Schreiben unter Druck: Aktuelle Lyrik im Iran
24. Januar 2022Nichts brauchen Dichter dringender als Sprache. Ohne sie wären ihre Arbeit nicht zu denken: Ein Dichter ohne Sprache wäre keiner mehr. Doch eben das kann passieren: Die Sprache kann sich verweigern, zumindest ihre Selbstverständlichkeit verlieren.
Was eigentlich passiert, fragt der Dichter Mohammad Mokhtari, "wenn der stein den weg zum mund tausendmal erprobt hat / wenn die stimme bräche / wenn das wort eitert / wenn die sätze zu auslassungszeichen werden"?
Mohammad Mokhtari kann auf die in seinem Gedicht "schlaflosigkeit" gestellte Frage keine Antwort mehr geben: Er wurde im Dezember 1998 verschleppt und nach einigen Tagen tot aufgefunden. Er starb in der Zeit der sogenannten "Kettenmorde" in den 1990er Jahren. Damals verschwand eine ganze Reihe regimekritischer Intellektueller. Mehrere Geheimdienstmitarbeiter wurden 2001 in einem Prozess wegen Mordes verurteilt. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass die eigentlich Verantwortlichen für die Morde aus den höchsten Rängen der iranischen Staatsspitze stammten.
Lange Erfahrung mit Zensur
Tatsächlich nähmen Dichter im Iran bis heute ein erhebliches Risiko auf sich, sagt Madjid Mohit, der Gründer des in Bremen ansässigen Sujet-Verlags. Mohit hat bereits mehrere Anthologien zur persischen Lyrik herausgegeben. Die jüngste mit dem Titel "Ein Dieb im Dunkel starrt auf ein Gemälde" widmet sich den Dichtern der Gegenwart, und zwar aus den drei Staaten, in denen Persisch (Farsi) gesprochen wird, also neben dem Iran Afghanistan und Tadschikistan.
Seitdem er - anfänglich noch im Iran - als Verleger arbeite, habe er Erfahrungen mit der Zensur in der islamischen Republik gemacht, sagt Mohit im Gespräch mit der DW. "Wenn man Anfang der 1980er Jahre die Treppe zur Zensurbehörde hochstieg, stieß man vor der Buch- und Presseabteilung auf ein großes Plakat. Darauf stand, die Bedeutung der Presse und der Bücher sei noch höher als das Blut sämtlicher gefallener Märtyrer." Was das bedeutete, darüber war sich damals jeder im klaren, so Mohit: "Verleger und Dichter sollten sich dreimal überlegen, was sie veröffentlichen würden."
Auf diese Gefahr hätten sich die Dichter eingestellt. Unter dem Schah habe es bestimmte Codewörter gegeben, die das Publikum verstanden habe, sagt Mohit. Fielen sie, wussten die Leser, auf welche Person oder welches Ereignis der jeweilige Dichter anspielte. Das habe sich heute geändert, die Dichtung sei insgesamt transparenter geworden, sei weniger verschlossen, teilweise auch vieldeutiger.
"Auch das ist eine Art zu leben" heißt es etwa in einem Gedicht des 1941 geborenen Dichters Ali Babachahi: " Den Fuß zu setzen / Auf den Schwanz der Schlange." Was darf man sich unter der Schlange vorstellen? Jeder Leser entscheidet es selbst.
Persischsprachige Poesie sei immer schon Protestdichtung gewesen, sagt Ali Abdollahi, der die Gedichte zusammen mit dem Übersetzer Kurt Scharf ausgewählt und ins Deutsche übertragen hat. Nach der arabischen Invasion im 7. Jahrhundert hätten die Menschen weiter auf Persisch geschrieben: Ein Akt des Widerstands, sagt Abdollahi, der soeben einen ersten Gedichtband auf Deutsch veröffentlicht hat ("Wetterumschlag", Secession Verlag). Auch habe die oft sinnlich und lebensbejahend anmutende persische Dichtung der religiösen Glaubensstrenge der neuen Herrscher entgegengestanden.
Verlust der Lebensfreude
Die damalige Lebensfreude schimmert in den meisten der hier auf über 300 Seiten versammelten Gedichte allerdings kaum durch. "Männer des Frühlings", heißt es lakonisch in einem Vers des Dichters Bijan Elahi: "Was tut ihr mit einem Blatt, das den Herbst liebt?" Askar Hakim hingegen beschreibt einen grünen Garten, dessen Bäume "still und stumm" ihre jungen Triebe nach unten hängen lassen: "Vogelgezwitscher - strengstens verboten!" Gegen die Depression kommt auch die Lyrik nicht an, deutet Hormoz Alipour in seinem Gedicht "Schreib es auf" an: "Als wir das Licht der Wörter entzündet haben / Sind wir vereinsamt plötzlich jeder einzelne".
Das Schweigen oder die Unfähigkeit, sich auszudrücken, taucht als Motiv in dem Band immer wieder auf: "Die Sprache, in der ich zu denken pflegte / Ist in Flammen aufgegangen. / Kein Gedanke fühlt sich mehr in mir daheim / Vielleicht erwächst mir die Gefahr eben daraus", heißt es in einem Gedicht der 2009 mit knapp 50 Jahren verstorbenen Shahram Sheidai.
Staatsdichter und die anderen
In den Band habe er nur solche Dichter aufgenommen, die unabhängig vom Staat publizierten, sagt Ali Abdollahi. Denn es gebe auch eine ganze Reihe von Dichtern, die dem Regime zuarbeiteten. Diese hätten im ganzen Land Künstlerverbände geschaffen, durch die sie islamische Ideen verbreiteten. So erhielten sie Zuschüsse, etwa für den Druck ihrer Bücher. Ihre Gedichte würden in den Schulen verbreitet und in die Lehrbücher aufgenommen - Vorteile, auf die die nicht regimetreuen Dichter verzichten müssten.
"Allerdings will der größte Teil der Leser mit solchen Dichtern nichts zu tun haben. Sie mögen weder die Klischees noch die Ideologie, die in diesen Gedichten verbreitet wird." Auch gelinge es den staatsnahen Dichtern nicht, die konservativen Anliegen in eine moderne künstlerische Sprache zu bringen, sagt Abdollahi. "Darum kann man sagen, dass es innerhalb dieser Strömung keine bedeutenden Dichter gibt."
Die anderen, die ernstzunehmenden Dichter zahlen für ihre Unabhängigkeit einen hohen Preis, nämlich den einer ständigen Bedrohung durch den Staat. "Weinen wir an einem Grab / In dem noch / Kein Toter liegt", schreibt die 1960 geborene Shahin Mansouri Arani in ihrem Gedicht "Messer": "Schärfere Messer / Sind schon unterwegs."
Kurt Scharf, Ali Abdollahi (Hg.): "Ein Dieb im Dunkeln starrt auf ein Gemälde", Sujet Verlag, 2021.