Angst vor der Abschiebung nach Syrien
8. Juni 2014Rim Abboud (Name geändert) macht sich große Sorgen. Die 45-Jährige ist vor über einem Jahr mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien in die libanesische Hauptstadt Beirut geflohen und hat sich beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registrieren lassen. Ihre Wohnung in Damaskus lag in einem zwischen Rebellen und Regierungstruppen umkämpften Gebiet. Sie und ihre Familie haben keine gültigen Papiere mehr. "Für uns ist es möglich, ein Jahr kostenlos hier zu sein. Für weitere sechs Monate muss ich 200 US-Dollar bezahlen. Und wir sind fünf. Jeder muss so viel bezahlen", sagt sie.
Rim Abboud kann sich das nicht leisten. Eine preiswerte Variante wäre es, nach Syrien ein- und wieder auszureisen. Bei der erneuten Einreise in den Libanon würde Abboud einen kostenlosen sechsmonatigen Aufenthalt bekommen. Aber dieser Weg ist nun versperrt. Das libanesische Innenministerium hat Ende Mai alle syrischen Flüchtlinge, die beim UNHCR registriert sind, davor gewarnt, nach Syrien einzureisen. Dadurch würden sie ihre Registrierung verlieren. Die offizielle Erklärung der Behörde lautet: Sorge um die Sicherheit im Land. Auslöser für diesen Schritt waren die syrischen Präsidentschaftswahlen. Tausende wählten in der syrischen Botschaft in Beirut. Und die syrischen Behörden riefen Landsleute im Libanon auf, am Wahltag an der syrischen Grenze ihre Stimme abzugeben. Das erweckte bei den Politikern den Anschein, dass viele Syrer keine Probleme hätten, in ihre Heimat zurückzukehren.
Allerdings plant die libanesische Regierung nicht erst seit der Wahl strengere Richtlinien für den Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien. In einer Pressekonferenz Anfang Mai kündigte Innenminister Nihad Maschnuk Maßnahmen an, die die Zahl der Flüchtlinge einschränken sollten. Konkret wurde er damals nicht.
Ein überfordertes Land
Der Zedernstaat trägt die Hauptlast der Syrienflüchtlinge. Eine Million Menschen und damit jeder vierte Bewohner dieses Landes kommt heute aus dem Nachbarland. Die Kapazitäten des chronisch politisch instabilen Libanons sind schon lange erschöpft. Die Belastungen für den Arbeitsmarkt, für die Wasser- und Elektrizitätsversorgung sind kaum zu bewältigen. Nun will der Libanon zum ersten Mal seit Beginn der Syrienkrise die Zahl der Flüchtlinge begrenzen.
Dana Sleiman vom UNHCR in Beirut hat Verständnis für das Vorgehen der libanesischen Regierung. Der Libanon stehe unter einem sehr großen Druck. Die Regierung versuche, die Krise zu entschärfen, sagt Sleiman. Die Pressesprecherin weist allerdings auch darauf hin, dass das UNHCR der libanesischen Regierung klar gemacht habe, dass viele Syrer aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Syrien wieder einreisen würden: "Zum Beispiel eine Mutter, die unter Lebensgefahr mit ihrem Kind nach Syrien zur Krebsbehandlung fährt, weil es dort billiger ist. Wir als UNHCR decken keine Krebsbehandlungen ab."
Fatale Folgen für die Flüchtlinge
Omar Ghannoum rechnet damit, dass in den kommenden Monaten die Mehrheit der beim UNHCR registrierten syrischen Flüchtlinge keine gültige Aufenthaltsgenehmigung mehr haben wird. Ghannoum arbeitet für eine internationale Hilfsorganisation, die syrischen Flüchtlingen juristische Beratung anbietet. Das Leben ohne gültige Papiere hat fatale Folgen: "Die Menschen grenzen ihren Bewegungsradius ein. Sie haben Angst, von libanesischen Sicherheitskräften aufgegriffen zu werden. Viele bleiben zu Hause und können nicht mehr arbeiten gehen. Irgendwann können sie ihre Miete nicht bezahlen. Das ist ein Teufelskreis."
Auch Palästinenser aus Syrien, die im Libanon Zuflucht gefunden haben oder in den Libanon einreisen möchten, sehen sich mit zunehmenden Restriktionen konfrontiert. Einer von ihnen ist Mohamed Ali (Name geändert), der aus dem Palästinenserlager Jarmuk in der Nähe von Damaskus geflüchtet ist. Seit seine Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist, traut sich der gelernte Maler nur noch selten auf die Straße: "Wenn mich Sicherheitskräfte aufgreifen, kann es sein, dass sie mich auffordern, das Land zu verlassen. Das ist eine erste Warnung. Beim zweiten Mal kann es sein, dass man abgeschoben wird."
Die Grenze ist fast unpassierbar
Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) leben rund 53.000 Palästinenser aus Syrien im Libanon. Das dortige Innenministerium hat all diejenigen, die keine gültigen Papiere haben, aufgerufen, bis Mitte Juni ihren Status zu legalisieren. Allerdings berichten Flüchtlinge, dass sie trotz der Bezahlung der erforderlichen Gebühr aufgefordert werden, das Land zu verlassen oder ohne Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis weggeschickt werden. Das bestätigt auch die UNRWA. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte Anfang Mai die Abschiebung von über 30 syrischen Palästinensern in ihre Heimat. Die libanesischen Behörden beschuldigten die Flüchtlinge, gefälschte Dokumente zu haben.
Beunruhigt ist die UNRWA auch über die fast unüberwindbaren Hürden, die Palästinenser bei dem Versuch erleben, in den Zedernstaat einzureisen. Ann Dismorr, Direktorin der UNRWA in Beirut, sagt: "Nur sehr wenigen gelingt es, in den Libanon einzureisen. Der Grund sind die Einreiseeinschränkungen, die die libanesische Seite aufgestellt hat. Man kann nur einreisen, wenn man einen Termin bei einer Botschaft oder bei einem Arzt vorweisen kann, im Libanon studiert oder den Libanon als Transitland benutzt. Für andere ist es fast unmöglich." Ann Dismorr weist darauf hin, dass die palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien keine wirtschaftliche Last für den Libanon darstellten, da die UNRWA für sie zuständig sei, für Bildung und Gesundheitsversorgung aufkomme. Sie hoffe, dass die libanesische Seite die Einreiseeinschränkungen zurücknehme.