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PolitikEuropa

Streit um EU-Haushalt: Merkel soll es richten

19. November 2020

25 gegen zwei beim Video-Gipfel: Polen und Ungarn blockieren die Corona-Hilfen aus eigenen Interessen. Kanzlerin Merkel soll einen Ausweg finden. Die Zeit drängt. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Deutschland Berlin | Angela Merkel Pressekonferenz nach EU-Videogipfel
Bild: Michael Sohn/AFP/Getty Images

"Wir unterschätzen den Ernst der Lage nicht", sagte der Vorsitzende der Gipfelrunde, Charles Michel, nach einer virtuellen Sitzung in Brüssel zum Streit um den Haushalt und die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Mit anderen Worten: Die EU steckt in einer veritablen Krise. Ungarn und Polen hatten den gesamten Haushaltplan der EU für die nächsten sieben Jahre inklusive eines 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufonds am Montag platzen lassen, weil sie eine Verknüpfung von Auszahlungen mit der Überprüfung rechtsstaatlicher Grundsätze ablehnen.

"Es ist nötig, den Haushaltsplan, den wir im Juli vereinbart haben, auch wirklich umzusetzen", sagte Gipfelchef Charles Michel. Doch es sieht nicht so aus, als wären der polnische Ministerpräsident Mateusz Moriawiecki und der ungarische Premier Viktor Orban bereit, ihr Veto wieder aufzugeben. Beide begründeten kurz, warum sie eine Überprüfung ihrer Rechtsstaatlichkeit ablehnen. Ihre Staaten stehen schon seit Jahren wegen einer Aufweichung ihrer rechtsstaatlichen Ordnung in der Kritik. Eigentlich sollte Rechtsstaatlichkeit die in einem EU-Mitgliedsland eine Selbstverständlichkeit sein.

"Erpresst oder betrogen?"

Auf die Frage der DW bei der abschließenden Pressekonferenz, ob er sich von Ungarn und Polen betrogen oder erpresst fühle, antwortete Charles Michel ausweichend: "Ich will jetzt nichts sagen, was die Situation noch schlimmer macht." Es sei aber klar, dass Millionen von Menschen, die durch die Pandemie wirtschaftlich geschädigt worden seien, auf die Mittel aus dem Corona-Aufbaufonds warten würden. Man werde hart dafür arbeiten, dass ein Haushalt zustande komme.

Orban (li.) und Morawiecki: Rechtsstaatliche Prüfungen verbitten sie sich
Orban (li.) und Morawiecki: Rechtsstaatliche Prüfungen verbitten sie sichBild: Omar Marques/Getty Images

Bleiben Ungarn und Polen bei ihrer Haltung, können die Gelder aus dem Konjukturprogramm gegen COVID nicht wie geplant von Januar an ausgezahlt werden. Das würde besonders die bedürftigeren Länder im Süden Europas treffen. Viktor Orban hatte schon vor dem virtuellen Videogipfel klar gemacht, dass ihm das egal sei. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez besteht auf der geplanten Umsetzung des Corona-Fonds. Aus der niederländischen Delegation hieß es, man könne auch einen Haushalt mit 25 EU-Staaten zimmern und Ungarn und Polen außen vor lassen. Das sei schwierig, aber technisch machbar.

Echte Diskussion vertagt

Wirklich diskutiert wurde die Haushaltskrise am Donnerstagabend nicht. Nach nur 15 Minuten ging Gipfel-Chef Charles Michel zum nächsten Tagesordnungspunkt, zur Pandemiebekämpfung über. Michel meinte, ein so heikles Thema wie der Streit um Haushalt und Rechtsstaatlichkeit lasse sich nicht in einer Videokonferenz beilegen. Alle Delegationen sollten Disziplin wahren. Das nächste persönliche Treffen, bei dem dann auch richtig gestritten und verhandelt werden kann, ist erst in vier Wochen kurz vor Weihnachten in Brüssel geplant. Sich so richtig anschreien, drohen und in kleinen Grüppchen etwas aushecken, könne man per Videoschalte eben nicht, sagte ein EU-Diplomat, der anonym bleiben will.

Ratspräsident Charles Michel, allein in Brüssel beim Video-Gipfel mit 27 EU-Staaten
Ratspräsident Charles Michel, allein in Brüssel beim Video-Gipfel mit 27 EU-StaatenBild: Dursun Aydemir/Anadolu Agency/picture alliance

Merkel will irgendwie vermitteln

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als derzeit amtierende Ratspräsidentin der EU jetzt wieder mit Ungarn und Polen um einen Kompromiss feilschen müsste, gab sich nach der Sitzung schmallippig. Sie sagte, das Europäische Parlament könne nun nicht wie geplant in der kommenden Woche über den EU-Haushalt abstimmen. Die Vereinbarung zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit, die auf dem Tisch liegt, finde sie "eigentlich sehr gut", sagte Merkel. Sie ließ nicht erkennen, ob und wie sie Forderungen von Ungarn und Polen nachkommen könnte oder die beiden Regierungen mit Druck vielleicht umstimmen könnte. Zwar hätten Ungarn und Polen ein Veto eingelegt, aber diese Situation sei noch "kein Grund zur Sorge", so die Bundeskanzlerin.

Kritik von Europa-Abgeordneten

Aus dem Europäischen Parlament, das dem 1,8 Billionen-Finanzpaket aus Haushalt und Corona-Fonds informell bereits zugestimmt hatte, kam heftige Kritik an der Uneinigkeit im Europäischen Rat. Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, forderte die deutsche Ratspräsidentschaft zum Handeln auf. "Alles läuft jetzt auf einen physischen Haushaltsgipfel Mitte Dezember hinaus. Das ist kein gutes Zeichen. Das Europäische Parlament lässt sich vom Rat nicht treiben und von Viktor Orban nicht erpressen. Der Ball liegt weiter bei Kanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Michel", erklärte Rasmusen in Brüssel.

Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, die mit der ungarischen Regierungspartei Fidesz in einer Fraktion sitzt, sagte, sie reagiere grundsätzlich nicht auf Provokationen. Und um eine solche handelt es sich nach ihrer Ansicht bei dem Veto aus Polen und Ungarn. "Rechtstaatlichkeit ist in der EU nicht verhandelbar", sagte Hohlmeier bei einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel. Den gesamten Corona-Fonds aus politischen Gründen zu blockieren, sei "besonders perfide".

Die Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD) sieht keine Möglichkeit für das Europäische Parlament, den ausgehandelten Haushalt, zu dem auch der Rechtsstaatsmechanismus gehört, noch einmal aufzuschnüren. "Die EU war zu lange zu nachsichtig mit Polen und Ungarn", so Barley. Ungarn werde bereits seit zehn Jahren mit Kritik und Verfahren überzogen, Polen seit fünf Jahren.

Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa ergriff beim Video-Gipfel ebenfalls das Wort und forderte alle Seiten auf, einen Kompromiss zu suchen. Er ließ dabei, nach Angaben aus Delegationskreisen, durchaus Sympathien für die Haltung Ungarns und Polens erkennen.

Wie schwer Jansas Appell wiegen wird, ist nicht klar. Klar ist nur, dass seine politische Urteilsfähigkeit etwas angeschlagen ist. Jansa ist der einzige EU-Regierungschef, der Donald Trump zum Wahlsieg in den USA gratuliert hat. 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union