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Film

Quotenhit: die Netflix-Serie "Squid Game"

Christine Lehnen
5. Oktober 2021

In der südkoreanischen Serie "Squid Game" kämpfen Menschen ums nackte Überleben. Geld oder Moral ist die Frage, die Protagonisten und Zuschauer umtreibt.

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Filmstill aus Squid Game: Ein Mann in goldenen Mantel und mit goldener Maske geht durch einen Raum mit goldenen Wänden
"Squid Game" macht Serienfans süchtigBild: Netflix

Dass die südkoreanische Filmindustrie einiges zu bieten hat, weiß man spätestens seit dem Oscar-Erfolg "Parasite"(2019) des Regisseurs Bong Joon-ho, der auch beim weltweit wichtigsten Filmfestival in Cannes abräumte.  Jetzt macht eine südkoreanische Serie auf Netflix weltweit von sich reden: Rund um den Globus verfolgen viele Menschen gebannt das "Squid Game" (Originaltitel: "Ojing-eo Geim", auf Deutsch: "Tintenfisch-Spiel"), das unter der Ägide von Regisseur Hwang Dong-hyuk entstand.

Darum geht es: Menschen mit Geldproblemen kämpfen in einer Gameshow darum, einen großen Preis zu gewinnen. Um Multimillionäre zu werden, müssen sie zunehmend brutaler werdende Kinderspiele absolvieren - die allerdings tödlich enden können.

In der ersten Folge  sieht man kleinen Jungen auf dem Spielplatz zu, die das sogenannte "Squid Game" (Tintenfisch-Spiel) spielen. Dabei treten zwei Teams gegeneinander an. Ziel ist es, dass die Angreifer mit dem Fuß auf den kleinen Bereich tippen, der "Tintenfischkopf" genannt wird. Wenn sie jedoch von einem Verteidiger ins Aus gedrängt werden, sind sie "tot".

Nach dieser Eingangsszene folgen wir dem Protagonisten Seong Gi-hun durch sein miserables Leben im heutigen Seoul (gespielt mit großer Lust vom hervorragenden Lee Jung-jae). Er wird uns als Versager vorgestellt, der noch bei seiner Mutter lebt und kaum eigenes Geld verdient. Seine Frau hat ihn verlassen, seine Tochter kann er nicht versorgen, ihr nicht einmal ein angemessenes Geburtstagsgeschenk machen. Noch dazu hat er Schulden, die Verbrecher mit Gewalt einzutreiben bereit sind.

Ein Mann mit blutendem Gesicht schaut i nden Spiegel
Seong Gi-hun träumt von einer Zukunft ohne Geldsorgen Bild: Netflix

Was deprimierend sein könnte, wird mit viel Humor erzählt. Insbesondere der genaue Blick für menschliche Torheit, kleine und große Schwächen und Seong Gi-huns schnelle Begeisterungsfähigkeit machen diesen Teil der Folge immer wieder geradezu vergnüglich.

Nichtsdestotrotz lässt sich nicht abstreiten, dass Seong Gi-hun in einer verzweifelten Lage ist. Nun will seine Ex-Frau auch noch mit ihrem neuen Mann und der gemeinsamen Tochter in die USA ziehen. Seong braucht dringend Geld, um das Sorgerecht zurückzugewinnen.

Die tödlichen Spiele beginnen

Bis hierhin hätte man glauben können, man schaue eine unterhaltsame Mischung aus dem südkoreanischem Oscarerfolg "Parasite"und einem recht konventionellen amerikanischen Hollywoodfilm über einen lausigen Familienvater.

Aber dann, in der zweiten Hälfte der ersten Folge, ändert sich der Ton von "Squid Game" dramatisch: Seong Gi-hun wird an einer U-Bahn-Haltestelle von einem Mann im Anzug angesprochen. In einer eindrücklichen Szene gestattet Seong Gi-hun dem Mann, ihn zu ohrfeigen, um 100.000 won zu erhalten (rund 72 Euro). Daraufhin lädt der Mann ihn dazu ein, an einem "Spiel" teilzunehmen, das ihm viel Geld einbringen könnte.

Filmstill aus Squid Game: Menschen mit grünen Anzügen schauen auf eine Bühne. Dort stehen Menschen in rosafarbenen Anzügen
Die Spiele mögen beginnen!Bild: Netflix

Seong Gi-hun stimmt zu - und findet sich kurz darauf auf dem Gelände des "Squid Game" wieder. 456 Menschen treten an, um sechs Spiele zu absolvieren; ihnen winken am Ende 45,6 Milliarden won Preisgeld (rund 75 Millionen Euro). Es handelt sich um Kinderspiele wie jenes, das wir zu Anfang der Serie beobachten durften. Nur, dass diese Spiele tödlich enden: Verliert man, wird man an Ort und Stelle erschossen.

Wie "Squid Game" die Stärken des koreanischen Films ausspielt

Damit steht die Serie in der Tradition von weltweiten Bestsellern wie "Herr der Fliegen" (1954) aus der Feder des britischen Nobelpreisträgers William Golding, "Battle Royale" (1999) vom japanischen Schriftsteller Kōshun Takami und Suzanne Collins' "Die Tribute von Panem"(2008), wo in diversen Spielen ebenfalls ums Überleben gekämpft wird. "Squid Game" orientiert sich aber auch an echten Reality-TV-Serien aus den 1990er-Jahren, vor allen Dingen an "Takeshi's Castle" (1986-1990). Weltweit schaute das Publikum dabei zu, wie echte Menschen sowohl lächerliche als auch gefährlich anmutende Aufgaben und Parcours meistern mussten, um am Ende Takeshis Burg zu erstürmen und mit einem Gewinn nach Hause zu fahren.

Filmstill aus The Hunger Games: Natalie Dormer als Cressida (l.) und Jennifer Lawrence als Katniss mit gespantem Bogen
Auch bei den Tributen von Panem geht es ums Überleben des StärkerenBild: picture-alliance/AP Photo/Murray Close

In dieser zweiten Hälfte der ersten Folge beginnt "Squid Game" dann auch, voll und ganz die Stärken des südkoreanischen Films auszuspielen: die Lust am Stilisierten, Absurden und Fantastischen, die Nähe zum Videospiel und den Mut, in menschliche Abgründe zu blicken. Es herrscht keine Scheu vor Gewaltdarstellungen oder der Lächerlichkeit der eigenen Figuren - und schon gar keine Scheu vor Spannung.

Endlich wieder eine Serie, die süchtig macht

Denn "Squid Game" ist vor allem eines: sehr spannend. Das Verlangen, direkt die nächste Folge schauen zu wollen, ist es, was Streamingplattformen wie Netflix ihren Erfolg sichert. 

Das Spiel in "Squid Game" bringt dabei eine interessante Regel mit sich, die diese Serie von ihren Vorläufern wie "Die Tribute von Panem" oder "Herr der Fliegen" unterscheidet: Wenn die Mehrheit der Mitspieler entscheidet, das Spiel abzubrechen, wird es umgehend beendet. Aber dann gewinnt niemand den Preis.

So werden sowohl die Figuren als auch der Zuschauer mit der Frage konfrontiert, wie weit sie bereit sind, für Geld zu gehen - und wie sehr die kapitalistische Gesellschaft den Menschen Zwängen unterwirft, die sie zur Gewalt treiben. Die Teilnehmer des "Squid Game" sind nicht auf einer einsamen Insel gestrandet oder Opfer einer Diktatur: Sie könnten das tödliche Spiel jederzeit beenden.

Klage wegen zu hohem Datenverkehr 

So erfolgreich ist die vielschichtige wie spannende Serie, dass sie sogar dem bisherigen Quotenhit des Streaming-Riesen, der Anfang des 19. Jahrhunderts am britischen Hof spielenden Historienromanze "Bridgerton", den Rang ablaufen könnte. 

Dieser Erfolg sorgt für eine kuriose Kontroverse: Der Internetanbieter SK Broadband verlangt von Netflix, sich an den Kosten für den erhöhten Netzwerkverkehr in Südkorea zu beteiligen. Der Anstieg sei auf die Veröffentlichung der Hit-Serie zurückzuführen, heißt es, also solle Netflix auch für zusätzliche Wartungsarbeiten im Netz aufkommen.

Die Zuschauer dürfte dieser Streit wenig interessieren - sie hoffen viel mehr darauf, dass Netflix bald eine zweite Staffel herausbringt. 

Alle Folgen der ersten Staffel von "Squid Game" sind seit dem 17. September 2021 auf Netflix zu sehen.