, so dass von den 37 Parteien auf den Wahlzetteln nun sogar 17 den Einzug ins Parlament schaffen - auch das eine Rekord.
Was macht Rutte unbesiegbar?
Die heimische Presse arbeitet sich daran ab, zu definieren, was Rutte so unbesiegbar macht. "Teflon Mark" wird er spöttisch schon seit längerem genannt, weil alles an ihm abzugleiten scheint wie Wasser am Rücken der Ente. Der Kindergeldskandal, der im Januar seine Regierung zu Fall brachte, hätte ihn eigentlich politisch ins Aus befördern müssen. Die Finanzämter hatten Tausende Familien zu Unrecht beschuldigt, zu viel Kindergeld bezogen zu haben und trieben einige mit Rückforderungen in den Ruin.
Und obwohl das alles in seiner Amtszeit passiert war, lasten ihm die Wähler das Drama nicht an. Ein Kolumnist schrieb vor kurzem leicht entnervt, Rutte sei wie ein fröhlich wedelnder Labrador, keiner könne ihm wirklich böse sein - stattdessen gibt es wohl den überwältigenden Drang, ihn zu streicheln.
Bei genauerem Hinschauen ist Ruttes Bilanz durchaus durchwachsen. Seine rechtsliberale VVD ist wirtschaftsfreundlich und seit Jahren florieren die Niederlande ökonomisch. Demgegenüber aber stehen ein Bildungs-und Gesundheitssystem, das dringend Reformen und Investitionen braucht. Mieten und Hauspreise werden zunehmend unerschwinglich, die sozialen Sicherungen immer mehr gekürzt, der Abstand zwischen arm und reich hat auch in den scheinbar egalitären Niederlanden stark zugenommen.
Gewalttätige Proteste
Auch im Umgang mit der Corona-Pandemie hat Rutte keine so gute Figur gemacht: Zunächst wollte er seine individualistischen Landsleute, die Vorschriften bekanntermaßen hassen, nicht mit Einschränkungen belasten und setzte auf Herdenimmunität.
Als diese verfehlte Strategie nicht mehr zu halten war, schob er jede Art von Lockdown so lange vor sich her, bis auch die niederländischen Krankenhäuser die Patienten kaum noch aufnehmen konnten. Im Januar dann, bei hartnäckig hohen Infektionszahlen, verhängte er schließlich eine Ausgangssperre ab 21.00 Uhr, was Tausende Corona-Leugner und Jugendliche zu gewalttätigen Protesten auf die Straßen trieb.
Die Bilder von randalierenden Demonstranten im Nahkampf mit der Polizei gingen um die Welt. Statt Ursachenforschung zu betreiben, wischte der Premierminister die Randale als "kriminelle Handlungen" vom Tisch. Und eine Mehrheit im Land macht ihn dafür auch nicht verantwortlich. Im Gegenteil: Umfragen zeigen, dass viele Bürger ziemlich zufrieden damit sind, wie er die Pandemie gehandhabt hat.
Schon bevor der Begriff überhaupt erfunden war, entwickelte sich Mark Rutte zu einem der ersten postideologischen Politiker. Er kann mit Liberalen, Linken und Rechten regieren, ohne sich erkennbar zu verrenken. In seinem Repertoire finden sich Flirts mit der Gemütslage fremdenfeindlicher Rechtspopulisten ebenso wie Zugeständnisse an die Umweltpolitik für die Linksliberalen.
Selbstdarsteller ohne Skandälchen
Außerdem beherrscht Rutte die Kunst der persönlichen Darstellung wie kein Zweiter. Der Premier wohnt weiter in seiner bescheidenen Wohnung in Den Haag, statt in den offiziellen Dienstsitz einzuziehen. Er fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, wie sich das in den Niederlanden gehört und schirmt sein Privatleben eisern ab. Von Mark Rutte gibt es keine Skandälchen, keine Home-Stories und vor allem zeigt er niemals Unbescheidenheit. Er ist die Personifizierung des arbeitsamen und frugalen Niederländers.
Und schließlich: Wenn nicht Rutte, wer sonst? Auf diese Frage kann in den Niederlanden niemand so recht eine Antwort geben. Auch Wähler, die ihm politisch nicht nahe stehen, haben das Gefühl, dass er das Land ordentlich vertritt und eine gute Figur macht.
Der politische Stern seines ewigen Widersachers, des Rechtspopulisten Geert Wilders war schon bei den letzten Wahlen gesunken. Nun verlor seine rechtspopulistische PVV weitere Stimmenanteile und kommt wohl nur noch auf 17 Sitze im Parlament - Wilders ist längst eine verbrauchte Kraft. Thierry Baudet, viel bestaunter Aufsteiger unter den Rechtsextremen, gewann mit seiner FvD allerdings fünf Sitze dazu und hat nun insgesamt sieben. Eine Abspaltung der FvD, JA21, zieht mit drei Abgeordneten ins Parlament ein, so dass die Rechtspopulisten unterm Strich gestärkt aus der Wahl hervorgehen.
Die größte Überraschung war jedoch das starke Abschneiden der D66, bislang Teil der Vier-Parteien-Koalition von Rutte. Die von der niederländischen Außenhandelsministerin Sigrid Kaag geführte links-liberale Partei gewann acht Sitze hinzu und steigt mit nunmehr 27 Sitzen zur zweitstärksten Kraft auf.
Doch auch die D66 ist nicht in der Lage, Mark Rutte ernsthaft Konkurrenz zu machen. Er wird also unangefochten sein viertes Kabinett bilden können, wieder vier Parteien zusammenbringen und dabei einmal mehr die Interessen von links bis rechts so balancieren, dass er den Niederländern liefern kann, was sie derzeit am meisten wollen – nämlich Stabilität.