Nordkoreanischer Sinneswandel
26. September 2013Nur wenige Tage vor einem geplanten Wiedersehen von koreanischen Familienmitgliedern, die sich seit 60 Jahren nicht gesehen haben, überlegte es sich Pjöngjang doch noch mal anders. Die Angehörigen wurden nach dem Ende des Koreakrieges 1953 durch die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea getrennt. Nun hätten sich mehr als 200 Menschen für sechs Tage in einer Ferienanlage am Kumgang-Berg treffen dürfen - hätte Nordkorea nicht einen Sinneswandel gehabt.
Das südkoreanische Wiedervereinigungsministerium reagierte mit unverhohlener Wut auf Pjöngjangs Entscheidung, die am Samstag (21.09.2013) bekannt gegeben wurde. Südkorea nannte die Entscheidung "unmenschlich" und warf dem Norden vor, die "Herzen der Familien gebrochen" zu haben, die verzweifelt auf ein Wiedersehen gehofft hatten. Von den 96 Betroffenen im Süden sind die meisten im hochbetagten Alter zwischen 80 und 95 - ein Familienangehöriger starb wenige Tage vor Nordkoreas Absage.
Dabei ging die Initiative zur Wiederaufnahme der Familienzusammenführungen von Nordkorea aus. Pjöngjang schlug noch im August vor, die Familientreffen wieder stattfinden zu lassen.
Bislang haben 18 solcher Begegnungen auch tatsächlich stattgefunden - das letzte Treffen im November 2010. Die Geste wurde als ein weiteres Zeichen für einen versöhnlicheren Kurs von Kim Jong-Un im Umgang mit seinem Nachbarn gesehen.
Abgeschwächte Rhetorik
Nordkorea hatte immerhin in der letzten Zeit die wütende Rhetorik vom Jahresanfang abgeschwächt. Damals hatte Pjöngjang nach einem Raketentest und einem dritten unterirdischen Atomtest wütend auf UN-Sanktionen reagiert und gedroht, die USA mit Raketen zu beschießen und die südkoreanische Hauptstadt Seoul in ein "Meer aus Feuer" zu verwandeln.
Im August wurde auch für südkoreanische Geschäftsleute die Grenze zum Industriepark Kaesong wieder geöffnet, die dort ihre Produktion wieder aufnehmen durften. Da in Kaesong nordkoreanische Arbeiter beschäftigt sind, ist die Sonderwirtschaftszone eine wichtige Einnahmequelle für Pjöngjang.
Politische Beobachter haben immer wieder die Schachzüge Nordkoreas mit Skepsis betrachtet und davor gewarnt, dass das Regime seine Meinung jederzeit wieder ändern könnte. Nun sei die Hoffnung der Familien den geopolitischen Interessen des Nordens zum Opfer gefallen.
Pjöngjang hingegen behauptet, es habe die Treffen abgebrochen, weil die südkoreanische Regierung die Familienzusammenführung "missbraucht" habe. Die südkoreanische Regierung habe sie als Sieg für ihren harten Kurs in den innerkoreanischen Beziehungen verbuchen wollen.
Nordkorea beschuldigte den Süden, "feindliche Taktiken" zu verfolgen, "die unsere Würde und unseren Stolz verletzt haben", sowie "Patrioten" in Südkorea barbarisch zu unterdrücken". Damit spielte das Regime auf die Verhaftung von Lee Seok-ki an, einem Mitglied der linksgerichteten United Progressive Party. Lee wird vorgeworfen, den Sturz der südkoreanischen Regierung geplant zu haben, sowie einen Angriff Nordkoreas auf den Süden zu unterstützen. Lee ist nun in Südkorea in Haft und wartet auf ein Gerichtsverfahren.
"Der Norden verurteilt den Süden schnell bei jeder sich bietenden Gelegenheit, aber er hat keine handfesten Gründe", sagt Go Ito, Professor für Politikwissenschaft an der Meiji Universität in Tokio, im DW-Interview. Die Nordkoreaner "erweckten den Anschein, als ob sie die Familientreffen und die Öffnung von Kaesong zulassen würden, aber es scheint mir, dass sie das nur taten, um diese Versprechen in Zukunft widerrufen zu können", erklärt er den Rückzieher des Nordens.
Zeit schinden
Professor Ito meint, der Norden habe sich in den letzten Monaten bemüht, vernünftig zu handeln, um damit Zeit zu schinden. In der Zwischenzeit hätten seine Wissenschaftler Nordkoreas nukleare und ballistische Raketenprogramme weiterentwickeln können.
Zwei Ende September vorgelegte US-Berichte gehen davon aus, der Norden habe internationalen Sanktionen vermutlich deshalb umgangen, um die Entwicklung von Komponenten für Zentrifugen, die zur Urananreicherung notwendig sind, voranzutreiben.
Der amerikanische Atomwaffenverbreitungsexperte Joshua Pollack sagte der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo News, es sei wahrscheinlich, dass der Norden leistungsstarke Magneten unter Verwendung von Seltenen Erden hergestellt habe, die in Hochleistungszentrifugen benutzt werden.
Pjöngjangs Wortbruch bei der Familienzusammenführung sei nur die jüngste Retourkutsche von einem Regime, dem sehr wohl bewusst sei, wo es steht, sagt Robert Dujarric, Direktor des Instituts für Zeitgenössische Asiatische Studien am japanischen Campus der amerikanischen Temple Universität.
Angst vor Zusammenbruch des Regimes
"Südkorea und die USA wollen den Norden nicht zu sehr unter Druck setzen. Denn das könnte den Zusammenbruch des Regimes bedeuten, was zu einem Bürgerkrieg führen könnte", betont Dujarric gegenüber der DW.
"Sie fassen sie mit Samthandschuhen an. Dies ist vielleicht nicht die schlechteste Taktik im Umgang mit einem solchen Regime, aber es erlaubt Pjöngjang auch, Zeit zu schinden", so Dujarric. Und Kim wisse, dass seine ideologischen Gegner sein Regime nicht zum Einsturz bringen wollten. Und dieses Wissen nutze er durchaus zu seinem Vorteil.
Der Norden könne so nach Belieben eine härtere Gangart einlegen und dem Süden Konzessionen abpressen. "Manchmal klappt das", so Dujarric, "manchmal klappt es nicht und die Dinge verschlechtern sich."
Seit nun 20 Jahren spiele der Norden dieses Spiel "und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich das ändert", sagt Dujarric, "außer dass nordkoreanische Regime geht den Bach runter. Das kann morgen passieren, oder in den nächsten 20 Jahren."