Erdogans XXL-Airport geht an den Start
29. Oktober 2018Vorn auf den Anzeigetafeln stehen schon die Abflugzeiten. Etwas weiter hinten im Terminal ist noch Baustelle. Arbeiter in gelben Westen werkeln auf einem Stahlgerüst. Nicht alles ist fertig, wenn Istanbuls neuer Flughafen an den Start geht.
Kadri Samsunlu zeigt sich trotzdem zufrieden. Er ist der Chef der Flughafengesellschaft IGA. Routiniert präsentiert er die Eckdaten des Megaprojekts: Die beiden ersten von insgesamt sechs Start- und Landebahnen seien einsatzbereit, auch der Tower in eleganter Tulpenform.
225.000 Jobs sollen durch den Airport entstehen, bis 2025 soll er rund fünf Prozent zum türkischen Bruttoinlandsprodukt beitragen. "Wir haben das hier mit türkischem Geld, mit türkischen Arbeitern, mit türkischem Know-how gebaut", sagt Samsunlu. "Das gibt uns enormes Selbstvertrauen. Wenn ich mich umsehe, denke ich: Wir haben es geschafft! Das macht mich sehr stolz".
Der erste Spatenstich für Istanbuls dritten Flughafen war im Mai 2015. In nicht einmal vier Jahren haben Samsunlu und seine Leute das kolossale Projekt im Norden der Stadt hochgezogen. Berlin kann davon nur träumen. Auch nach zwölf Jahren gibt es für den neuen deutschen Hauptstadt-Flughafen keinen verlässlichen Eröffnungstermin.
200 Millionen Passagiere pro Jahr
Die Dimensionen sind gigantisch: Mit 76 Millionen Quadratmetern Gesamtfläche ist der neue Istanbuler Airport drei Mal so groß wie der Frankfurter Flughafen. Er ist vom Start weg der größte Europas - mit bis zu 90 Millionen Passagieren pro Jahr. Und das ist nur die erste von insgesamt vier geplanten Ausbau-Etappen. In zehn Jahren sollen hier bis zu 200 Millionen Passagiere pro Jahr ankommen und abfliegen - so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Investiert wurden laut Samsunlu bisher 7,5 Milliarden Euro.
Der neue Riesen-Flughafen gilt als Lieblingsprojekt des türkischen Präsidenten Erdogan - und als Symbol für den Aufstieg der Türkei zur globalen Wirtschaftsmacht. Erdogan will Istanbul zu einem der wichtigsten Luftdrehkreuze zwischen Europa, Asien und den arabischen Ländern machen.
Doch aktuell steckt die türkische Wirtschaft in der Krise, die Lira hat dramatisch an Wert verloren, die Inflation ist auf Rekordniveau. Trotzdem hat Erdogan darauf gedrängt, dass der neue Flughafen pünktlich zum 95. Jahrestag der Republikgründung eröffnet wird.
Prestige zu einem hohen Preis
Doch die Erfolg des Megaprojekts hat auch eine Schattenseite. Nach Medienberichten sollen türkische Bauern für den Bau zwangsenteignet worden sein. Umweltschützer kritisieren das Abholzen riesiger Waldgebiete, das Aus für Istanbuls "grüne Lunge". Und die Arbeiter, die den Flughafen in Rekordzeit hochziehen mussten, berichten von schrecklichen Zuständen auf den Baustellen: mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, tödliche Unfälle, schlechtes Essen, Probleme mit der Bezahlung.
"Sie haben uns wie Sklaven behandelt", sagt Cemal Özder. Er hat neun Monate am Flughafen geschuftet. "Wir haben morgens um acht Uhr angefangen zu arbeiten, oft bis 23 Uhr in der Nacht. Manche sagen, sie mussten sogar bis in die Morgenstunden durchmachen - und am nächsten Tag trotzdem wieder zur Frühschicht antreten. Ständig haben sie uns Druck gemacht: Schneller, schneller, ihr müsst fertig werden, hieß es immer." Als er die Bedingungen öffentlich kritisierte, wurde er gefeuert, sagt Özder, der sich im türkischen Gewerkschaftsbund DISK für die Rechte der Flughafen-Arbeiter engagiert.
Streiks, Proteste, Tote
Seit Baubeginn 2015 arbeiten etwa 35.000 Arbeiter an der Flughafen-Großbaustelle. Arbeitsschutz und Sicherheitsvorkehrungen seien oft unzureichend, sagt Cemal Özder. Mindestens 38 Arbeiter sind nach Angaben seiner Gewerkschaft bislang ums Leben gekommen. Manche Quellen berichten sogar von Hunderten Toten. Regierung und Flughafengesellschaft sprechen von 30 Opfern.
Mitte September waren mehrere tausende Arbeiter in den Streik getreten. Auslöser war laut Gewerkschaftern ein Shuttlebus-Unfall, bei dem 17 Arbeiter zum Teil schwer verletzt wurden. Auch hier soll es Tote gegeben haben. Unabhängig bestätigen lässt sich das nicht. Die Protestaktion wurde aufgelöst, 400 Arbeiter laut Medienberichten vorübergehend festgenommen, mehrere befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft. "Wer über die Missstände spricht, läuft Gefahr im Knast zu landen", sagt Cemal Özder. "Das mag ja der größte Flughafen der Welt sein, aber für mich klebt an diesem Projekt das Blut der Arbeiter".
Airport-Chef Kadri Samsunlu räumt auf Nachfrage ein, dass es auf der Baustelle Probleme gab. Aber die seien behoben worden. "Die Arbeiter haben Veränderungen gefordert, und wir haben darauf reagiert. Ich denke, ihre Versorgung ist jetzt besser, und aus meiner Sicht ist die Sache damit aus der Welt. Die Arbeiter sind glücklich".
Regelbetrieb ab 2019
Der Flughafenboss sagt, er will nach vorn sehen und nicht zurück. Denn es gibt noch viel zu tun hier am neuen Istanbuler Airport - auch nach der offiziellen Eröffnung. Der ursprünglich zeitgleich geplante Großumzug vom Atatürk-Flughafen im Westen der Stadt soll erst zum Jahresende stattfinden. Erst von Januar 2019 an sollen alle Flüge vom neuen Flughafen aus starten. Bis dahin gibt es von dort nur einen symbolischen Betrieb mit fünf Verbindungen pro Tag.
Auch eine Schienenanbindung gibt es noch nicht. Der Airport liegt 50 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Die geplante Metro-Linie aber soll erst 2020 fertig sein. Und einen Namen hat der neue XXL-Flughafen auch noch nicht: Laut Gerüchten soll er nach Abdülhamid II benannt werden, dem letzten großen Sultan des vom türkischen Präsidenten bewunderten Osmanischen Reiches - oder gar nach Erdogan selber.