Wie Flüchtlinge in Deutschland wohnen könnten
2. September 2015Sogar in dicht bebauten Ballungszentren wie Köln, München, Hamburg oder Berlin gibt es sie: leer stehende Gebäude, brachliegende Flächen oder Baulücken. Wertvoller Raum, den Flüchtlinge zum Wohnen nutzen könnten. So jedenfalls ist es die Vision von Architekturstudentinnen und -studenten der Leibniz Universität in Hannover. Sie entwickelten Unterkünfte, die nichts mit den Zeltstädten und Wellblechcontainern zu tun haben, wie man sie derzeit allerorten aus dem Boden wachsen sieht.
"Fill the gap" heißt eins ihrer Projekte: In Baulücken zwischen zwei Gebäude passen so genannte Wohnmodule aus Holz. Wie beim Regalsystem eines bekannten schwedischen Möbelhauses sind die Bauteile flexibel und passen sich der Größe der jeweiligen Lücke zwischen zwei Häusern an. Das klingt ein wenig nach "Tetris" für Architekten: In fünf bis sechs Etagen können hier, je nach Baulücke, 20 oder 40 Flüchtlinge in Holzmodulen untergebracht werden, die schnell und innerhalb von einer Woche aufgebaut werden können.
Deutschland braucht eine Willkommensarchitekur für Flüchtlinge
"Holz schafft auch eine angenehmere Wohnatmosphäre als die bisherigen Blechkisten", erklärt Architekt Jörg Friedrich. Darin scheppere jeder Regentropfen und jedes Gewitter werde eine unerträgliche Lärmbelästigung. Der Professor am Institut für Entwerfen und Gebäudelehre der Leibniz Universität fordert eine Willkommensarchitektur für Flüchtlinge in Deutschland. Mit 800.000 Flüchtlingen rechnet die Bundesrepublik im Moment für das Jahr 2015.
Es müsse sich dringend etwas an der Unterbringung der Flüchtlinge ändern, appelliert Jörg Friedrich an die Politik: "Diese Container, oder besser gesagt: umzäunte Lebenskäfige ohne jegliche Privatsphäre, fördern Aggressivität, Gewalt und Abgrenzung der Flüchtlinge statt Integration", sagt er. Vor eineinhalb Jahren gab Jörg Friedrich deshalb seinen Studenten die Aufgabe, Flüchtlingsunterkünfte für die Stadt Hannover zu entwerfen. Seine Vorgabe war dabei, 2500 Menschen auf den Stadtraum zu verteilen, sie also weder an den Stadtrand auszulagern noch konzentriert an einem Ort unterzubringen.
Für das Projekt haben der Professor und seine Studenten mit Psychologen, Ethnologen und Konfliktforschern zusammengearbeitet. "Wir vergessen oft, dass in solchen Flüchtlingsunterkünften unterschiedliche Ethnien aufeinander treffen und es Konflikte geben kann", so Friedrich. Das müsse bei der Planung berücksichtigt werden. Den Wissenschaftlern zufolge sollten nicht mehr als 50 Personen eine Unterkunft bewohnen. In dieser Größe sei die Gruppe überschaubar und Konflikte könnten vermieden werden.
"Floating Houses": Flüchtlingsunterkünfte auf dem Wasser
Eine solche Gruppe oder vielleicht fünf Familien könnten auf einem Lastenkahn am Rhein, der Elbe oder der Donau untergebracht werden und wohnen. "870 Kähne werden in Deutschland im Moment nicht genutzt. Darauf könnten Holzhäuser gebaut werden, die dann sogar mobil sind und hin und her schippern könnten", so Friedrich. Umgerechnet sind das 210.000 Quadratmeter bewegliche Wohnfläche, die in Deutschland derzeit leer stehen. Jedes Holzhaus auf dem Kahn hätte nach dem Entwurf der Studenten einen eigenen Eingang mit Schlafraum, Küche und Bad. Zusätzlich ist noch Platz für einen gemeinsamen Treffpunkt für alle Bewohner auf dem Lastkahn, sogar einen Garten in der Mitte haben die Studierenden in ihren Plänen vorgesehen.
Eine andere Gruppe hat herausbekommen, dass 40 Prozent der Parkhäuser in Hannover nicht ausgelastet ist. Auch hier könnten zweigeschossige Wohnungen für Flüchtlinge entstehen, die einfach oben drauf gebaut werden. Schwachpunkt sind hier die Wochenenden, wenn die Menschen zum Einkaufen in die Stadt kommen. "Hier muss die Stadt überlegen, was wichtiger ist: 200 Parkplätze oder Platz für 200 Flüchtlinge", sagt Friedrich.
Auch den brach liegenden Güterbahnhof in der Nordstadt von Hannover haben die Studenten in der Theorie in Wohnraum für Flüchtlinge umgebaut. Hier kann im Zug gewohnt werden. Auch Kindergärten, Arztpraxen oder Seminarräume finden in umgebauten Waggons Platz.
Flüchtlinge sollen auf den Dächern der Stadt wohnen
Auf dem Flachdach der Architekturfakultät in Hannover planen die Studenten ihre Theorie schon bald in die Praxis umzusetzen. Auch hier sollen Häuser oben drauf gesetzt werden. Die Idee, die hier im Vordergrund steht und auf die Jörg Friedrich besonders stolz ist: Kultur, Leben, Arbeit und Freizeit mischen. Oben sollen die Asylbewerber wohnen, unten arbeiten die Studenten. "Das war der ausdrückliche Wunsch meiner Studierenden, davon bin ich völlig begeistert.", so Friedrich.
Flüchtlinge in Deutschland besser integrieren
Gemeinsam wohnen und leben: Dieses Model gibt es auch schon im "Grandhotel Cosmopolis" in Augsburg. Hier wohnen Hotelgäste gemeinsam mit Flüchtlingen in einem umgebauten Altenheim. Auch in Wien gibt es im "Hotel Magdas" ein solch unkonventionelles Konzept. Doch bisher sind diese Beispiele nur Ausnahmen. Friedrichs Forschungen zeigen aber, dass Unterkünfte für Flüchtlinge nicht nur aus Schrott und Blech sein müssen. Im Moment ist die Fakultät noch auf der Suche nach Sponsoren, um einige ihrer Entwürfe in die Tat umzusetzen.
"Flüchtlinge brauchen Wohnungen, keine Behälter"
"Flüchtlinge brauchen Wohnungen und keine Behälter" - das forderte die Architektenkammer Hessen Anfang August 2015 in einem Positionspapier. Sie schlagen Unterkünfte aus Holzmodulen vor - ähnlich wie die Hannoveraner Architekturstudenten - und wollen einen Architektenwettbewerb für Flüchtlingsunterkünfte ins Leben rufen. Jörg Friedrich und seine Studenten haben einen Anfang gemacht.
Zumindest die Holzmodule haben unter Architekten schon Anwendung gefunden. In Freiburg werden so zwei Flüchtlingsunterkünfte für 40 und für 80 Flüchtlinge gebaut, die im Oktober und Dezember fertig sein sollen. Trotzdem: Jörg Friedrich bleibt skeptisch. Seiner Meinung nach pumpe die Politik nach wie vor noch zu viel Geld in Containeranlagen. Knapp 20.000 Euro kostet ein Container, der aber keine feste Unterkunft, sondern nur eine unangenehme Zwischenlösung sei. "Nichts ist schlimmer als der Aufenthalt in Zwischenlösungen und Zelten", sagt Friedrich. "Flüchtlinge sollen in richtigen Häusern wohnen dürfen - das ist meine Forderung an die Politik und Architektur."
Refugees Welcome - Konzepte für eine menschenwürdige Architektur ist von Jörg Friedrich, Simon Takasaki, Peter Haslinger, Oliver Thiedmann und Christoph Borchers ist im Juli 2015 als Buch erschienen.