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Simonida. Sandra. Rampenlicht

Gilda-Nancy Horvath
3. Februar 2022

Der Theater-Verein "Romano Svato" wurde vor zehn Jahren von Simonida und Sandra Selimovic gegründet. Seitdem sind die Schwestern zu Ikonen der Theaterwelt aufgestiegen.

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Romano Svato | Schauspielerinnen Sandra & Simonida Selimovic
Die Schwestern Simonida (r.) und Sandra Selimovic brechen Tabus in der TheaterweltBild: Drago Palavra

Der Name Romano Svato heißt frei übersetzt aus der Sprache Romanes so viel wie "die Stimme erheben". Diesem Namen sind die Schwestern mit ihrer Arbeit auch gerecht geworden - denn die beiden sind (mit-)verantwortlich für einige der spannendsten Produktionen des vergangenen Jahrzehnts. In ihren Theaterstücken vermischen sie mehrsprachige Performance mit Rap, Bühnenkunst und Interventionen im öffentlichen Raum: "Sichtbarkeit ist für uns der Schlüssel für Diskurs - also eine tatsächlichen Auseinandersetzung mit Themen, die uns alle, die gesamte Gesellschaft, betreffen."

Bereits 2013 machten sie mit "Gipsy Stop Dancing" auf sich aufmerksam. Das Stück erzählt die Geschichte des deutschen Boxmeisters von 1933, Johann "Rukeli" Trollmann, neu. Anstatt eines Mannes kämpft diesmal eine Frau um den Titel. Statt im nationalsozialistischen Deutschland spielt die Geschichte in einem fiktiven ungarischen Staat, regiert von einem totalitären Herrscher. So wie Rukeli verweigert auch Sandra als Boxerin, einer Erpressung nachzugeben und ihren Sieg herzuschenken.

Maxim Gorki Theater | Roma Armee
Das erfolgreiche Theaterstück "Roma Armee" basiert auf der Idee von Sandra (3.v.l.) und Simonida Selimovic ( 2.v.l.)Bild: Ute Langkafel

Kurze Zeit später gründeten Simonida und Sandra "Mindj Panther" - ein Pendant zum feministischen Punk-Kollektiv "Pussy Riot", von denen damals einige Mitglieder in Russland festgenommen worden waren. Mindj Panther wählten Rap statt Punk für ihre Widerstandsmusik - und Romanes als Sprache für ihre Songs gegen Rassismus und Diskriminierung. Dass sie beschlossen, in diesem Kontext Ninja-Anzüge zu tragen, war vielleicht bereits ein Vorbote jener kämpferischen Idee, auf deren Basis das Theaterstück "Roma Armee" entstand, erzählen sie: "Wir Roma haben nie Kriege geführt. Wir wurden dennoch verfolgt und getötet. Was wäre, wenn wir beginnen würden, uns nach all dem Leid plötzlich zu wehren?"

Theater als Perspektivwechsel

"Roma Armee" avancierte zum europaweiten Überraschungserfolg und wurde von Feuilleton und Publikum gleichermaßen gefeiert. Die Schwestern nehmen in der Inszenierung von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater in Berlin Hauptrollen ein. Die vielfältigen Protagonistinnen und Protagonisten referieren über ihre Biografien und über ihre Konflikte mit Identität: "Wir müssen mehr Geschichten erzählen über unsere Erfolge, über unseren Kampfgeist und über unsere Vielfalt. Wir müssen solidarisch sein und uns gegenseitig ins Rampenlicht stellen", bekräftigen die Schwestern.

Doch das Rampenlicht ist genau das,  was viele aus der Roma-Community lieber meiden - zumindest dann, wenn es um ihre Herkunft geht. Dies sei angesichts der Geschichte der Communities auch nicht verwunderlich, so Sandra: "Die Historie unserer Verfolgung ist noch lange nicht weitreichend aufgearbeitet. Sie ist in den meisten Teilen dieser Gesellschaft nicht bekannt - und schon gar nicht anerkannt. Umso mehr dürfen Attacken gegen uns nicht ignoriert, akzeptiert oder verharmlost werden."

Simonida erinnert sich daran, wie schwierig es für sie war, ihre Identität zu verheimlichen. Zwar war und ist ihre Familie immer stolz auf ihre Kultur und Herkunft gewesen, sie selbst fühlte sich jedoch als Teenager nicht unbedingt wohl, wenn sie darüber sprechen sollte. Immerhin werde über die Roma-Opfer des Massakers von Srebrenica 1995 noch heute geschwiegen, erzählt Simonida. So schien es ihr einfacher, sich als Italienerin oder Portugiesin auszugeben: "Es tat mir weh, meine Herkunft zu verleugnen. Aber es waren so viele negative Stereotype damit verbunden, dass ich mich damals nicht damit identifizieren wollte."

Maxim Gorki Theater | Roma Armee | Schauspielerin Simonida Selimovic
Simonida Selimovic (Bildmitte) spricht offen über ihre Biografie Bild: Ute Langkafel MAIFOTO

Als Mutter hat Simonida heute einen viel reflektierteren Zugang dazu: "Meine Kinder haben ihre Herkunft niemals verleugnet. Sie sind damit aufgewachsen, dass ich als Künstlerin sehr offen damit umgehe." Als Vorbild bemühe sie sich auch, ein gesundes Verhältnis zu ihrem Aussehen zu behalten, das in ihrer Tätigkeit oft im Fokus stehe. Sie sei sehr darauf bedacht, ihre Fähigkeiten als Schauspielerin doppelt zu beweisen, um nicht als hohle Schönheit zu gelten: "Ich bekam oft Rollen als Prostituierte, Putzfrau oder feurige Schönheit angeboten. Sandra hat das auch bemerkt. Also haben wir mit Romano Svato begonnen, unsere eigenen Theaterstücke, unsere eigenen Rollen zu schreiben."

Aktuell sind beide Schwestern in prominenten Projekten zu sehen. Obwohl sie die Zusammenarbeit sehr genießen, gehen sie künstlerisch auch gerne getrennte Wege, um sich Inspiration aus neuen Quellen zu holen. Simonida stand bis vor kurzem für den Film "Bibi Sara Kali" vor der Kamera, der gerade Kinopremiere in Wien gefeiert hat. Ursprünglich als Theaterstück geplant, wurde die Produktion unter der Leitung von Nina Kusturica während COVID-19 zu einem Film transformiert, den man sich auf der Streaming-Plattform "Romflix" der Webseite von Romano Svato ansehen kann.

Thematisiert wird in dem Film der Feiertag "Bibijako Dive" - der "Tag der Tante" - der jährlich am 31. Januar mit einer Prozession gefeiert wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten jene Roma, die überlebt hatten, auch in die Balkanregion zurück und führten den "Bibijako Dive" ein. Der Tag wird je nach Region auch an anderen Daten gefeiert - abhängig davon, wann die Familien aus den nationalsozialistischen Lagern in die Region heimgekehrt waren.

Dass eine religiöse Prozession Teil der Feierlichkeiten ist, hat einen historischen Grund, der noch länger zurückreicht: Es war den Roma verboten, jene Götter zu feiern, die indischen oder anderen fremden Ursprungs waren. Mit der Prozession wurde das Verbot umgangen - denn eine solche war erlaubt. Zudem wurde die Darstellung an die regionalen Verhältnisse angepasst. Aus der furchteinflößenden mehrarmigen Kali wurde eine gütig aussehende dunkelhäutige Frau namens Sara oder Bibi Kali. Simonida selbst sagt, sie sei nicht religiös, aber sie habe ihre eigenen moralischen Maßstäbe: "Ich halte nicht viel von religiösen Vorschriften. Ich glaube an das Gute im Menschen. Es ist einfach, böse  zu sein, aber das Gute zu suchen, ist wirklich schwierig. Es bedeutet, nach Lösungen zu suchen und Lösungen zu finden. Es bedeutet, zu überleben."

Politische Kunst

Sandra hat mit ihrer ersten Rolle am Wiener Burgtheater gerade den Olymp des Schauspielfachs erklommen. Das im Februar 2022 laufende Stück "Die Ärztin" ist nicht weniger politisch als ihre eigenen Produktionen - es analysiert den Antisemitismus in Österreich auf Basis des 1912 in Berlin uraufgeführten Stücks "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler. Angesprochen darauf, ob sie sich vorstellen könnte, auch einmal etwas Unpolitisches zu machen, bekommt Sandra große Augen: "Kunst ist immer eine Form von Aktivismus. Kunst ist immer, ob man will oder nicht, auch politisch. Theater hat eine politische Haltung. Auch wenn manche behaupten, das wäre nicht so." Simonida nickt aufgeregt und fährt fort: "Wir sind sozialisiert von unserem Umfeld. Wir waren alle in der Schule. Wir haben Eltern, Verwandte. Wir alle sind politisch geprägte Wesen." 

Sandra Selimovic
Sandra Selimovic: "Kunst ist immer eine Form von Aktivismus"Bild: Rosemarie Frauendorfer

In ihrem nächsten gemeinsamen Projekt werden sich die Schwestern mit den Herausforderungen eines digitalen Staats auseinandersetzen: Wie könnte man den Webspace nutzen, um Grenzen aufzulösen? Wie wäre es, wenn man die Geschichte und das Wissen eines Landes in einer Cloud parkt? Wie kann man den digitalen Raum sicher für alle machen? Vor allem die letzte Frage zielt auf die Tatsache ab, dass Roma während der Pandemie oft zur Zielscheibe von Hass und Fake-News im Netz wurden - mit realen Konsequenzen, wie die Künstlerinnen erklären: "In Serbien hat man ganze Viertel abgesperrt, um Roma zu segregieren. Sie hatten keinen Zugang zu Supermärkten und mussten oft Hunger leiden. Gerade in Krisensituationen werden wir immer wieder zu Sündenböcken gemacht."

Trotz ihres Einsatzes für die Community möchten die Schwestern nicht in eine Schublade gesteckt werden. In erster Linie sehen sich die beiden als Künstlerinnen - und dies sei universell: "Kunst bedeutet, Neues zu erschaffen. Unsere Projekte entstehen aus einem Feuer der Begeisterung für genau jene Dinge, die noch nicht existieren, aber existieren sollten."

Auf romblog.net wird dieses Portrait dreisprachig publiziert: Deutsch, Englisch und Romanes.