Leichte Beute: Sexuelle Gewalt in Somalia
20. August 2013An den Wänden des Raumes hängen Stoffe, in der Mitte stehen zwei Liegen. Die Atmosphäre ist warm und gemütlich. Doch als Sharifa Mohamed vor vier Monaten zum ersten Mal hier war, nahm sie davon nichts wahr. Die 28-Jährige war dafür viel zu verzweifelt. Bis heute fällt es ihr schwer über das zu reden, was ihr passiert ist. Sharifa sitzt jetzt wieder in dem wohnlichen Zimmer, das die somalische Hilfsorganisation "Save Somali Women and Children" eingerichtet hat. Nur hier, in diesem Schutzraum, ist Sharifa überhaupt in der Lage, über die Nacht vor vier Monaten zu sprechen. Ihr Mann war an diesem Abend spät nach Hause gekommen, hatte aber am Tag immerhin ein bisschen Geld verdient. "Ich ging also los, um für die Kinder etwas zu essen zu kaufen", erzählt Sharifa leise. "Da standen plötzlich drei Männer vor mir und zogen mich in eine dunkle Ecke."
Hilflos ausgeliefert
Einer vergewaltigte sie, einer hielt sie fest und schlug sie, der dritte verschloss ihr den Mund. Sie kämpfte, kam aber gegen die Übermacht der Männer nicht an. Erst nach anderthalb Stunden ließen die Angreifer von ihr ab. Weinend kehrte sie zu ihrer einfachen Hütte zurück. "Ich hatte starke Schmerzen im Unterleib und im Rücken, außerdem fühlte ich mich missbraucht", erinnert sich Sharifa. "Ein paar Tage lang konnte ich vor Schmerzen noch nicht einmal aufstehen."
Immerhin steht ihr Ehemann zu ihr, was in vielen Ländern nicht selbstverständlich ist. Als seine Frau so verzweifelt nach Hause kam, war er sofort voller Mitleid mit ihr - und voller Wut auf die Täter. Er rannte los und versuchte, die drei Männer zu fassen, die aber waren natürlich längst weg. Auf die Idee, zur Polizei zu gehen, kamen weder er noch Sharifa: Nach mehr als zwanzig Jahren ohne Regierung ist die somalische Polizei noch immer kaum funktionsfähig. Zwar hat das ostafrikanische Land mit Hassan Sheikh Mohamud seit einem Jahr ein legitimes Staatsoberhaupt und der Aufbau der Polizei wurde seit vielen Jahren mit viel Geld unterstützt - auch aus Deutschland. Doch die Truppe ist bis heute wenig effektiv und korrupt. Im Bewusstsein der Bevölkerung ist sie als Ansprechpartner nicht präsent. Und erst Recht nicht als Helfer in Notlagen.
Hilfsorganisationen unterstützen die Opfer
Am nächsten Morgen sah Sharifa drei Frauen in der Nähe ihrer Hütte. "Sie fragten herum, ob alles okay wäre, ob wir mit der Sicherheitslage zufrieden seien, ob wir eine ruhige Nacht gehabt hätten. Oder ob wir Hilfe bräuchten", berichtet Sharifa.
Die drei Frauen waren Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation, in deren Raum Sharifa auch jetzt wieder sitzt. Sie ging damals mit, wurde medizinisch behandelt und psychologisch betreut. "Save Somali Women and Children" unterstützt Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, auch juristisch. Fartuma Ibrahimi arbeitet für die Organisation, die seit rund einem Jahr in Mogadischu tätig ist. Seitdem kamen fast 1300 Frauen zu ihnen. "Das sind Menschen jeden Alters, zwischen vier und 80 Jahre alt", sagt Fartuma Ibrahimi. "Und nicht nur Mädchen sind betroffen, auch Jungen."
Ein juristisches Urteil mit verheerenden Folgen
Die meisten leben in einem der vielen Lager für Kriegsvertriebene in Mogadischu. Nach unterschiedlichen Schätzungen haben noch immer bis zu 370.000 Menschen keine richtige Behausung, sondern wohnen in selbstgebauten Notunterkünften aus Ästen, Plastikplanen, Stoffresten oder Pappe. Dort sind sie den oft bewaffneten Tätern schutzlos ausgeliefert. Auch Sharifa Mohamed lebt mit ihrer Familie in einer solchen Hütte.
Juristisch verfolgt werden die Täter in aller Regel nicht: Zum einen behalten viele Frauen die Verbrechen für sich, das Reden über eine Vergewaltigung ist ein Tabu. Und selbst nach einer Anzeige wird die Justiz meist nicht tätig. Tut sie es doch, wendet sie sich vielleicht sogar gegen die Opfer. So geschehen Anfang des Jahres. Da verurteilte ein somalisches Gericht ein Vergewaltigungsopfer zu einem Jahr Gefängnis. Der Grund: Die Frau hatte staatliche Sicherheitskräfte für die Tat verantwortlich gemacht und damit, so das Gericht, staatliche Institutionen beleidigt. Ein Journalist, der über den Fall berichtete, wurde gleichermaßen verurteilt. Erst nach internationaler Empörung kamen beide frei. Seitdem aber, sagt Fartuma Ibrahimi, haben die Opfer noch mehr Angst, sich nach einer Vergewaltigung jemandem anzuvertrauen.