1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sunniten und Schiiten im Dauerkonflikt

Andreas Gorzewski4. Januar 2016

Iran und Saudi-Arabien heizen die konfessionellen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten an. Beide Seiten instrumentalisieren die mehr als 1300-jährige Spaltung des Islam für ihre Ziele.

https://p.dw.com/p/1HXgR
Pakistan Protest sunnitischer Muslime in Karachi 2010. Foto: picture-alliance/ T. Koene
Bild: picture-alliance/T. Koene

Die Wortwahl von Irans geistlichem Führer Ajatollah Ali Chamenei war scharf. Nach der Hinrichtung des schiitischen Predigers Nimr Baker al-Nimr drohte er: "Das unrechtmäßig vergossene Blut dieses unterdrückten Märtyrers wird Folgen haben."

Wie viele Religionsgelehrte im Iran trägt Chamenei einen schwarzen Turban, der eine Abstammung von der Familie des islamischen Propheten Mohammed anzeigen soll. Auf Mohammed und den Islam beruft sich auch das saudische Königshaus.

Doch der schiitische Iran und das sunnitische Saudi-Arabien rivalisieren um die Vormacht im Nahen Osten. Dabei verknüpfen beide Seiten politische Ziele mit religiösen Deutungsmustern. Die Hinrichtung von al-Nimr erscheint dabei wie eine weitere Episode in der langen Geschichte konfessioneller Machtkämpfe.

Streit um die Nachfolge des Propheten

Die Aufspaltung des Islam in Sunniten und Schiiten geht auf den Streit über die Nachfolge Mohammeds zurück. Als der islamische Prophet im Jahr 632 n. Chr. starb, mussten seine Anhänger einen neuen religiösen und politischen Führer bestimmen.

Schiiten glauben, dass Mohammed seinen Schwiegersohn Ali zum Nachfolger bestimmt habe. Die Bezeichnung Schiit kommt vom arabischen "Schiat Ali", was Partei oder Anhängerschaft von Ali bedeutet.

Die heute als Sunniten bezeichnete Gruppe lehnte diesen Anspruch ab und setzte sich durch. Der Begriff Sunna umfasst die als vorbildlich angesehenen Handlungen und Äußerungen Mohammeds.

Schiiten in der Minderheit

Sowohl Sunniten als auch Schiiten spalteten sich im Laufe der Jahrhunderte in weitere Gruppen. Unter den weltweit mehr als 1,5 Milliarden Muslimen stellen die Schiiten insgesamt nur 10 bis 15 Prozent der Gläubigen. In den Golfstaaten Iran, Irak und Bahrain sind sie jedoch in der Mehrheit. In den saudischen Ölprovinzen leben knapp zwei Millionen Schiiten als drangsalierte Minderheit. Auch die Sunniten sind kein einheitlicher Block, sondern gehören unterschiedlichen Gruppen an.

Die Al-Azhar-Moschee in Kairo (Foto: dpa)
Die Kairoer Al-Azhar-Moschee und die angeschlossene Universität gelten als ein Zentrum des SunnitentumsBild: picture-alliance/ZB

Religiös gibt es viele Gemeinsamkeiten. Die fünf Säulen des Islam - Glaubensbekenntnis, Beten, Fasten, Pilgerfahrt nach Mekka und Sozialabgabe - sind bei den Konfessionen weitgehend identisch. Im Detail weichen die religiösen Praktiken jedoch in vielen Punkten voneinander ab.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten ist ihr Bezug zur Macht. Meistens waren die Schiiten eine diskriminierte Minderheit. Das prägte ihre Theologie. Revolten gegen die als unrechtmäßig angesehenen sunnitischen Kalifen spielen eine zentrale Rolle.

Im Jahr 680 n. Chr. starb der Sohn von Ali, Hussein, bei einem Aufstand. An seinen Tod erinnern Schiiten jedes Jahr beim Aschura-Fest mit Passionsspielen. Dieses Gedenken wird auch in den modernen Konflikten wach gehalten. So wurde die Bereitschaft von Hussein, auf dem Schlachtfeld in den Tod zu gehen, auch den iranischen Soldaten im Krieg gegen den Irak von 1980 bis 1988 als Vorbild vorgehalten.

Infografik zum Anteil der Schiiten an der muslimischen Bevölkerung
Der größte Teil der Schiiten lebt in den Staaten um den Persischen Golf

Scheinbar tausendjährige Kontinuität

Sunniten und Schiiten standen sich auch in den Kriegen zwischen den sunnitischen Osmanen und den schiitischen Schahs von Persien, dem heutigen Iran, gegenüber. Wie sehr konfessionelle Unterschiede und der Rückgriff auf die Geschichte zur Mobilisierung von Bevölkerungsgruppen dienen, wird in den aktuellen Stellvertreterkriegen zwischen Iran und Saudi-Arabien deutlich. In den Bürgerkriegen in Syrien und Jemen unterstützt Teheran vor allem nicht-sunnitische Gruppen. Die Saudis schmiedeten dagegen eine Allianz mehrheitlich sunnitischer Staaten.

Jenseits der religiösen Propaganda gibt es auch Beispiele für ein friedliches Zusammenleben. Mehrfach versuchten Vertreter beider islamischer Konfessionen, die religiösen Gräben zu überbrücken. Im Jahr 1959 erklärte der damalige Rektor der ägyptischen Al-Azhar-Universität, Mahmud Schaltut, die schiitische Religionspraxis für gleichwertig mit der sunnitischen. Die Azhar-Universität gilt als renommierteste Stätte sunnitischer Gelehrsamkeit.

Gemeinsame Erklärung der Gelehrten

Jordaniens König Abdullah II. versammelte im Jahr 2005 sunnitische und schiitische Gelehrte. Sie gestanden sich gegenseitig zu, dass Angehörige beider Konfessionen Muslime seien. "So jemanden für ungläubig zu erklären, ist weder möglich noch zulässig", heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung.

Auch der mittlerweile verstorbene König Abdallah von Saudi-Arabien unterzeichnete die Erklärung. Doch in seinem Königreich erklären Prediger die Schiiten immer wieder zu Ungläubigen. Das tun auch die Führerer der sunnitischen Extremistenmiliz "Islamischer Staat" und anderer sunnitischer Islamisten.

Auf der anderen Seite melden sich tausende Schiiten als Kriegsfreiwillige, weil sie ihren Glauben als bedroht sehen. Eine übergeordnete religiöse Instanz, die der wachsenden Instrumentalisierung der Religion in den Konflikten Einhalt gebieten könnte, gibt es im Islam nicht.