Istanbul: Flughafenbau unter Polizeiaufsicht
19. September 2018Zwei Großflughäfen besitzt Istanbul bereits, doch die platzen seit Jahren aus allen Nähten. Sie reichen bei weitem nicht aus, um den Passagierbedarf der 15-Millionen-Einwohner-Metropole zu decken. Ein dritter internationaler Airport soll deshalb für Entlastung sorgen. Der neue Großflughafen in Istanbul ist eines der großen Vorzeigebauprojekte von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Um den Bau so schnell wie möglich abzuschließen, schuften seit vier Jahren 36.000 Arbeiter am Bauort. Ihre Rechte werden dabei weitgehend ignoriert. Als die Arbeiter aus Protest über die schlechten Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen, ging die Polizei mit Tränengas-Wasserwerfern gegen sie vor. Dabei wurden insgesamt 500 Menschen festgenommen, viele wurden verprügelt.
Der unmittelbare Anlass für die Proteste war, dass die Arbeiter in der vergangenen Woche stundenlang im strömenden Regen auf den Shuttle-Bus warten mussten, der zwischen den Wohnbaracken und der Baustelle hin und her pendelt. Der 26-jährige M. arbeitet mit seinem Vater gemeinsam auf dem Bau: "Nach dem Ende unserer Schicht sind wir zu den Shuttle-Bussen gegangen. Es schüttete aus Eimern, wir wurden sehr nass. Als dann irgendwann ein einziger Bus kam, versuchten alle, dort einzusteigen. Als sich dann diese Situation am Freitag wiederholte, begann der Aufstand."
Die Arbeiter fingen danach an zu streiken. Hunderte schlossen sich an. Trotz mehrerer Warnungen weigerten sie sich, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Daraufhin reagierte die Polizei mit Gewalt.
Die Forderungen der Arbeiter
Doch der rund zweistündige Transfer vom Stadtzentrum zum Flughafen ist beileibe nicht das einzige Problem der Arbeiter. Sie beschweren sich auch über den mangelnden Arbeitsschutz, schlechte Unterkünfte und die ungenügende Verpflegung. Die Arbeitsbedingungen seien unmenschlich, sagt M.: "Sie versuchen, zweistöckige Hochbetten in winzige Zimmer zu quetschen. Manchmal schlafen acht Personen in einem Zimmer. Wir sind hier im Wald, es gibt viele Insekten. Wenn wir von der Arbeit kommen, sagen sie uns: 'Geht raus, sucht euch ein Ausweichquartier, wir sprühen Insektengift.' Aber wohin soll ich gehen? Ich habe hier keine Wohnung."
Der aus Diyarbakir stammende 25-jährige F. arbeitet seit drei Monaten auf dem Bau, weil er in seiner Heimatstadt keine Arbeit gefunden hat. "Das Essen schmeckt nach nichts, das Wasser im Bad ist entweder eiskalt oder es läuft überhaupt nicht. Unsere Löhne werden nicht rechtzeitig ausgezahlt." Nach dem Protest habe die Polizei ihre Präsenz verstärkt, erzählt der junge Mann: "Jetzt ist es hier wie im Ausnahmezustand. Überall stehen Panzer."
Die Arbeiter haben eine Liste mit 15 Forderungen aufgestellt. Dazu gehören saubere Unterkünfte, pünktliche Lohnzahlungen und ein besserer Arbeitsschutz.
Werden Angehörige von Todesopfern bedroht?
Der gehört nämlich zu den größten Problemen der Großbaustelle. Die größte türkische Oppositionspartei CHP stellte bereits vor Monaten im Parlament den Antrag, die Todesursache von 400 Arbeitern untersuchen zu lassen. Nach Angaben des Arbeits- und Sozialministeriums seien dagegen nur 27 Menschen auf dem Bau ums Leben gekommen.
Kazım Bayraktar ist Anwalt der Arbeitergewerkschaft İnşaat-İş. Mitglieder der Gewerkschaft hätten versucht, die Vorkehrungen für den Arbeitsschutz auf dem Baugelände zu prüfen, seien aber nicht hineingelassen worden, erzählt er. "Es ist schwieriger, auf dieses Gelände zu kommen als in eine Kaserne", sagt Bayraktar. Auch sei es beinahe unmöglich, Kontakt zu den Familien der Verstorbenen aufzunehmen: "Die Angehörigen werden bedroht. So wird verhindert, dass diese Vorfälle vor Gericht kommen."
"36.000 Menschen arbeiten auf dem Bau"
Ali Öztutan ist Vorsitzender der Bauarbeitergewerkschaft IYI-SEN. Von den 36.000 auf dem Bau beschäftigten Arbeitern leben 15.000 in einem Lager, erklärt er. Seit Anfang der Bauarbeiten sei in allen Bereichen gegen die Vorschriften verstoßen worden. "Der Hauptgrund dafür ist, dass die Bauherren jegliche Anpassung an die Richtlinien als finanzielle Belastung bewerten. Seit vier Jahren wurde nichts getan, um die Probleme zu beheben." Doch die Regierung ignoriert die Beschwerden der Arbeiter. Sie setzt alles daran, den ersten Teil des Flughafens am 29. Oktober zu eröffnen, dem türkischen Tag der Republik. Der Flughafen hat bislang knapp elf Milliarden Euro gekostet und soll auf 90 Millionen Passagiere im Jahr ausgerichtet sein.