Schädel aus Ex-Kolonien führen zu lebenden Verwandten
7. September 2023Die Nachricht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) machte schnell die Runde. Danach ist es Wissenschaftlern mittels DNA-Analyse gelungen, zu drei Schädeln einer anthropologischen Sammlung lebende Verwandte zu finden. "Ein kleines Wunder", so Stiftungspräsident Hermann Parzinger, der den Fund im DW-Gespräch mit der berühmten "Stecknadel im Heuhaufen" verglich.
In einem großen Forschungsprojekt, das 2017 begann, hatten Wissenschaftler des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin gemeinsam mit Kollegen aus Ruanda die Provenienz von rund 1100 menschlichen Schädeln aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika untersucht. Das Ergebnis: Mehr als 900 der sogenannten "Human Remains" (Deutsch. "Menschlichen Überreste") ließen sich den heutigen Territorien von Ruanda, Tansania und Kenia zuordnen.
Zu acht der Schädel trugen die Forscher so viele Informationen zusammen, dass sogar die Suche nach konkreten Nachfahren Erfolg versprach. Also verglich man die genetischen Daten mit der DNA aus Speichelproben möglicher Nachfahren, die wiederum der Verein "Berlin Postkolonial" beschaffte.
Der Verstorbene war ein Anführer
Für einen Schädel ließ sich nun eine vollständige genetische Übereinstimmung mit einem heute noch lebenden Mann feststellen. Der auf dem Schädel überlieferte Titel "Akida" deutete darauf hin, dass der Verstorbene ein hochrangiger Berater des Mangi Melis gewesen sein könnte, ein Anführer des Volks der Chagga. Der Chief der im Nordosten von Tansania ansässigen Ethnie wurde 1900 von den Deutschen gehängt, weil er - angeblich - eine Verschwörung plante.
Die Schädel waren während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs von 1871 bis 1918 von Forschern zusammengetragen und nach Deutschland gebracht worden. Untersuchungen an ihnen dienten damals dazu, rassistisches Gedankengut zu untermauern.
Die Schädel lagerten jahrzehntelang im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité. Erst 2011 gingen sie in die Hände der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über. "Die Sammlung war in einem katastrophalen Zustand", so Parzinger, "feucht gelagert und von Schimmel befallen." Deshalb habe man die Human Remains in langwieriger Arbeit reinigen und konservieren müssen.
Welchen Anteil hat "Berlin Postkolonial"?
Einen gewichtigen Anteil am aktuellen Forschungserfolg beansprucht - neben der SPK - auch "Berlin Postkolonial". Der Verein hat die Öffentlichkeit 2016 auf die Existenz der Schädelsammlung aufmerksam gemacht. Als die Presse nachhakte, habe sich die SPK gezwungen gesehen, dazu zu forschen. "Und jetzt wirkt das wie ein Pionierprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz", heißt es seitens des Vereins.
Der Co-Vorsitzende Nyaka Sururu Mboro, der selbst aus Tansania stammt, mahnte im DW-Gespräch die baldige Rückgabe der Schädel an. Dafür sollten die Nachfahren nach Deutschland eingeladen werden - auf Kosten der Stiftung.
Am deutschen Rückgabewillen lässt Stiftungspräsident Parzinger gegenüber der DW freilich keinen Zweifel. "Wir haben unsere Forschungen zur Herkunft abgeschlossen. Wir möchten die Schädel repatriieren." Über das Forschungsergebnis der drei tansanischen Schädel habe er den Botschafter des Landes informiert. Die Angehörigen in Tansania würden über den Verein Berlin Postkolonial informiert. "Wir warten jetzt darauf, was daraus werden wird. Ich gehe fest davon aus, dass man diese Schädel zurückhaben möchte, um sie bestatten zu können." Das aber sei die Angelegenheit der Nachkommen.
Derzeit betreibt die SPK nach Parzingers Worten ein weiteres Forschungsprojekt zu Human Remains aus Westafrika. Außerdem gebe es noch einen großen Bestand an Gebeinen aus Ozeanien.
Das Deutsche Reich hatte bis zu seinem Ende Kolonien unterhalten. Die größten waren Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika sowie Kamerun in Westafrika. Dazu kamen weitere Gebiete, etwa im Pazifik. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg musste Deutschland, wie im Versailler Vertrag festgeschrieben, alle Kolonien abtreten.