Hauswächter und Student
30. November 2012Sander Koers hat schon öfter darüber nachgedacht, sich ein Skateboard anzuschaffen. Von seinem Zimmer bis zur Dusche sind es 30 Meter, bis zur Küche sind es hundert. Sein nächster Mitbewohner wohnt ein Stockwerk über ihm, den Flur einmal hin bis zur Treppe, die Treppe hoch und den oberen Flur wieder zurück.
Der niederländische Student und seine Mitbewohner sind Hauswächter im Collège Voltaire, einem ehemaligen französischen Gymnasium in Berlin-Reinickendorf. Zu sechst bewohnen sie 23.000 Quadratmeter, inklusive Fußballfeld, Basketballfeld, Tischtennisplatten und einer kleinen Aula mit Bühne.
Wohnen im Klassenzimmer
Zwar liegt das Gelände weitab der beliebten Berliner Kneipen und Clubs, aber das macht dem 25-jährigen Studenten nichts aus. "Dafür habe ich viel Lebensraum", sagt er. Über Freunde erfuhr Koers von der Möglichkeit, sich bei der Firma Camelot als Hauswächter zu bewerben und in leer stehende Gebäude einzuziehen.
Inzwischen wohnt er schon seit zwei Monaten im ehemaligen Dokumentationsraum des Collège Voltaire, ganz allein im Erdgeschoss. Für seine 100 Quadratmeter zahlt er 175 Euro. Er hat einen riesigen Arbeitstisch vor die noch immer kreidestaubige Tafel gestellt, vom Schreibtisch aus blickt er durch eine breite Fensterfront direkt ins Grüne.
Kein Nagel an die Wand
Mobiliar, Schulräume, Sportanlagen: alles dürfen die Hauswächter nutzen. Im Gegenzug schauen sie im Gebäude nach dem Rechten. "Ich muss aufpassen, dass das Gebäude so bleibt, wie es ist. Ich darf zum Beispiel keine Nägel in die Wand schlagen", erzählt Koers. Außerdem muss der Student darauf achten, dass keine Fremden aufs Gelände kommen. Und er muss der Firma Camelot melden, wenn eine Scheibe kaputt ist oder es einen Rohrbruch gegeben hat.
Die niederländische Firma vermittelt seit Anfang der 90er Jahre Haushüter für leer stehende Gebäude. In den Niederlanden und Großbritannien ist das Wohnen in Verbindung mit einem Wächter-Job seit Jahren populär. Seit 2010 gibt es die Möglichkeit auch in Deutschland. In den Regionen um Hamburg, Düsseldorf und Berlin wohnen die Hauswächter in leerstehenden Chemiewerken, Krankenhäusern, Sozialämtern oder Kurheimen.
Keine Zigaretten, keine Parties
"Es ist für die Gebäude selbst und für die Umgebung einfach schöner, wenn Häuser bewohnt sind", erklärt Katrin Betzing vom Camelot-Regionalbüro Berlin. Denn wenn ein Gebäude länger leer stehe, könne man es nach zwei Jahren nicht einfach wieder in Betrieb nehmen. "Dann sind oft Scheiben eingeschmissen, Müll liegt herum, manchmal sind Räume ausgebrannt." Bewohnte Häuser lassen sich laut Betzing viel besser weiter verwerten.
Damit das Konzept aufgeht, müssen sich Hauswächter an strenge Regeln halten: Keine Zigaretten, keine Haustiere, keine Kinder und keine Partys mit mehr als zehn Leuten. Wer vorhat, längere Zeit zu verreisen, muss sich abmelden, wer Gäste hat, die länger als zwei Tage bleiben wollen, muss sie anmelden.
Verantwortung ist gefragt
Verantwortungsbewusstsein und Verlässlichkeit sind Grundvoraussetzungen für einen Haushüter-Job, betont Katrin Betzing. Wer einfach nur ausgefallen wohnen will, kommt in der Regel nicht infrage.
"Für unser Krankenhaus hier in Berlin hatten wir anfangs 30 Bewerber", berichtet die Mitarbeiterin des Camelot-Büros: "Doch nachdem ich erzählt habe, was gemacht werden muss, standen am Ende nur noch fünf Leute da, die einziehen wollten." Flexibel sollten Haushüter auch sein, denn sobald ein Eigentümer sein Gebäude weiter nutzen will, müssen die Bewohner ausziehen.
Sander Koers stört das alles nicht. Anderthalb Stunden pro Woche, schätzt er, ist er mit Hauswächter-Arbeiten wie Putzen und Schäden-Melden beschäftigt – große Mühe bereite das nicht. Und: wenn er aus dem Collège Voltaire ausziehen muss, kann er sich durchaus vorstellen, gleich den nächsten Hauswächter-Job anzutreten. "Ich bin mittlerweile so daran gewöhnt, viel Platz zu haben, dass ich mit einem kleinen Studentenzimmer nicht mehr auskommen würde", sagt er.