Säuberungen in Pjöngjang
13. Dezember 2013Vor knapp zwei Jahren wurde Nordkoreas Führer Kim Jong-il öffentlich zu Grabe getragen. Damals begleiteten acht Männer das Fahrzeug mit seinem Sarg durch die Hauptstadt Pjöngjang. Auf der linken Seite liefen vier Repräsentanten der Armee, die nach der offiziellen Songun ("Militär zuerst!")-Doktrin absolute Priorität in Nordkorea hat - vorne ging der Armeechef Ri Yong-ho und dahinter Verteidigungsminister Kim Yong-chun. Ri wurde ein halbes Jahr später vor versammeltem Politbüro wegen "gesundheitlicher Probleme" abgesetzt und kam kurz darauf nach unbestätigten Berichten bei einem Schusswechsel mit Sicherheitsbeamten ums Leben. Verteidigungsminister Kim verlor seinen Posten schon nach weniger als vier Monaten.
Auf der rechten Seite des Sargfahrzeugs bildeten vier Vertreter von Partei und Staat eine Reihe. Ganz vorne war Kim Jong-un, der jüngste Sohn und Nachfolger des Verstorbenen. Hinter Kim ging der Schwager des Toten und Onkel des jungen Machthabers, Jang Song-thaek, gefolgt vom Präsidenten der Obersten Volksversammlung, Kim Yong-nam. Wenn die Erkenntnisse des südkoreanischen Geheimdienstes stimmen, dann musste Jang Song-thaek zunächst schon seinen Posten im Staats- und Parteiapparat abgeben. Er wurde seit Anfang November nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Zwei seiner engsten Mitarbeiter wurden angeblich wegen Korruption und Anti-Partei-Aktivitäten öffentlich hingerichtet.
Fall Jang ist ein besonderer
Hinter diesen Säuberungen steckt nach Ansicht von Nordkorea-Beobachtern ein System: Südkoreanischen Informationen zufolge hat Kim Jong-un seit seiner Machtübernahme knapp die Hälfte der wichtigsten Beamten, Kader und Offiziere ausgewechselt. Die Absicht dahinter: Das neue Führungspersonal ist nicht mehr seinem toten Vater, sondern ihm gegenüber loyal ergeben. Nach derselben Methode hatte Kim Jong-il nach dem Tod seines eigenen Vaters, Nordkoreas Staatsgründer Gründer Kim Il-Sung, seine Macht abgesichert.
Doch die Ermordung von Jang ist ein besonderer Fall. Der 67-Jährige war seit mehr als 40 Jahren mit der jüngeren Schwester von Kim Jong-il, Kim Kyong-hee, verheiratet. Das Paar hatte Nordkorea inoffiziell geführt, als Kim Jong-il sich von einem Schlaganfall erholte, und war danach von ihm mit der Aufgabe betraut worden, den Machtwechsel zu seinem jüngsten Sohn Kim Jong-un abzusichern und ihn vor möglichen Intrigen und Putschversuchen zu beschützen. Als Vize-Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission war Jang hinter dem jungen Kim die Nummer zwei in der Hierarchie der Macht und für die Beziehung zum wichtigsten Bündnispartner China zuständig.
Aufstieg des neuen Mannes Choe Ryong-hae
Doch im Verlauf dieses Jahres tauchte Jang immer seltener an der Seite von Kim Jong-un auf, während seine Frau offenbar erkrankte und zur Behandlung ins Ausland ging. Stattdessen wurde der neue Machthaber immer häufiger von Choe Ryong-hae begleitet. Der 63-jährige wurde von dem jungen Kim als Armeechef auf der Parteiseite eingesetzt und zum Vize-Marschall befördert. Choe soll den Einfluss der Partei auf die Streitkräfte vergrößern. Dadurch wurde er in der Partei zu einem direkten Gegner von Jang, der enge Beziehungen zu vielen Militärs pflegte.
Choe soll nach Informationen der Webseite "Daily North Korea" nicht im ganzen Offizierskorps Respekt genießen, da er lange Zeit nur der Vorsitzende des Sozialistischen Jugendverbandes war. "Offenbar hat Jang den Machtkampf mit Choe verloren", meinte der südkoreanische Parlamentsabgeordnete Jung Chung-rae.
Choes hoher Status in der Führung rührt laut dem Forscher Cheong Seong-chang vom Sejong-Institut in Seoul aus seiner Mitgliedschaft zur Linie der anti-japanischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Diese Familien bilden nach der Blutlinie der Kim-Verwandtschaft die zweitwichtigste Machtgruppe im Regime. Wegen der engen Freundschaft seiner Familie zu den Kims rückte Choi schon im Alter von 36 Jahren in das Zentralkomitee ein. Seit 2010 sitzt Choe als einziges Nicht-Mitglied der Kim-Familie in den drei höchsten Partei- und Armeegremien und stieg schließlich zur rechten Hand des neuen Machthabers auf. Im Mai überbrachte er einen Brief von Kim an Chinas neuen Staatschef Xi Jinping. Damit hatte Jang als Prinzregent ausgedient.
Unklare Wirtschaftspolitik
Landeskenner rätseln nun über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs von Nordkorea. Der hingerichtete Kim-Onkel galt als Verfechter wirtschaftlicher Reformen. Jedenfalls war er 2004 deswegen mit dem damaligen Machthaber Kim Jong-il aneinandergeraten und unter Hausarrest gestellt worden. Aber auch der junge Kim will offenbar wirtschaftliche Änderungen wagen. So wurden kürzlich die Löhne in der Textilindustrie drastisch angehoben, um die Produktivität in diesem Exportsektor anzukurbeln. Kim will offenbar auch mehr Auslandskapital anlocken, damit Nordkorea sich vom übermächtigen China emanzipieren kann. Doch eine echte wirtschaftliche Öffnung scheint unwahrscheinlich.
Dafür sprechen die geplanten 14 neuen Sonderwirtschaftszonen. Die Reformen blieben damit regional begrenzt und fänden unter strenger Kontrolle der Führung statt. Gleichzeitig schottet das Regime seine Bürger gegen das Ausland ab. Die Grenze wird unter Kim viel schärfer bewacht als früher, und es gibt vermehrt Berichte über öffentliche Hinrichtungen von einfachen Bürgern. Ihnen wird der Besitz und Konsum von südkoreanischen Seifenopern und Spielfilmen vorgeworfen. Die verschärfte Gewalt gegen das Volk spricht für eine anhaltende Terrorherrschaft von Kim, der sich damit als gelehriger Schüler seines Vaters und Großvaters entpuppt.