Wohnen im Kloster
11. Dezember 2012Auf der langen Tafel im Speisesaal liegen Tannenzweige, dazwischen stehen vier grüne Weinflaschen. Lina Pfiffner steckt vier rote Kerzen hinein. "Wir haben schon ein paar Mal überlegt, wo wir einen Adventskranz herkriegen", sagt die Auszubildende an der Akademie für Kommunikation in Ulm. Jetzt steckt sie einfach selbst ein paar Zweige von der großen Tanne, die hinter dem Franziskanerkloster steht, zusammen. Dort, wo sich bis vor drei Jahren noch Franziskanermönche zum Austausch getroffen haben, staunen jetzt Studierende und Auszubildende über Linas Weihnachtsschmuck.
Ehrenamtliche renovierten das Kloster
Not hat in Ulm erfinderisch gemacht. Nachdem das Kloster in der Ulmer Weststadt im Jahr 2009 aufgelöst wurde, stand das weiße Gebäude mit der angebauten Kirche drei Jahre lang leer. Als dann die Erstsemesterwelle in diesem Sommer auch auf Ulm zurollte, kam die ehemalige Stadträtin Sabine Schuler auf die Idee, die jungen Studierenden im Kloster unterzubringen. Winfried Reisch von der katholischen Studentengemeinde Ulm gefiel die Idee. Und als auch die Eigentümerin, die Schulstiftung der Diözese Rottenburg, einverstanden war, konnten die Renovierungsarbeiten beginnen. Die Zimmer wurden gestrichen, Waschbecken installiert, die elektrischen Leitungen kontrolliert. Viele Ehrenamtliche packten mit an, der Rest wurde zum Großteil aus Spenden bezahlt. Dann ging eine Anzeige online. Die Resonanz war riesig, erinnert sich Matthias Lutz, der für die Mietverträge zuständig ist.
Billige Bleibe attraktiv für ausländische Studierende
Mittlerweile sind 27 junge Leute aus acht Nationen eingezogen. „Wir könnten locker noch einmal so ein Gebäude füllen", sagt Matthias Lutz. Die meisten Bewohner kommen aus Deutschland, ansonsten sind die Herkunftsländer über den Erdball verstreut: Spanien, China, Pakistan, Palästina oder Syrien. Für ausländische Studierende, die sich die Unterkunft nicht leisten können, stellt die Kirchengemeinde zehn mietfreie Zimmer zur Verfügung, nur Nebenkosten fallen an.
Ansonsten kostet ein Zimmer maximal 220 Euro. "In Ulm eine günstige Wohnung zu finden, das ist sehr schwer. Wenn man dann noch kaum deutsch kann, ist es fast unmöglich", sagt Jesùs Lugo Arnas aus Madrid. Es sei allerdings schon ein seltsames Gefühl, fügt er hinzu, dass in den Zimmern bis vor kurzem noch Mönche gewohnt hätten.
Die Mietverträge laufen bis August 2013. Was aus dem ehemaligen Kloster künftig werden soll, weiß die Kirche noch nicht. „Das ist wie ein Schullandheim, nur ohne Lehrer“, lacht Sabrina Pfleiderer. „Wohnheim-Mami“ wird sie liebevoll genannt. Die Psychologie-Studentin kümmert sich um die Belange ihrer Mitbewohner, die wie in einer großen WG zusammenleben. Die Studierenden unternehmen viel gemeinsam. "Jetzt kann ich endlich Deutschland richtig kennenlernen, weil ich auch Kontakt zu Deutschen habe", freut sich Adnan Shah aus Pakistan. In dem Wohnheim, wo der er vorher gewohnt hat, sei das nicht so gewesen.
Plastikskelett, Kruzifix und eine Marienstatue
Jeder, der das ehemalige Kloster betritt, wird von einer Marienstatue mit Jesuskind auf dem Arm begrüßt. Am Ende des langen Ganges im Erdgeschoss hängt ein großes Kruzifix. Von der letzten gemeinsamen Party an Halloween hängt noch ein Plastikskelett an der Wand – direkt neben den bunten Kirchenfenstern. "Es ist eine sehr friedliche Atmosphäre hier", meint Adnan, "eine ganz neue Erfahrung für mich." Das große Kruzifix erinnert die Studierenden allerdings daran, dass es auch einige Auflagen gibt: Die Stockwerke sind nach Geschlechtern getrennt, unter dem Dach die Männer, im Stockwerk darunter die Frauen. Und: Mittwochs ist Gottesdienst in der angrenzenden Kirche. Das sei aber kein Problem, meint Sabrina Pfleiderer. "Da dürfen wir halt kein Rambazamba machen."