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St. Pauli: Subkultur in der Bundesliga

Stuart Braun
Veröffentlicht 23. August 2024Zuletzt aktualisiert 24. August 2024

Beim Hamburger Verein FC St. Pauli, gerade in die erste Bundesliga aufgestiegen, geht es um mehr als nur um Fußball. Leidenschaft für die Musik und soziales Engagement sind Spielern und Fans genauso wichtig.

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St. Pauli-Fans schwenken eine Fahne in Regenbogenfarben, auf der ein Totenkopf prangt
Der Totenkopf ist das Emblem der St. Pauli-FansBild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Als der US-Musiker Dave Doughman Anfang der 2000er-Jahre mit seiner Band durch Deutschland tourte, war die Konzerthalle in Hamburg so lange leer, bis der örtliche Fußballverein FC St. Pauli sein Spiel beendete. "Plötzlich war der Saal voll mit Leuten, die Jolly-Roger-T-Shirts trugen", dem Totenkopfsymbol des Vereins. "Was ist das hier, ein Piratentreffen?", fragte er sich. 

Doughman stammt aus Dayton im US-Bundesstaat Ohio und hatte, wie er sagt, "eigentlich kein Interesse an Fußball". Doch dann erkannte der Sänger und Gitarrist schnell: Die "Freibeuter" waren gleichermaßen Fußball- und alternative Musikfans. Sie wandten sich gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus. Der Indie-Musiker fühlte sich angesprochen.

Der Song "Hells Bells" der Rockband AC/DC ist die Hymne des Fußballvereins. Bei jedem Tor erklingt zudem der "Song 2" der Britpop-Band Blur. Auch das sei "cool", entschied Doughman. Bald entdeckte er St. Pauli-T-Shirts bei Konzerten in ganz Deutschland. Er fand so Anschluss an eine Fußballkulturszene, die ihre Wurzeln in den Bohème-Kneipen, Clubs und besetzten Häusern der Hamburger Innenstadt hat. Er begann sogar selbst, Sport zu treiben.

Ein Musiker steht vor einer jubelnden Menge aus Fußballfans
"St. Pauli 'til I die": Dave Doughman besingt im Mai 2024 auf der Reeperbahn mit über 50.000 Fans den Aufstieg der MannschaftBild: David Luther

Internationale Musiker fiebern mit St. Pauli

Seit 2010 lebte Doughman selbst im Hamburger Stadtteil St. Pauli, der an das berühmte Vergnügungs- und Rotlichtviertel Reeperbahn grenzt. Mit seiner Band Swearing at Motorists veröffentlichte er im Jahr darauf den Song "St. Pauli 'til I die" (Deutsch: St Pauli bis zum Tod). Kurz darauf gründete er im legendären Millerntor-Stadion des Vereins eine Musikschule.

Von Pop-Superstar Ed Sheeran über die US-Punkband Blink 182 bis hin zu den irischen  Post-Punkern Fontaines D.C. - immer mehr internationale Musiker werden heute mit dem kultigen Jolly-Roger-T-Shirt und der Jacke gesichtet. Andere, von Green Day über Bad Religion bis hin zu den Kaiser Chiefs, haben inzwischen am Millerntor Station gemacht, um dem Fußball-Verein ihren Respekt zu erweisen.

Sie alle feiern, dass St. Pauli in dieser Saison zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder in der ersten Bundesliga spielt. Am Sonntag, dem 25.08.2024, absolviert die Mannschaft ihr erstes Spiel. Das Millerntor-Stadion, soviel ist sicher, wird beben.

Fußball und Kampf gegen Faschismus eint die Fans

Der Verein St. Pauli setzt sich für die Rechte von Geflüchteten, People of Color und Obdachlosen ein, seit sich in den 1980er-Jahren Hausbesetzer und antifaschistische Aktivisten hinter dem Fußballverein versammelten - ein Kontrast zu der zunehmend rechtsextremen Fangemeinde des Stadtrivalen Hamburger SV. Linke Studenten und Kunstschaffende unterstützen St. Pauli und setzten so auch ein Zeichen gegen die umstrittenen Zwangsräumungen im Stadtteil.

Als gewalttätige Fans des Hamburger SV begannen, Hausbesetzer in der Hafenstraße, die zum Millerntor-Stadion führt, anzugreifen, ließ das die Fangemeinde der St. Pauli-Mannschaft weiter anwachsen. Damals spielte der Verein noch in den unteren Ligen. Bis zum Ende des Jahrzehnts will der Verein seine Zuschauerzahlen verzehnfachen.

Blick durch das Tornetz in das Stadion am Millerntor
Ab sofort wieder erstklassig - der Hamburger Fußballverein FC St. PauliBild: dapd

Die Fans übernahmen den Totenkopf irgendwann in den 1980er-Jahren als ihr inoffzielles Emblem. Auslöser war Doc Mabuse, der Sänger einer Hamburger Punkband, der auch in einem besetzten Haus wohnte. Er hatte eine Jolly-Roger-Flagge an einen Besenstiel genagelt und zum Millerntor gebracht.

Punkmusik wurde zum Markenzeichen des Vereins und Ausdruck eines Anti-Establishment-Ethos, das sich noch immer in einer demokratischen Führungsstruktur niederschlägt. "Viele Kreative, die sich zum Verein hingezogen fühlen, sind nicht unbedingt Sportfans", sagt Doughman. Doch unter den St. Pauli-Fans herrscht ein Gefühl von Vielfalt und Akzeptanz. "Sie kommen, weil sie wissen, dass das Stadion ein sicherer Ort für alle ist."

Kapitän der Mode, der Musik - und von St. Pauli

St. Paulis Mannschaftskapitän, der Australier Jackson Irvine, ist selbst Musiker und hat von klein auf in diversen Bands Gitarre gespielt. Mit seinem Schnurrbart, den langen Haaren und den Tattoos ist er auch eine Modeikone. Manchmal modelt er für lokale und internationale Labels. In der letzten Saison färbte er sich, ganz im St. Pauli-Stil, die Haare pink und trug pink lackierte Fingernägel.

Irvine, der in England und Schottland spielte, bevor er 2021 nach Hamburg wechselte, ist zu einem Symbol für die Authentizität des Vereins geworden. "Im Schatten des Stadions unter den Fans leben zu können", sagte er 2022 beim Sender "St. Pauli TV", "selbst wenn ich kein Fußballer wäre..., ich habe das Gefühl, dass dies meine Art von Viertel wäre, wegen der Kultur und dem Gefühl."

Irvine und sein Partner seien oft in Hamburger Lokalen unterwegs, um lokale Bands zu unterstützen, weiß Doughman. Dazu gehört auch das kultige "Jolly Roger", eine raue Kneipe mit Live-Musik, die an Spieltagen mit St. Pauli-Fans gefüllt ist. Irvine selbst ist bekannt dafür, dass er auf dem Heimweg von einem Heimspiel am Millerntor auf einen Drink vorbeischaut - statt im Luxussportwagen davonzubrausen.

Der St. Pauli-Spieler Jackson Irvine steht im Schneetreiben auf dem Fußballfeld
Winter 2023: Der St. Pauli-Spieler Jackson Irvine gibt seinen Mitspielern taktische AnweisungenBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Der Kapitän trägt gewöhnlich eine Regenbogenfahne als Zeichen der Anerkennung von LGBTQ+-Rechten. "Toxische Maskulinität" und Homophobie im Fußball lehnt er ab.

Den Traum der Fußballgemeinde leben

Heute leitet Doughman eine Musikschule, die von der Modemarke Levi's gesponsert wird. Im "Studio 501" am Millerntor bietet er kostenlosen Unterricht und Aufnahmesessions. Genutzt wird das Angebot von Jugendlichen aus der Gemeinde, darunter auch Flüchtlingskinder, betreuten junge Menschen oder solche mit Einschränkungen. "Welcher andere Bundesligist hat schon ein Musikstudio in seinem Stadion?", fragt der Musiker. 

Doughman hat zuletzt an dem Song "1Traum" mitgewirkt, der den Aufstieg der Mannschaft in die höchste deutsche Spielklasse feiert. Auch viele Fans des Musikers wirkten mit. Die Single schaffte es in die Charts von Spotify. Mit der Rückkehr in die Bundesliga kann der Verein laut Doughman seine Botschaften gegen Rassismus und für die Rechte von Geflüchteten wie "Niemand ist illegal" besser in die Welt tragen. Und selbst wenn die Mannschaft eines Tages wieder absteigen sollte, die Heimspiele von St. Pauli bleiben wahrscheinlich ausverkauft - zu einzigartig ist die Fankultur. "Ein Sieg ist nicht alles", sagt Doughman, "hier geht es um die Menschen und ihre Gemeinschaft".

Aus dem Englischen adaptiert von Stefan Dege.

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.