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Somalia geht baden

Bettina Rühl11. August 2013

Mehr als zwanzig Jahre lang war Somalia ein Staat ohne Regierung, geprägt vom Bürgerkrieg. Langsam stabilisiert sich die Lage. Die Bewohner der somalischen Hauptstadt Mogadischu genießen wieder das Leben am Strand.

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Freitags am "Lido" von Mogadischu (Foto: Bettina Rühl/DW)
Bild: Bettina Rühl

Die Strände von Mallorca sind selbst in der Hochsaison nicht dichter bevölkert als der Badestrand der somalischen Hauptstadt Mogadischu an einem Freitag, dem muslimischen Feiertag. Seit der Kolonialzeit nennen sie ihren Strand "Lido", wie die Italiener. Drei Unterschiede stechen trotzdem ins Auge: In Mogadischu nimmt niemand ein Sonnenbad, stattdessen spielen die Menschen Fußball, joggen in der seichten Dünung, wandern am Strand auf und ab. Zweitens sind die Männer fast unter sich, denn Somalia ist streng muslimisch. Nur wenige Frauen sitzen in voller Montur im seichten Wasser. Und drittens sind in Mogadischu die meisten Häuser in Sichtweite ausgebombte Ruinen. Abgesehen von einem Restaurant für Meeresfrüchte, das bereits renoviert wurde und einen wunderbaren Panoramablick bietet.

Der 22-jährige Shine ist unter den vielen jungen Männern, die aufgeregt angerannt kommen, sobald sie die Reporterin sehen. "Ich komme seit zwei Jahren jeden Freitag zum Lido", sagt der hagere junge Mann. "Vorher war das wegen des Krieges unmöglich. Jetzt ist alles bestens. Somalia ist friedlich."

Die Halbinsel "Jazeera" bei Mogadischu (Foto: Bettina Rühl/DW)
Postkartenmotiv aus Somalia - die Halbinsel "Jazeera" bei MogadischuBild: Bettina Rühl

Genießen zwischen Ruinen

Er betreibt in Mogadischu einen kleinen Laden, schafft Shine noch zu sagen, dann wird er unterbrochen: Alle wollen etwas sagen, wollen von ihrer Erfahrung erzählen. Andernfalls hätte ich Shine gerne noch gefragt, wie er das mit dem Frieden meint. Denn die islamistische Shabaab-Miliz verübt regelmäßig schwere Anschläge, im Fastenmonat Ramadan waren die Attacken besonders häufig. Weiße Ausländer können sich aus Sicherheitsgründen bis heute nur mit bewaffneten Begleitern bewegen. Aber alles ist eben relativ, wer in Somalia mit dem Terror der letzten 20 Jahre gelebt hat, dem scheint Mogadischu heute wohl paradiesisch ruhig.

Für mehr als zwei Jahrzehnte war Somalia ein Staat ohne Regierung, lebten die Menschen mit Anarchie und Krieg. Seit rund einem Jahr gibt es erstmals wieder eine international anerkannte Regierung mit Präsident Hassan Sheikh Mohamud an der Spitze. In Mogadischu hat sich die Lage seitdem etwas stabilisiert. Die islamistische Al-Shabaab-Miliz ist dank der afrikanischen Eingreiftruppe AMISOM landesweit in der Defensive, beherrscht aber immer noch viele ländliche Regionen. In der Hauptstadt Mogadischu musste sie ihre militärischen Stellungen zwar schon im Sommer 2011 räumen - doch noch immer kommt es regelmäßig zu Attentaten. Dessen ungeachtet fangen die Hauptstadtbewohner an, das Leben auch wieder zu genießen; zum Beispiel am "Lido".

Strandfußball unter bewaffnetem Schutz in Mogadischu (Foto: Bettina Rühl/DW)
Strandfußball unter bewaffnetem SchutzBild: Bettina Rühl

Stolz auf Somalia

Etliche Fußball-Fans haben sich zu mehreren Mannschaften zusammengefunden und jagen, begleitet vom Rauschen der Brandung, dem Ball hinterher. "Die Lage in Somalia hat sich völlig normalisiert", sagt Mohamed Nur Abubakar, der das Spiel kurz unterbrochen hat, um auch etwas sagen zu können. "Jetzt ist es endlich möglich, unseren Strand zu genießen. Freitags kommen immer alle Generationen hierher."

Mohamed trägt ein Sport-Trikot in der somalischen Nationalfarbe blau, über die Brust zieht sich in Weiß die Aufschrift "Somalia". Viele Fußballfans in anderen Ländern Afrikas tragen T-Shirts europäischer Vereine, auch die Namen deutscher Spieler liest man häufig. Anders im zerschossenen Mogadischu, da siegt der Stolz auf das eigene Land über alle anderen Fan-Loyalitäten.

Der 21-jährige Abubakar schafft es, trotz des Andrangs eine zweite Antwort zu geben. "Ich bin Student, und weil ich meinen Abschluss machen wollte, bin ich trotz des Krieges nie geflohen", sagt er mit erkennbarem Stolz. "Ich habe mich auch nie einer der bewaffneten Gruppen angeschlossen, ich war immer Zivilist." Abubakar studiert Medizin und möchte am liebsten Kardiologe werden. "Viele Ausländer glauben ja, dass alle Somalier ungebildet sind. Aber ich bin davon überzeugt, dass das anders ist, es gibt viele Menschen wie mich."

Anschlag auf das UN-Gebäude in Mogadischu im Juni 2013 (Foto: AFP)
Noch immer attackiert Al-Shabaab die Hauptstadt, wie im Juni 2013 bei einem Anschlag auf das UN-GebäudeBild: Mohamed Abdiwahab/AFP/Getty Images

Glauben an die Zukunft

Abubakar studiert an einer privaten Universität, die von Ärzten gegründet wurde. Studierende und Dozenten gehen noch immer ein hohes Risiko ein. Vor vier Jahren verübten Islamisten einen Anschlag auf die Absolventen dieser Uni, die gerade ihre Diplome entgegennehmen wollten. Etwa zwanzig Menschen wurden getötet, darunter auch drei Minister der damaligen Übergangsregierung. "Ich habe trotzdem keine Angst", betont Abubakar. "Solche Anschläge werden von unwissenden Menschen verübt. Wenn wir deshalb alle aufhören würden zu lernen, würde dieser Krieg nie aufhören. Dieses Land braucht gut ausgebildete Bürger, anders wird es keine Entwicklung geben."

Hier am Lido finden sie alle zusammen: ehemalige Kämpfer und Studenten, auch viele Rückkehrer aus dem Exil sind dabei. Beim Fußballspiel am Strand werden die unterschiedlichen Rollen während des Krieges unwichtig. Dann setzt plötzlich heftiger Platzregen ein, unterbricht Spiel und Gespräche. Binnen Sekunden ist der Lido verwaist - doch spätestens nächsten Freitag werden sich die Besucher wieder treffen.