Stuttgarter Künstler unterstützen Kolesnikowa
18. September 2020"Sehr engagiert, sehr zielstrebig und sehr talentiert", so beschreibt die Stuttgarter Regisseurin Jasmin Schädler Maria Kolesnikowa. Zusammen haben sie in dieser Stadt die InterAKT Initiative gegründet, die experimentelle Formate in der Kunst ermöglicht. Zuletzt sahen die beiden Frauen sich im Februar im Rahmen des Stuttgarter ECLAT-Festivals. Dann reiste Kolesnikowa nach Minsk ab, um ihren Verpflichtungen als Leiterin des Kulturzentrums "OK16" nachzukommen. Obwohl sie seit zwölf Jahren in Stuttgart lebt, organisierte sie regelmäßig auch Projekte in ihrer Heimat Belarus.
Protestfigur mit Herz
Die weiteren Entwicklungen rund um Maria Kolesnikowa verfolgten ihre Freunde und Kollegen in Stuttgart ausführlich in den Nachrichten. "Es ist so komisch, dem so nahe zu stehen und doch so fern zu sein", sagt Jasmin Schädler. Sie sei unglaublich stolz auf das, was Maria Kolesnikowa getan hat: "Sie und andere belarussische Frauen zeigen, wie eine friedliche Revolution heutzutage geht". Jasmin Schädler und ihre Mitstreiterinnen wollen alles in ihrer Macht stehende dafür tun, damit Kolesnikowa freigelassen wird.
Kolesnikowa schloss sich dem Team des Bankiers Viktor Babriko an, der bei der Präsidentschaftswahl kandidieren wollte. Als er zur Wahl nicht zugelassen und inhaftiert wurde, schloss sich Kolesnikowa mit zwei weiteren Frauen, Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo, zusammen. Das Trio bereiste das Land und gewann mit ihrem schlichten Motto "Lieben, können, siegen" die Sympathien vieler Belarussen. Kolesnikowas Markenzeichen - ein mit den Händen geformtes Herz - wurde zu einem Symbol der friedlichen Proteste.
Nach den Wahlen wurden Zepkalo und Tichanowskaja gezwungen, das Land zu verlassen. Doch Kolesnikowa wollte nicht ausreisen. Am 7. September wurde sie mitten in Minsk von Männern in Zivil entführt und später zur ukrainischen Grenze gebracht. Auch ein Ticket nach München sei für sie bereitgestellt worden, berichten ihre Mitstreiter, die mit dabei waren und in die Ukraine ausgereist sind. Doch Kolesnikowa zerriss ihren Pass - und blieb in Belarus. Nun befindet sie sich in der Stadt Zhodino in Untersuchungshaft. Wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" drohen ihr bis zu 5 Jahren Haft.
Briefe, Petitionen, Postkarten
"Am Tag der Entführung haben wir über die sozialen Netzwerke ein Statement verbreitet", so Schädler. "Daraus hat sich schnell eine Initiative vieler Kulturschaffender aus ganz Deutschland entwickelt. Wir haben gemeinsam einen Brief an Angela Merkel verfasst und sie gebeten, dass sie sich für die Freilassung von Maria und den anderen Gefangenen einsetzt", erzählt die Regisseurin gegenüber der DW. Außerdem starteten sie eine Online-Petition, die an Alexander Lukaschenko adressiert ist. Diese haben inzwischen mehr als 36.000 Menschen unterschrieben.
Sängerin Natasha López kennt "Mascha", wie Freunde Maria Kolesnikowa nennen, aus Studienzeiten. Die beiden sind Mitglieder im Gesangstrio "Vis-à-vis". "Sie ist lustig, stark, lebendig. Sie kämpft dafür, was sie will", sagt López. 2019 traten die beiden Frauen gemeinsam bei einer Improvisations-Performance namens "No voice - no body" auf, die dem Thema Macht und Freiheit gewidmet war.
"Die Choreografin hat gefragt, in welcher Situation wir unfrei waren. Mascha hat über Belarus erzählt", sagt López. Szenisch wurde das so umgesetzt, dass Maria Kolesnikowa Flöte spielte, während Menschen um sie herum versuchten, ihr das Instrument wegzunehmen. Auf einer Leinwand waren dabei Videos früherer Proteste und ihrer Niederschlagung in Belarus zu sehen. Danach wurde ein Ausschnitt aus ihrer Rede gezeigt: "Es gibt nie Freiheit pur. Die Entscheidung, frei zu sein, bedeutet Verantwortung für mich selbst. Frei zu sein ist schwieriger als das zu akzeptieren, was schon da ist". Doch für sie sei dies der einzige Weg zu existieren.
Lachminute statt Schweigeminute
Dass eine Musikerin zur Politikerin geworden ist, sei eine logische Entwicklung, findet der Komponist Sergej Newskij. "Man kann in einer Diktatur nicht 'ein bisschen' neue Musik, IT oder funktionierende Industrie machen. Das wird früher oder später über seine Grenzen hinauswachsen. Menschen werden verstehen, dass sie ihre Rechte haben". Newskij war einer von etwa 250 Menschen, die am 13. September an einer Solidaritätskundgebung für Maria Kolesnikowa in Stuttgart teilgenommen haben.
Auch Hugo Rannou, das dritte Mitglied des Trios "Vis-à-vis", war dabei. Seiner Meinung nach ist Kolesnikowas prägnantestes Merkmal ihr Lachen. "Wir möchten wie Maria auf Bedrohung und Gewalt mit Herz und Freude antworten", sagte er und forderte die Anwesenden zu einer Lachminute auf. "Lachen macht frei und tötet die Angst", sagte der Musiker. Als er auf der Bühne laut ins Mikro lachte, ließen sich viele von seinem Lachen anstecken. Danach schrien sie: "Es lebe Belarus!" und "Lasst unsere Mascha frei".
Kolesnikowas Stuttgarter Mitstreiter und Mitstreiterinnen wollen nicht aufgeben - ganz nach ihrem Vorbild. Denn was machte Maria Kolesnikowa, als ihr ihre Flöte während der Performance "No voice - no body" weggenommen wurde? Sie schnappte sich einfach eine E-Gitarre und spielte weiter.