Der gespaltene Libanon
24. April 2014Die Menschen im Libanon sind es gewohnt, dass sich die Bildung einer Regierung und das Gerangel um die Besetzung hochrangiger Posten lange hinziehen. Denn das Land ist politisch gespalten. Und so schien es nicht verwunderlich, dass sich das libanesische Parlament im ersten Wahlgang (23.04.2014) nicht auf einen neuen Präsidenten einigen konnte. Die Amtszeit von Präsident Michel Suleiman endet am 25. Mai. Sollte bis dahin keine Einigung gefunden werden, droht dem Zedernstaat ein gefährliches Vakuum. Daher sollen die Abgeordneten am 30. April erneut abstimmen.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass es in letzter Sekunde doch noch klappt", sagt Nabil, ein junger Libanese, der die politischen Geschehnisse in seinem Land aufmerksam verfolgt. Im ersten Wahlgang erhielt der ehemalige Milizenführer Samir Geagea 48 Stimmen. Der von Drusenführer Walid Dschumblatt vorgeschlagene Kandidat Henri Helou erhielt 16 Stimmen. Nur eine Stimme entfiel auf den früheren Präsidenten Amine Gemayel. Die restlichen der insgesamt 124 Stimmzettel wurden vorrangig von den Abgeordneten der Hisbollah entweder falsch ausgefüllt oder leer abgegeben.
Zwei rivalisierende Blöcke
"Ich denke, es wird keiner der derzeit aufgestellten Kandidaten Präsident werden. Denn sie sind alle umstrittene Personen", sagt Nabil. Geagea zum Beispiel, der Kandidat der Gegenspieler der Hisbollah, war während des Bürgerkrieges im Libanon (1975 bis 1990) Kommandant der rechten Christen-Miliz Forces Libanaise und saß wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen elf Jahre im Gefängnis. "Solche Leute kann das Land nicht brauchen", sagt Nabil. "Egal, aus welchem der zwei Blöcke der Kandidat kommt."
Mit den zwei Blöcken meint Nabil die "Allianz des 8. März" unter der Führung der Hisbollah und die "Allianz des 14. März" um den ehemaligen Ministerpräsidenten Saad Hariri. Die beiden politischen Lager blockieren sich seit dem Abzug der Syrer aus dem Libanon und der Ermordung des Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri - Saad Hairiris Vater - 2005 gegenseitig. Die Bewegung des 14. März gilt als pro-westlich und ist besonders seit der Ermordung Hariris ein Gegner des syrischen Regimes. Ihr gegenüber steht die Bewegung des 8. März, die vor allem von der schiitischen Hisbollah getragen wird und seit jeher eng mit dem Assad-Regime verbunden ist.
Direkt und indirekt in den Krieg involviert
Niemand hatte geglaubt, dass der Libanon auf Dauer von dem Konflikt in Syrien unberührt bleibt. Die syrischen Aufstände und der darauf folgende Krieg haben die Gegensätze zwischen den beiden Lagern nur verschärft. Und auch bei der Präsidentschaftswahl ist Syrien das große Thema. "Der Krieg in Syrien beeinflusst die Politik des Libanon auf unterschiedlichen Ebenen", sagt Stephan Rosiny, Libanon-Experte des Giga-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. "Es gibt Kämpfer, die in beide Richtungen die Grenze überschreiten und es kommt zu grenzüberschreitenden Kampfhandlungen."
Zudem ist es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Anschlägen gekommen, vorrangig in schiitischen Gebieten des Libanon. Denn während die Abgeordneten der schiitischen Hisbollah im Parlament sitzen, kämpft ihre Miliz an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Das gefällt nicht allen im Land. Man wolle der Hisbollah und ihrem Verbündetem, dem Iran, einen Denkzettel verpassen, hieß es im Nachhinein immer wieder.
Aber auch die syrischen Flüchtlinge zwingen den Libanon in die Knie. Nicht nur, dass der Strom mehrere Stunden am Tag ausfällt. Die offiziell eine Million registrierten Flüchtlinge müssen mitversorgt werden: An Schulen wird in Schichten unterrichtet, damit die syrischen Kinder am Unterricht teilnehmen können. Viele syrische Arbeiter bieten ihre Arbeitskraft zu günstigen Konditionen an. Dadurch sind die Löhne landesweit gesunken. Miet- und Lebensmittelpreise hingegen sind gestiegen. "Die sozioökonomischen Probleme haben sich deshalb verschärft", sagt Stephan Rosiny.
Doch bei der Blockkonfrontation zwischen dem 8. und dem 14. März gehe es nicht nur um das Verhältnis zu Syrien. "Syrien ist sozusagen das Symbol, an dem man sich abarbeitet, um von innenpolitischen Gegensätzen abzulenken", sagt der Libanon-Experte.
Innenpolitische Probleme nicht angehen
So geht es im Libanon schon seit Jahren um die Rolle der Hisbollah. Soll sie entwaffnet werden? Sollen ihre Waffen in die Armee integriert werden? Oder soll die Hisbollah bewaffnet bleiben, solange es keine starke Armee gibt? Keine Regierung hat sich bisher ernsthaft an eine Lösung dieses Problems gewagt. Außerdem streiten die beiden Allianzen über eine lange überfällige Wahlrechtsreform. Im vergangenen Jahr hatte das Parlament sogar Wahlen abgesagt und sein Mandat verlängert, weil man sich nicht einigen konnte.
"Über die Positionierung im Syrien-Konflikt mobilisieren die libanesischen Parteien außerdem ihre außenpolitischen Verbündeten", sagt Stephan Rosiny. Der 14. März mobilisiert den Westen und Saudi-Arabien, die in Syrien die oppositionellen Kräfte unterstützen, und der 8. März den Iran, der ein enger Freund und Unterstützer des syrischen Regimes ist.
Dritte politische Kraft etabliert sich
Doch die beiden Allianzen bekommen langsam Konkurrenz. Zwischen ihnen hat sich ein "mittleres" Lager etabliert: Seine Vertreter versuchen, zwischen den beiden Lagern zu vermitteln und als neutrale, dritte Kraft aufzutreten. Die wichtigsten Vertreter sind Walid Dschumblatt und der kürzlich zurückgetretene Ministerpräsident Najib Mikati. Außerdem gehören verschiedene drusische, christliche und sunnitische Abgeordnete dazu, die sich keinem der beiden etablierten Blöcke zuordnen lassen. "Sie versuchen in gewisser Weise die 'schweigende Mehrheit' der Libanesen zu repräsentieren, denen die langjährige Blockbildung zuwider ist", sagt Rosiny.
Dass daher in einem ersten Wahlgang kein Präsident für den Libanon gefunden wurde, findet Rosiny nicht schlimm. "Es zeigt, dass sie noch auf einen Konsenskandidaten warten." Zudem haben es die politischen Gegner in der Vergangenheit immer wieder geschafft, eine Kompromisslösung zu finden - teilweise auch durch externe Vermittlung. "Es ist letztendlich allen Lagern bewusst, dass sie das Land nicht ohne die Anderen regieren können", sagt Stephan Rosiny. Am 30. April wird sich zeigen, ob sich das libanesische Parlament erneut zusammenraufen kann - für die Zukunft des eigenen Landes.