Saudi-Arabien geht gegen Schiiten vor
21. Oktober 2014In den Ostprovinzen Saudi-Arabiens spitzt sich ein Konflikt zwischen sunnitischer Regierung und schiitischer Minderheit bedrohlich zu. Nachdem der prominente schiitische Geistliche Nimr Bakir al-Nimr in der vergangenen Woche zum Tode verurteilt worden war, lieferten sich Polizeikräfte und Unbekannte ein Feuergefecht. Dabei wurde nach Behördenangaben eine Ölleitung in Brand gesetzt. Der Konflikt strahlt über die Grenzen aus. Im benachbarten Irak rief eine schiitische Miliz am Wochenende zu Angriffen auf saudische Einrichtungen auf. Die Behörden in Saudi-Arabien müssten mit "ernsten Folgen" rechnen, sollten sie das Todesurteil nicht zurückziehen. Auch aus dem schiitischen Iran waren Drohungen wegen der möglichen Hinrichtung zu hören.
Die saudischen Behörden werfen dem Prediger aus der Provinz Katif vor, er habe zu Gewalt zwischen den Konfessionen aufgerufen und Proteste organisiert. Außerdem sei Scheich al-Nimr des Ungehorsams gegenüber dem König schuldig. Am vergangenen Mittwoch war er deshalb verurteilt worden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte das Urteil scharf. Said Boumedouha, Vize-Direktor der Nahost-Abteilung von Amnesty erklärte: "Die Todesstrafe gegen Scheich Nimr Bakir al-Nimr ist Teil einer saudischen Regierungskampagne, jegliche regierungskritische Meinung in Saudi-Arabien zu unterdrücken. Das trifft auch diejenigen, die die Rechte der schiitischen Minderheit verteidigen."
Schiiten in vieler Hinsicht diskriminiert
Die Schiiten stellen etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung in Saudi-Arabien. Das Königshaus und die religiösen Behörden im Land vertreten die sehr rigorose wahhabitische Richtung des sunnitischen Islam. Schiiten werden auf unterschiedliche Weise diskriminiert, erläutert Elham Manea, Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich und Expertin für die Golfregion. So gebe es Einschränkungen in einer Reihe von Berufen. Auch in der Schule werden ihr zufolge Schiiten benachteiligt, weil der Lehrplan einen Vorrang der wahhabitischen Islam-Auslegung widerspiegele. "Damit wird allen, die diesem wahhabitischen Islam nicht anhängen, die Botschaft vermittelt, dass sie vom Islam abweichen und in die Hölle kommen", sagt Manea im DW-Gespräch. Als der König einen Schiiten in das Beratungsgremium Schura-Rat berief, gab es der Politikwissenschaftlerin zufolge massive Proteste von sunnitischer Seite.
Seit drei Jahren flammt die Gewalt in der ölreichen Ostprovinz immer wieder auf. Als der Arabische Frühling 2011 weite Teile der arabischen Welt erschütterte, kam es auch dort zu Protesten. Die Behörden gingen jedoch massiv dagegen vor. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2012 gab es nach inoffiziellen Angaben etwa zwei Dutzend Tote, darunter auch vier Polizisten.
Al-Nimr, der in seinen Predigten die Benachteiligung der Schiiten anprangerte, war 2012 bei seiner Festnahme angeschossen worden. Die Behörden behaupteten, er sei bei einem Schusswechsel verletzt worden, als er fliehen wollte und einen Polizeiwagen gerammt habe. Das wiesen seine Angehörigen jedoch zurück. Nach der Festnahme waren Tausende auf die Straße gegangen.
Einfluss des Iran unklar
Riad Kahwaji, Leiter des Institute for Near East and Gulf Military Analysis mit Sitz in Dubai, führt die Unruhen nicht auf die saudische Diskriminierung, sondern auf die Einmischung des Iran zurück. "Es gab keine Unruhen dort vor den iranischen Bemühungen, die islamische Revolution aus dem Iran zu exportieren", sagt Kahwaji. "Einer der Gründe für die Verschlechterung der Beziehungen waren immer wieder Vorwürfe, dass sich der Iran einmische und versuche, die schiitischen Gemeinschaften in den arabischen Staaten anzustacheln, um seinen Einfluss zu vergrößern", meint er.
Wie weit der Einfluss des Iran im Herrschaftsbereich der saudischen Königsfamilie reicht, ist umstritten. Die schiitischen Oppositionskräfte gegen die saudische Regierung sind kein einheitlicher Block. Eine Strömung strebe Reformen innerhalb des Systems im Königreich Saudi-Arabien an, beschreibt Manea. Eine andere Strömung wolle dagegen eine Abspaltung der Ostprovinzen. Diese Strömung habe Kontakte zum Iran auf der anderen Seite des Persischen Golfs. Al-Nimr hatte ebenfalls eine Abspaltung der schiitischen Gebiete angedroht, sollte die Regierung weiter Reformen zugunsten der Schiiten verweigern.
Sollte der einflussreiche Prediger tatsächlich hingerichtet werden, droht eine weitere Eskalation. Dann hätten die schiitischen Aktivisten in der Region ein Argument, die Situation weiter anzuheizen, warnt Kahwaji. Auch Golf-Expertin Manea sagt: "Wenn diese Hinrichtung stattfindet, fürchte ich eine weitere Radikalisierung der Proteste und der Opposition in der östlichen Region."