Schwere Zeiten für das transatlantische Bündnis
1. Mai 2014Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA war schon besser. Unter deutschen Journalisten, Politikern und Intellektuellen gibt es verstörend viel Verständnis für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seine illegale Annexion der Krim. Gleichzeitig sind sie äußerst misstrauisch gegenüber allem, was die USA im Moment tun.
Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington D.C. wird als heikel angesehen, weil es ihr erstes persönliches Treffen mit Präsident Barack Obama seit "Handygate" ist. Im Herbst - nur wenige Wochen nach Obamas Berlin-Reise, bei der eine tiefe deutsch-amerikanische Freundschaft beschworen wurde - erreichten die Beziehungen zwischen den beiden Ländern einen neuen Tiefpunkt. Es wurde bekannt, dass die National Security Agency (NSA) die deutsche Kanzlerin ausgespäht hatte. Jene Kanzlerin, die in den USA so beliebt ist, weil sie, in der DDR aufgewachsen, so große Stücke auf die individuelle Freiheit hält. Außerdem sprechen ihr die Amerikaner die Fähigkeit zu, die Wirtschaft am Laufen zu halten.
Es geht aber natürlich nicht nur um Handys. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen leiden unter einer ganzen Reihe ungelöster Probleme: Da wäre Edward Snowden und die sehr unterschiedliche Bewertung seiner Person und seiner Taten in Deutschland und den USA. Außerdem der deutsche Wunsch nach einem No-Spy-Abkommen, das Washington nicht will. Und dann sind da noch der US-Drohnenkrieg von deutschem Boden aus, die Diskussionen um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TAFTA) und Guantanamo, das nach wie vor ein Stachel im deutsch-amerikanischen Fleisch ist.
Eine Geschichte der Entfremdung
Die transatlantischen Differenzen werden umso deutlicher, je mehr alle Beteiligten die Stabilität der deutsch-amerikanischen Freundschaft betonen. Es gibt keinen Grund zu Alarmismus. Die Länder sind politisch, wirtschaftlich und kulturell nach wie vor so eng miteinander verflochten, dass sie sich im eigenen Interesse niemals die Freundschaft aufkündigen würden. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass die USA und Deutschland sich entfremdet haben. Diese Entfremdung begann nicht mit Edward Snowden, der NSA oder dem Handy der Kanzlerin.
Ironischerweise begann sie mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Jahren 1989 bis 1991. Beide Partner richteten sich damals neu aus und begannen, ihre jeweils eigene Agenda zu verfolgen. Das wiedervereinigte Deutschland wandte sich erst sich selbst zu, dann dem Kontinent und wurde ein Motor der europäischen Integration. Die USA wandten sich von Westeuropa ab, interessierten sich für die neuen Demokratien in Osteuropa, kümmerten sich um ihren eigenen Kontinent und vor allem um Asien.
Schwindendes Vertrauen
Dennoch haben die aktuellen deutsch-amerikanischen Probleme nicht nur mit "harten" politischen Interessen und ökonomischen Fragen zu tun, sondern mit Vertrauen - und dieses Vertrauen schwindet. In den Debatten über die NSA und Edward Snowden, die Drohnenkriege und das Freihandelsabkommen, schwingt immer auch die Frage mit, ob man sich noch vertraut. Es geht darum, wie man sich selbst sieht, wie man glaubt, dass der andere einen sieht, wie man gerne gesehen werden möchte. Auf beiden Seiten wird die Debatte negativ beeinflusst durch Klischees und jahrhundertealte Stereotypen, irrationale Ängsten und Mythen, die man bei einer so alten und für beide Seiten so gewinnbringenden Freundschaft wie der zwischen Deutschland und den USA nicht erwarten würde.
Vielsagend ist in diesem Zusammenhang die jüngste PR-Offensive der US-Botschaft in Deutschland, mit der den Europäern die Angst vor dem Freihandelsabkommen genommen werden soll. Jeder, der die Webseite der Botschaft besucht, wird gebeten, sich einen "Mythos" auszusuchen, der dann durch Fakten und Argumente von der US-Regierung widerlegt wird. Zum Beispiel: "Das TAFTA ist undemokratisch/der Prozess ist nicht transparent. Warum können die Menschen nicht darüber abstimmen?". Oder: "Das TAFTA wird die Deutschen dazu zwingen, genmanipulierte Nahrungsmittel zuzulassen und bestimmte Umweltschutzgesetze abzuschaffen."
Diese Mythen sagen viel darüber, wie die USA Deutschland im Moment sehen. Andererseits startet man keine solche Offensive, wenn nicht das Gefühl besteht, dass es eine Menge transatlantische Missverständnisse gibt und dass nichts Geringeres als das gegenseitige Vertrauen auf dem Spiel steht.
Reaktion auf die Urangst
Nicht vergessen werden darf dabei, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen auch immer noch unter dem Eindruck des 11. September stehen. Die Terroranschläge auf das Pentagon und das World Trade Center 2001 ließen eine große emotionale Kluft zwischen der "alten" und der "neuen Welt" entstehen, die noch nicht wieder geschlossen ist.
Vieles an der Reaktion der USA auf die Anschläge - der globale "Krieg gegen den Terror", Guantánamo, die Einrichtung des Heimatschutzministeriums und nicht zuletzt die NSA-Aktionen - erscheinen den Europäern überzogen. Die USA sehen diese Maßnahmen indes als notwendig an, um ihre Bürger zu schützen und ihre Lebensweise zu verteidigen, die auf individueller Freiheit und Selbstbestimmung fußt. Im Grunde sind die amerikanischen Ängste, die den Europäern so paranoid vorkommen, typisch für moderne Gesellschaften. Moderne Gesellschaften sind offen und pluralistisch, und die Angst, dass dies durch "Feinde im Inneren" zerstört wird, ist so etwas wie ihre Urangst. Diese Furcht, begründet oder unbegründet, hat unter den Amerikanern zu einem breiten Konsens geführt, was die Notwendigkeit drastischer Sicherheitsgesetze nach dem 11. September anging.
Präsident Obama hat nicht eine der unter der Bush-Regierung verabschiedeten Sicherheitsmaßnahmen aufgehoben. Guantanamo existiert weiter, das Heimatschutzministerium auch und genauso die Zusammenfassung der vielen US-Geheimdienste unter dem Dach der NSA. Folglich ist auch das Ausspähen der Handys der Kanzlerin eine Auswirkung des 11. September, und der deutsch-amerikanische Streit darüber ist eine Folge der großen emotionalen Kluft, die sich an diesem Tag auftat.
Volker Depkat ist Professor am Lehrstuhl American Studies an der Universität Regensburg.