Herausforderung, keine Überforderung
19. August 2015Die Zahl der Asylsuchenden, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen, wird aller Voraussicht nach Rekorde brechen. Nach der jüngsten Prognose der Bundesregierung, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin vorstellte, könnte die Zahl bis zum Jahresende auf 800.000 hochschnellen.
"Das ist mehr als das Doppelte gegenüber der Frühjahrsprognose, und das ist etwa das Vierfache gegenüber dem Vorjahr", erklärte der Minister in einer Pressekonferenz und betonte: "Wir sind alle gefordert, überfordert ist Deutschland mit dieser Entwicklung nicht." Er machte aber auch klar, dass Deutschland nicht auf Dauer rund 40 Prozent aller Flüchtlinge, die nach Europa kommen, "alleine aufnehmen und schultern" könne. Hier müsse es eine gerechtere Verteilung geben.
Dramatischer Anstieg im Sommer
Die Korrektur der Prognose begründete de Maizière mit dem drastischen Anstieg der Einreisezahlen in den vergangenen Wochen, der nicht vorhersehbar gewesen sei. So sind allein im Juli fast 83.000 Flüchtlinge in Deutschland eingetroffen, viele von ihnen aus den Bürgerkriegsländern Syrien, Irak und Afghanistan. Nie zuvor sind in einem Monat so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.
Die Migration über die Ägäis-Route und den Balkan habe erheblich zugenommen, berichtete der Minister. Zudem sei die Lage in den Konfliktregionen des Nahen Ostens und aus Afrika, aus denen viele Flüchtlinge kommen, unverändert schwierig. Nicht zuletzt sind die Zahlen auch deshalb höher, weil sie neuerdings nicht mehr auf der Basis der schon gestellten Asylanträge berechnet werden. Ab sofort zählt die Zahl der registrierten Flüchtlinge, selbst wenn sie ihren Antrag de facto noch nicht abgeben konnten.
Asylanträge schneller bearbeiten
Vor der Pressekonferenz hatte der Bundesinnenminister die Länder über die neuen Zahlen informiert. Viele Städte und Kommunen stoßen bei der Aufnahme der Flüchtlinge an ihre Grenzen, da sie weder genügend Unterkünfte noch ausreichend Personal zur Verfügung haben. So kamen allein im Juli gut 4100 Flüchtlinge nach Berlin und warteten dort teils tagelang auf ihre Registrierung. Freiwillige Helfer unterstützen die überforderten Behörden dabei, Wasser und Getränke zu verteilen und Schlafplätze herzurichten.
Ein Schlüssel liegt in der schnelleren Bearbeitung der Asylanträge. Hier sei schon einiges passiert, betonte Thomas de Maizière. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe mehr Personal bekommen und könne so die Anträge schneller bearbeiten. Die durchschnittliche Dauer eines Asylverfahrens in Deutschland sei auf 5,4 Monate gesenkt worden.
Immer noch viel zu lange, sagen Kritiker. Derzeit sind sind noch etwa 250.000 Verfahren offen. De Maizière kündigte an, vier überregionale Entscheidungszentren einzurichten, die im kommenden halben Jahr 200.000 Asylgesuche abarbeiten sollen.
Migration aus dem Balkan bremsen
Unverändert hoch ist der Zustrom von Migranten aus dem Balkan, etwa aus Albanien oder dem Kosovo. Von dort kamen zwischen Januar und Juli mehr als 40 Prozent aller Asylbewerber. "Das ist inakzeptabel und für Europa blamabel", sagte de Maizière sichtlich unzufrieden. Diese Asylanträge werden fast alle abgelehnt und binden so Kapazitäten.
Die deutschen Behörden stufen jetzt schon Serbien, Bosnien und Mazedonien als sogenannte "sichere Herkunftsländer" ein, was ihnen erlaubt, die Anträge in einem Schnellverfahren zu prüfen. Seit Anfang August verhängt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außerdem Einreiseverbote für abgelehnte Asylbewerber vom Balkan, damit diese nicht erneut einen Asylantrag in Deutschland stellen. Die Bundesregierung erwägt, künftig auch Montenegro, Albanien und Kosovo in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufzunehmen. Dafür hatten sich zuletzt auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ausgesprochen.
Flüchtlinge willkommen
Insgesamt liegt die Anerkennungsquote bei den Asylanträgen bei 40 Prozent. Jeder Flüchtling habe das Recht, anständig untergebracht und würdig behandelt zu werden. "Hass, Beleidigungen, Angriffe auf Asylbewerber oder Asylbewerber-Einrichtungen sind unseres Landes unwürdig", sagte de Maizière. "Wir werden dem mit aller Härte entgegentreten." Ein Koordinierungsstab von Bund und Ländern soll sich ab Montag mit dem derzeitigen Top-Thema der deutschen Politk befassen; der nächste Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen ist für den 24. September geplant.