Stay hilft Flüchtlingen beim Bleiben
20. August 2015Ein großgewachsener Jugendlicher schlurft herein in Richtung Terrasse, er trägt Kapuzenjacke und Kappe, seine Schultasche lässig über die Schulter gehängt. "Das ist Richard aus Ghana", stellt ihn Michael Lukas vor, ein Sozialarbeiter der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative Stay. Richard lässt sich auf einer Bierbank nieder und schiebt Lukas einen Brief von seiner Berufsschule hin. Er soll sich für ein Praktikum bewerben. Nächste Woche müsse er irgendwo anfangen, steht in dem Brief. Lukas ist fassungslos, denn Richard ist erst seit vier Tagen an der Berufsschule und hat noch Sprachprobleme. Deutsch verstehe er schon, nur antworten könne er nicht. Michael Lukas verspricht zu helfen, gleich morgen früh wolle er telefonieren und sehen, was er für Richard tun könne.
Jeden Donnerstag bieten Lukas und seine drei Kollegen in einer zweistündigen Sprechstunde Flüchtlingen Unterstützung an. Neben den festangestellten Sozialarbeitern gibt es beim Verein Stay (englisch für "Bleiben") in Düsseldorf-Oberbilk noch viele ehrenamtlich Engagierte. Angefangen haben sie 2008 mit einer medizinischen Sprechstunde für Migranten. Dann hat es sich "so eingeschlichen", dass sie auch Alltagsfragen beantworteten, sagt Lukas, denn "das lässt sich manchmal schwer trennen".
Daneben hat Stay unter anderem einen Treff für Kinder und Jugendliche, bietet kostenlose Sprachkurse und Freizeitaktivitäten an, etwa Theatergruppen und Besuche von Fußballspielen.
Ärzte helfen ehrenamtlich
Ihre Klienten sind Asylbewerber, Migranten mit legaler Aufenthaltserlaubnis, sogenannte Geduldete und diejenigen, die Michael Lukas als "Papierlose" bezeichnet, Menschen, die ohne gültigen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Für sie ist die Sprechstunde besonders wichtig, weil sie keinen anderen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, so Stay-Mitarbeiterin Regine Heier. Sie könnten sich nicht krankenversichern, weil sie nirgendwo gemeldet seien. Deshalb schleppten viele ihre Krankheiten lange mit sich herum, bevor sie sich an Stay wendeten.
"Die Leute kommen mit ganz unterschiedlichen Problemen zu uns. Das sind oft Schwangerschaften, das können aber auch akute Zahnschmerzen sein", sagt Heier. Theoretisch können sie sich auch im Krankenhaus oder von niedergelassenen Ärzten behandeln lassen, aber diese wären dann gezwungen, ihre papierlosen Patienten der Ausländerbehörde zu melden. Wenn sie überhaupt helfen. "Viele Ärzte nehmen keine Menschen ohne Versicherungskarte, die schicken sie dann einfach weg", so Heier. Außer bei lebensbedrohlichen Erkrankungen - aber Zahnschmerzen sind nun mal nicht lebensbedrohlich. Stay hat darum das medizinische Netzwerk MediNet aufgebaut, bei dem rund 50 Ärzte ehrenamtlich mitarbeiten und Patienten behandeln.
Sorge um die Familie
An diesem Donnerstag ist die Sprechstunde gut besucht: ein Kameruner mit Augenproblemen, eine junge serbische Frau, die im achten Monat schwanger ist und deren Mann nichts mehr von ihr wissen will, und ein Afghane, der vor drei Jahren geflohen ist und regelmäßig im Büro von Stay vorbeikommt. Und Mohannad.
Mohannad hat kein medizinisches Anliegen. Er sei vor einem Jahr aus Syrien geflohen, übersetzt der Dolmetscher Haytham Khalil. Immer wenn Bomben auf Damaskus fielen, habe er mit seiner Familie das Haus verlassen, damit es nicht über ihnen zusammenbräche - so lange, bis es tatsächlich eingestürzt sei.
Mohannad ist schon zum zweiten Mal bei Stay, weil er auf eine Antwort der deutschen Botschaft im Libanon wartet. Die soll seiner Familie die Einreise nach Deutschland genehmigen - dazu müssen die Verwandten aber erst einen Termin bekommen, um bei der Botschaft vorzusprechen. Für seine Frau und seine acht Monate alte Tochter gebe es diesen Termin schon. Mohannad möchte aber auch seine Eltern und seine beiden Schwestern nach Deutschland holen - sie haben noch keine Nachricht von der Botschaft. Das deutsche Aufenthaltsgesetz sieht vor, dass Ehepartner und minderjährige Kinder von Flüchtlingen nachkommen dürfen. Ob Eltern und Geschwister einreisen dürfen, liegt im Ermessen der Behörden.
Sozialarbeiter Lukas versucht zu erklären, wieso noch keine Antwort aus Beirut da ist: "Gerade die deutschen Botschaften im Libanon und der Türkei haben natürlich viel zu tun, weil dort so viele Flüchtlinge aus Syrien vor der Tür stehen." Derzeit müssten Bewerber bis zu einem Jahr warten. Mohannad ist nun aber schon seit einem Jahr von seiner Familie getrennt, seine kleine Tochter hat er noch nie gesehen.
Perspektiven finden in Deutschland
Lukas und seinen Kollegen werden allwöchentlich mit solchen Schicksalen konfrontiert. Zusammen ergeben sie ein Mosaik aus Geschichten: Die Geschichten geflüchteter Menschen, die versuchen, sich in Deutschland zurechtzufinden.
So wie Richard. Er ist vor etwas über einem Jahr auf der Suche nach seiner Mutter nach Deutschland gekommen. Sie hat Ghana verlassen, als er noch ein Kind war. Richard fand sie tatsächlich und durfte als ihr minderjähriger Sohn bleiben. Seit er 18 Jahre alt ist, darf er nur in Deutschland bleiben, weil er die Berufsschule besucht. Die schwierigen ausländerrechtlichen Fragen sind es, derentwegen er immer wieder bei Stay Unterstützung sucht. Nach Ghana will er nicht zurück - sein Vater sei tot und andere Familienmitglieder habe er nicht. Seine Zukunft in Deutschland bereitet ihm noch Kopfzerbrechen - es sei schwer in der Schule, weil er noch wenig Deutsch spreche. Wenn er das besser kann, will er etwas mit Computern machen. Später - wenn er solange bleiben darf. Dabei wollen Michael Lukas und seine Kollegen von Stay ihm zur Seite stehen.