Der Tag der Architektur im westfälischen Altena
24. Juni 2017Fahad Al-Azzawi lächelt zufrieden. Soeben hat er den Mietvertrag für seine erste eigene Wohnung unterschrieben. Auf dem Herd brodelt das Teewasser. Fahads Freunde im 40 Kilometer entfernten Dortmund wohnen noch in Sammelunterkünften. "Für einen Flüchtling wie mich ist das hier nicht selbstverständlich", sagt der 28-Jährige in gutem Deutsch. Er hat als Arzt im irakischen Mossul gearbeitet. "Aber ich wollte nicht IS-Kämpfer zusammenflicken", erzählt er, "deshalb bin ich nach Deutschland geflohen." Jetzt büffelt Fahad für die Anerkennung seines Arzt-Zertifikats. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland möchte er endlich auch arbeiten.
Wie Fahad leben heute rund 400 Geflohene, vornehmlich aus Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea in Altena.
Altena in der Abwärtsspirale
Vor wenigen Jahren noch galt Altena als "die am schnellsten schrumpfende Stadt Deutschlands". Großunternehmen kehrten der Stadt den Rücken. Jobs gingen verloren. Seit 1970 zog ein Drittel der Einwohner weg. Plötzlich standen hunderte Wohnungen leer, machten Geschäfte dicht. Eine Abwärtsspirale. Also packten die Stadtväter den Stier bei den Hörnern. Und begannen mit dem Stadtumbau.
Wenn Lisa Gudra durch die Straßen Altenas zu ihrer künftigen Arbeitsstelle spaziert, grüßt sie mal hier, mal dort. Man kennt sich in der 17.000-Seelen-Stadt. Die junge Stadtplanerin kennt aber auch einige der Zugereisten. Manche helfen beim Umbau einer ehemaligen Kneipe, schleppen Zementsäcke, schlagen Putz ab oder rollen Kabel aus, alles unter Anleitung von Handwerkern. Die Stadt hat das Gebäude am Lenneufer aus Insolvenzmasse gekauft. Jetzt entsteht hier eine Begegnungsstätte für Flüchtlinge. Sprach- und Computerkurse sollen darin stattfinden. Lisa Gudra wird die Einrichtung, die Teil des Stadtumbaus ist, leiten.
Das Bauvorhaben spiegelt deutlich, welchen Weg Altena bei der Flüchtlingsarbeit geht: Schon im September 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als besonders viele Asylbewerber nach Deutschland kamen, sorgte Altena für Schlagzeilen. Da kündigte der Bürgermeister an, freiwillig 100 Flüchtlinge mehr aufzunehmen, als der Stadt zugewiesen wurden. Eine Sensation.
Große Hilfsbereitschaft im Ort
Ortstermin in der Wilhelmstraße von Altena, Stadtteil Breitenhagen. Joachim Effertz deutet auf eine Reihe von schmucken Vier-Familien-Häusern. Sie gehören der "Altenaer Baugesellschaft AG", der Effertz vorsteht. Das Viertel wuchs in den 1950er Jahren, als die Eisen- und Stahlbetriebe Altenas boomten und viele Jobsuchende ein Dach über dem Kopf brauchten. "Heute stehen 200 unserer 1900 Wohnungen leer", sagt Effertz. Einige werden abgerissen. In 90 aber wohnen Flüchtlinge wie Fahad Al-Azzawi. Im Flur seines Hauses hängt die Hausordnung auf arabisch. "Wir bringen diese Menschen dezentral, in funktionierenden Nachbarschaften unter", sagt Effertz, "und machen damit bisher nur gute Erfahrungen." Besonders beeindruckt habe ihn die große Hilfsbereitschaft im Ort, sagt er.
Ein Grund, warum sich die Flüchtlinge in Altena so wohl fühlen, seien die "Kümmerer", erklärt Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU). Jede Flüchtlingsfamilie bekam einen solchen Ansprechpartner zugeteilt. Außerdem wurden die Flüchtlinge nicht in Turnhallen oder Containern untergebracht, sondern in normalen Wohnungen. Ehrenamtliche bieten Deutschunterricht an oder helfen bei der Renovierung von Wohnungen. Möglichst viele Menschen sollten schnell in Lohn und Brot kommen. Deshalb fragte die Gemeinde die Qualifikationen von Flüchtlingen ab. Hollstein organisierte Job- und Infobörsen mit Arbeitgebern, Effertz trommelte die Handwerkerschaft zusammen.
Nationaler Integrationspreis für Altena
Ein Konzept, das auch politisch Früchte trug: Als erste Stadt in Deutschland erhielt Altena im Mai 2017 den neu geschaffenen "Nationalen Integrationspreis" der Bundeskanzlerin, für, wie es hieß, "beispielgebende Verdienste um die Integration von Migrantinnen und Migranten." Das Foto von der Verleihung zeigt Bürgermeister Andreas Hollstein mit stolzgeschwellter Brust neben Angela Merkel.
Tote Hose im Stapelcenter von Altena. In der tristen Betonlandschaft stehen viele Läden leer. Die größte Lücke klafft im ersten Stock des Wohn- und Geschäftshauses. Gerade erst hat mit "Toom" ein großer Supermarkt dicht gemacht. Geblieben sind ein Outdoor-Ausstatter, ein Klamotten-Discounter, ein Zeitschriftenladen und ein Bäcker. Die Enttäuschung steht einer jungen Frau, die zum Bus eilt, ins Gesicht geschrieben: "In Altena ist nichts mehr los", klagt sie, "keine Geschäfte, kein Arzt, kein Krankenhaus." Ein Rentner, der aus Breslau stammt, sagt: "Ich war selbst Flüchtling und freue mich über die Leute, die zu uns kommen." Die junge Frau, die ein zweijähriges Mädchen im Kinderwagen schiebt, meint: "Ich stamme aus Altena, aber ich könnte genauso gut wegziehen, wenn ich anderswo Arbeit finde."
Altena hat den Verkehr umgeleitet, das enge Tal der Lenne mit einer Fußgängerpromenade verschönert. Ein sogenannter "Erlebnisaufzug" bringt Besucher und Touristen heute mitten durch den Berg zur Burg Altena, die auf der Höhe über den steilen Hängen der Lenne thront. Der Stadtumbau in Altena, sagt Hollstein bei jeder Gelegenheit, ist noch lange nicht zu Ende. Genau wie die Integration ist das "kein Kurzstreckenlauf, sondern eine Daueraufgabe."