Sitzen geblieben - Flüchtlinge in Somalias Hauptstadt Mogadischu
21. August 2013Dicht an dicht stehen selbst gebaute Notunterkünfte aus Ästen, Plastiktüten, alten Kleidungsstücken, Stoffresten und Plastikplanen. Das Flüchtlingslager Darwish im Zentrum der somalischen Hauptstadt Mogadischu unterscheidet sich kaum von anderen Camps in der Stadt. 400 Menschen teilen sich eine Toilette - 50 dürften es nach dem internationalen Standard für Katastrophensituationen allenfalls sein. In Mogadischu ist die Situation deutlich schlechter, dabei spricht man hier längst nicht mehr von einer Katastrophe, sondern von Alltag. Alltag für rund 300.000 Menschen. Vor einer der einfachen Behausungen steht Abay Nur Ibrahim. "In meiner Familie sind wir insgesamt zehn", erzählt die 48-Jährige, die eines ihrer fünf Enkelkinder auf dem Arm hat. Unter den zehn Menschen ist auch ihre Mutter, eine alte und erblindete Frau. Die zehn Menschen müssen sich zwei Hütten teilen. Da bleibt nachts kaum Platz, um überhaupt einmal die Schlafposition zu wechseln.
Umsiedlungspläne für die Vertriebenen
In Mogadischu gibt es nach unterschiedlichen Schätzungen immer noch bis zu 370.000 Vertriebene. Mohamoud Ahmed Nur, Bürgermeister von Mogadischu, möchte sie möglichst schnell umsiedeln. "Die Verhältnisse in diesen Lagern sind unmenschlich", erklärt er. "Es gibt kaum sanitäre Einrichtungen, Zugang zu Trinkwasser oder Gesundheitszentren“. Außerdem kommen etliche Somalier aus dem Exil zurück, seit das Land wieder eine anerkannte Regierung hat. Viele finden ihre Grundstücke oder Häuser von Flüchtlingen besetzt.
Im September 2012 wurde mit Hassan Sheikh Mohamoud der erste legitime Präsident seit über zwanzig Jahren gewählt. Seitdem nimmt die Wirtschaft langsam Fahrt auf. Auswanderer kehren zurück, vor allem in Mogadischu boomt die Baubranche. Die Türkei und Großbritannien haben eine Botschaft eröffnet. Die Aussichten scheinen so vielversprechend zu sein, wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Die Ärmsten bleiben zurück
Für Nimo Mohamed Maahi sind sie das nicht. "Ich habe Angst vor der Zukunft", sagt die Tochter von Abay Nur Ibrahim, die vor einem Monat hier in dem Lager Drillinge zur Welt brachte. "Wir Frauen haben keine Arbeit. Mein Mann verdient auch kaum Geld." Als Tagelöhner bekomme er an guten Tagen genug für zwei Mahlzeiten aus Bohnen, Mais und Mehl. An schlechten Tagen komme er mit leeren Händen nach Hause, gegessen werde dann nichts, sagt sie.
Die Familie floh während der großen Hungersnot vor zwei Jahren in die Hauptstadt. Von Oktober 2010 bis April 2012 starben in Somalia fast 260.000 Menschen. Abay Nur Ibrahim und ihre Familie hatten Glück und überlebten, wenn auch knapp. Was sie besitzen - zwei Matten, zwei Matratzen, zwei Moskito-Netze, eine Plastikplane und Kochgeschirr - haben sie von der Hilfsorganisation "Save the Children" bekommen. Diese und einige andere Organisationen haben für die Flüchtlinge Trinkwasserstellen gegraben und Toiletten gebaut, leisten grundlegende medizinische Hilfe. Aber von allem gebe es zu wenig, sagt Susan Collyer von "Save the Children". "Nach allen gängigen Indikatoren leben die Menschen hier noch immer in einer Notlage", sagt Collyer. 16 Prozent der Vertriebenen von Mogadischu leiden unter Mangelernährung. Die Schwelle, ab der die Weltgesundheitsorganisation von einer Notlage spricht, liegt bei 15 Prozent.
Die Katastrophe als Alltag
Zwar habe sich die Lage in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich verbessert, so Collyer. "Aber wenn wir mit den Bewohnern der Lager reden, hören wir immer wieder, die Menschen bekämen jetzt viel weniger Hilfe von den Hilfsorganisationen, als noch vor einem Jahr.“ Unter dem Strich hätten manche weniger als vorher. Auch "Save the Children" konnte vor einem Jahr noch regelmäßig Nahrungsmittel an die Vertriebenen verteilen. "Das Programm mussten wir stoppen, weil die Finanzierung eingestellt wurde." Dabei bräuchten viele Familien weiterhin regelmäßig Hilfe.
Immerhin aber reicht die Finanzierung noch aus, um die Gesundheitszentren zu unterstützen. Dort werden Säuglinge und Kinder gewogen und gegebenenfalls aufgepäppelt. Den Kinder aus Abay Nur Ibrahims Familie geht es offenbar gut genug, sie sind nicht auf die Hilfe der Gesundheitszentren angewiesen. Trotz aller Not ist von den beiden Frauen keine Kritik zu hören. "Der Aufschwung geht an mir vorbei", räumt Abay Nur Ibrahim ein. "Aber das macht mir nichts. Ich lebe einfach an der Stelle weiter, an der mein Platz im Leben ist.“ Eine Sorge habe sie aber doch, und das betrifft die Umsiedlungspläne der Regierung. "Hier in diesem Lager fühlen wir uns im Moment halbwegs sicher. Aber wird das an unserem neuen Standort genauso sein? Viele Flüchtlinge in anderen Lagern in der Stadt werden bedroht, Frauen sexuell angegriffen. Wird uns das dort auch so ergehen?"
Auch internationale Hilfsorganisationen sind über diese Pläne alarmiert. Sie drängen darauf, dass die Menschen nur an Orte umgesiedelt werden, an denen es wenigstens Toiletten, ausreichend Trinkwasser und Polizeistationen gibt. Unter dem Druck der Hilfsorganisationen lässt sich die Stadtverwaltung nun etwas mehr Zeit und will ihre ursprünglichen Pläne überarbeiten.