BAMF in Bremen darf nicht mehr entscheiden
23. Mai 2018Die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) trifft als Folge des Skandals um unrechtmäßig erteilte Asylbescheide ab sofort keine Entscheidungen über Asylanträge mehr. Das teilte das Bundesinnenministerium mit. Minister Horst Seehofer (CSU) erklärte den Schritt damit, dass das Vertrauen in die Arbeit der Außenstelle "massiv geschädigt" worden sei.
Nur Stunden zuvor war laut Medienberichten bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg eine Anzeige gegen die BAMF-Chefin Jutta Cordt eingegangen. Förmliche Ermittlungen seien jedoch nicht eingeleitet worden, sagte die Pressesprecherin, Oberstaatsanwältin Anita Traud. Bislang sei routinemäßig lediglich ein Aktenzeichen vergeben worden. Geprüft werde nun der in der Anzeige aufgeworfene Verdacht einer Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Anzeige richte sich auch gegen weitere drei leitende Mitarbeiter.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte derweil eine zügige Aufklärung. Im Deutschlandfunk verwies Pistorius darauf, dass er im August/September 2016 von Unregelmäßigkeiten erfahren habe, als eine bereits veranlasste Abschiebung von der Bremer BAMF-Außenstelle gestoppt worden sei. "Das hat uns alle sehr verwundert", sagte der SPD-Politiker. Daraufhin habe er einen Brief an das BAMF geschrieben, der aber unbeantwortet geblieben sei. Pistorius bezeichnete ferner die große Schwankung bei den Anerkennungsquoten für Asylbewerber unter den Bundesländern als "nicht erklärbar". Hier müsse man an Standards und ihrer Einhaltung arbeiten. Das Problem müsse der Bundesinnenminister lösen.
Wann wusste Jutta Cordt Bescheid?
FDP-Innenpolitikerin Linda Teuteberg verlangte angesichts mutmaßlich massenhaft unzulässiger Asylbescheide Konsequenzen: "Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, dass Frau Cordt schon früher von den Vorgängen wusste, als sie es bisher dargestellt hat, dann muss Minister (Horst) Seehofer sie entlassen", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Der selbst unter Druck geratene Bundesinnenminister und CSU-Chef Seehofer hatte diese Woche angekündigt, "in der nächsten Woche Entscheidungen über organisatorische und gegebenenfalls auch personelle Konsequenzen" treffen zu wollen. Seehofer selbst soll im Innenausschuss des Bundestages Rechenschaft über die Unregelmäßigkeiten beim Flüchtlingsbundesamt ablegen.
Weise: "Kaum Kontrollmechanismen"
Im Zentrum der Affäre steht die BAMF-Außenstelle in Bremen. Dort sollen zwischen 2013 und 2016 Mitarbeiter mindestens rund 1200 Menschen ohne ausreichende rechtliche Grundlage Asyl gewährt haben.
Der ehemalige BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise führt die Unregelmäßigkeiten auch auf eine chaotische Organisation in der Behörde zurück. "Es gab keine Strukturen, die dieser Belastung hätten gerecht werden können, keine funktionierende IT, keine Prozesskette", sagte Weise dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es habe "kaum Kontrollmechanismen" gegeben. "Eine Innenrevision zur Prüfung von Vorgängen und Entscheidungen habe erst ich eingeführt", sagte Weise. Obendrein sei das BAMF durch "die enorm hohe Zahl von Asylanträgen überfordert" gewesen.
Nur noch einer von drei Asylbewerbern anerkannt
Der inzwischen pensionierte Weise hatte von September 2015 bis Ende 2016 gleichzeitig die Bundesagentur für Arbeit und das BAMF geleitet. Anfang 2017 war Jutta Cordt an die BAMF-Spitze gerückt. Der Deutsche Städtetag forderte rasche Aufklärung. "Wir müssen darauf vertrauen können, dass es bei den Asylverfahren korrekt zugeht. Deshalb müssen zügig alle Fakten auf den Tisch, es darf nichts unter den Teppich gekehrt werden", sagte Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Das ist auch deshalb nötig, weil die Städte wollen, dass Integration gelingt und die Menschen Asylberechtigten nicht mit Misstrauen begegnen."
Die Anerkennungsquoten für Schutzsuchende sind nach einem Medienbericht deutlich gesunken. Bei den zwischen Januar und Ende April vom BAMF getroffenen Entscheidungen habe nur jeder Dritte (32,5 Prozent) einen Schutztitel zugesprochen bekommen, berichtete die "Welt" mit Verweis auf offizielle Zahlen. 2017 waren es mit rund 43 Prozent noch deutlich mehr, 2016 lag die Schutzquote sogar bei etwa 62 Prozent. Diese Veränderung müsse "nicht zwingend" mit einem übergeordneten Grund zusammen hängen, erklärte das BAMF.
Experten erheben daran jedoch Zweifel. "Zufälle gibt es nicht in der Statistik", sagte der Leiter einer Berliner Statistik-Agentur, Murat Karaman, im Interview der Deutschen Welle. Er vermute politische Hintergründe, das Auswahlverfahren sei in den vergangenen Jahren sicherlich strenger geworden."Ich würde mir anschauen, welche Faktoren beim Auswahlverfahren eine wichtige Rolle spielen", sagte Karaman weiter.
sth/kle/qu (Deutsche Welle, dpa, afp, rtr)