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Scholz und Erdogan: Spannungen über Nahost-Konflikt

16. November 2023

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt am Freitag nach Berlin. Die Positionen zum Krieg im Nahen Osten liegen zwischen beiden Ländern weit auseinander. Für das Treffen gilt die oberste Sicherheitsstufe.

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Bundeskanzler Olaf Scholz spricht vor türkischer und deutscher Fahne in Ankara, im Hintergrund unscharf der türkische Präsident Erdoğan.
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Antrittsbesuch in der Türkei im März 2022: Schon damals war die Stimmung sichtlich frostig. Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Das sind keine guten Vorzeichen für den Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland vom Freitag dieser Woche an, wohl bis Samstag: Die Atmosphäre zwischen Berlin und Ankara ist eisig. Der Grund dafür ist der Krieg im Nahen Osten: Deutschland und die Türkei haben unterschiedliche Positionen zu Israel und der islamistischen Hamas.  

Scholz über Erdogans Israel-Kritik: "Absurd!"  

Wiederholt hatte sich Erdogan zuletzt mit scharfen Worten gegen Israel gewandt und die terroristische Hamas verteidigt. Israel versuche seit 75 Jahren, "einen Staat auf Land zu errichten, das dem palästinensischen Volk geraubt wurde", so Erdogan jüngst in Ankara. Die Legitimität Israels werde aufgrund seines "eigenen Faschismus infrage gestellt". Am Dienstag dieser Woche nannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer Pressekonferenz in Berlin diese Worte des türkischen Präsidenten "absurd". Israel sei eine Demokratie. "Auch das muss sehr klar gesagt werden, und auch darüber gibt es keinen Zweifel", so Scholz. Schon vorher hatte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Erdogan scharf angegriffen: Der türkische Präsident befeuere "mit seiner Propaganda auch den Aufruhr auf deutschen Straßen und den psychischen Terror gegen Juden in Deutschland", erklärte Schuster.

Erinnerungen an Abbas-Eklat werden wach

Angesichts dieser Differenzen haben in Berlin nicht wenige Politiker dafür plädiert, den Besuch zu diesem heiklen Zeitpunkt ganz abzusagen. Aber davon wiederum will die deutsche Regierung nichts wissen. Auch der Oppositionsführer im Bundestag, CDU-Chef Friedrich Merz, unterstützt den Bundeskanzler an diesem Punkt. Zu wichtig sei die Türkei für Deutschland - und Deutschland für die Türkei. So denkt auch Roderich Kiesewetter. Der CDU-Außenexperte erinnert aber auch an den Eklat bei dem Besuch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in Berlin Mitte August 2022. Kiesewetter sagt der DW: "Eine Situation wie vom Abbas-Besuch im letzten Jahr, als dieser im Kanzleramt neben Bundeskanzler Scholz unwidersprochen den Holocaust leugnen konnte, darf sich nicht wiederholen."

Berlin | Pressekonferenz: Olaf Scholz und Mahmoud Abbas
Abbas' Besuch im Sommer 2022 in Berlin wurde für Bundeskanzler Scholz zum DesasterBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Weil das auch in der Regierung niemand will, ist die Lage äußerst angespannt. Zudem ist die Befürchtung groß, dass Erdogan den Besuch nutzt, um Stimmung unter den rund 1,5 Millionen in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken zu machen: gegen Israel, gegen Jüdinnen und Juden hierzulande. Auch die Regierung weiß, dass rund zwei Drittel der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger dem Präsidenten bei der letzten Wahl zum Sieg verholfen haben.

Mageres Besuchsprogramm

Die gespannte Lage spiegelt sich darin, dass das Besuchsprogramm für den türkischen Präsidenten mager ausfällt. Erdogan kommt am Freitagnachmittag und wird zunächst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen. Danach steht ein Essen im Kanzleramt mit Scholz auf der Tagesordnung. Mehr ist bislang nicht bekannt. Offen ist sogar, ob eine Pressekonferenz stattfinden wird. Regierungssprecher Steffen Hebestreit wollte das am Mittwoch nicht ausschließen, ergänzte aber, darüber werde noch verhandelt. Klar ist aber: Die Bundesregierung will vor allem Termine Erdogans in der Öffentlichkeit möglichst vermeiden, auf den Straßen und Plätzen Berlins. So ist etwa zur deutschen Erleichterung ein Erdogan-Besuch des Fußball-Länderspiels der Männer zwischen Deutschland und der Türkei im Olympiastadion in Berlin am Samstag nicht mehr geplant, auch wenn vielen Türkinnen und Türken sich das gewünscht hatten. Äußerst ungern denkt man in Berlin an Erdogans Rede in einem Kölner Stadion im Mai 2010 zurück, als er rund 15.000 seiner Landsleute zwar aufrief, sich zu integrieren und Deutsch zu lernen, aber auch hinzufügte: "Niemand kann erwarten, dass ihr euch assimiliert."

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter blickt im Wintermantel in die Kamera.
Roderich Kiesewetter: "Scholz muss Eklat wie beim Abbas-Besuch verhindern!"Bild: Bernd Elmenthaler/IMAGO

Deutschland und Türkei: Aufeinander angewiesen

Aber heute weiß auch Erdogan: Die Türkei ist angesichts der eigenen Wirtschaftsflaute auf gute Geschäfte mit Deutschland angewiesen. Ankara auf der anderen Seite ist für Deutschland und die EU ein wichtiger Partner. Auch weil die Türkei immer noch helfen kann, die Zahl der Flüchtenden Richtung Europa zu begrenzen . Erdogan hatte sich vor sieben Jahren auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit der EU darauf verständigt, die Schleuseraktivitäten an der türkischen Grenze zu stoppen und jene Migranten zurückzunehmen, deren Asylantrag in Griechenland abgelehnt wurde. Im Gegenzug erhielt Ankara viele Milliarden Euro, um die Menschen im Land unterzubringen. Dieser sogenannte Flüchtlingspakt liegt zurzeit zwar mehr oder weniger auf Eis, aber die EU hofft auf eine Wiederbelebung. Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann glaubt überdies, dass Europa Erdogan auch beim Thema Krieg im Nahen Osten braucht. Sie sagt der DW: "Dass der Krieg dort sich nicht ausweitet, ist wichtig. Und da spielt natürlich auch die Türkei eine Rolle. Insofern müssen wir miteinander sprechen. Aber die Frage ist eben mit welcher Deutlichkeit."

Zwischen türkischen Fahnen  bei einer Demonstration in Köln 2016 ist ein Bild des türkischen Präsidenten zu sehen.
Der türkische Präsident ist bei seinen Landsleuten in Deutschland beliebt. Hier bei einer Demonstration 2016 in Köln.Bild: picture alliance/dpa/H. Kaiser

Oberste Sicherheitsstufe in Berlin

Das politische Berlin schaut also auf Bundeskanzler Olaf Scholz, der mögliche Entgleisungen Erdogans kontern soll. Das Verhältnis beider Politiker zueinander war von Anfang an unterkühlt, schon beim Antrittsbesuch von Scholz in der Türkei im März 2022. Danach wurde ein Gegenbesuch in Berlin zunächst verschoben und dann, noch vor dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel, für den November neu terminiert. Auf jeden Fall gilt in Berlin die oberste Sicherheitsstufe, wenn der türkische Präsident kommt. Ob wie bei Erdogans Staatsbesuch 2018 auch Scharfschützen auf Dächern postiert werden, war zunächst noch nicht bekannt. Damals, 2018, waren mehr als 4000 Polizisten im Einsatz; im Regierungsviertel herrschte der Ausnahmezustand. So wird es wohl auch am Samstag, sein: Da wollen tausende Kurden für die verbotene Arbeiterpartei PKK und gegen die Politik Ankaras demonstrieren.

Erdogan und Netanjahu sitzen jeweils vor einer türkischen und israelischen Fahne vor einem Fenster an einem Tisch. Im Hintergrund sieht man einen Fluss und Hochhäuser
Noch im September 2023 saßen Israels Ministerpräsident Netanjahu und Erdoğan entspannt zusammen. Inzwischen hat Erdoğan den Kontakt abgebrochen. Bild: AK Party/Zuma/picture alliance