Scholz in China: Schwierige Mission beim Partner und Rivalen
12. April 2024Ein Video geht auf allen Plattformen der chinesischen sozialen Medien viral. Zu sehen ist ein Mann mittleren Alters, der seine Aktentasche aus schwarzem Leder zeigt. Er erklärt auf deutsch, was er mit sich trägt: Dokumente, Lesebrille und iPad. Dazu gibt es chinesische Untertitel.
Der Protagonist heißt Olaf Scholz. Pünktlich zur Ankündigung seiner zweiten Chinareise (13. - 16.04.) startet der SPD-Politiker sein Account auf TikTok. Das soziale Netzwerk wurde in China entwickelt und begeistert viele Jugendliche weltweit. Allerdings ist es auch kontrovers, weil unbeliebte Videos in den Augen chinesischer Machthaber durch die Zensoren gelöscht werden könnten.
Olaf Scholz stellt mit der anstehenden Chinareise einen persönlichen Neurekord auf. Es wird die längste Auslandsreise des Bundeskanzlers seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021 in einem einzigen Land sein: drei Tage mit drei Stationen.
Soviel zur Höflichkeit gegenüber dem kommunistischen Gastgeber vor einer erfolgreichen Chinavisite, die wie jede andere zuvor wieder ein Balanceakt sein wird. Es ist fast der Klassiker der Gretchenfragen: Wird Scholz die schlechte Menschenrechtsbilanz öffentlich kritisieren? Wie macht er das? Trifft er regimekritische Aktivisten? Und riskiert er dabei die wirtschaftlichen Interessen der Deutschlands?
"Das ist die falsche Fragestellung. Wir sollten endlich einmal lernen, von diesem scheinbaren Konflikt abzurücken", meint Eberhard Sandschneider, Partner der Denkfabrik Berlin Global Advisors. "Beides gehört zu einer Kanzlerreise dazu." Das sei nicht das Problem des heutigen Kanzlers, sondern das aller bisherigen Kanzler seit Helmut Schmidt gewesen. "Wenn sie nach China reisen, geht es natürlich auch um Wirtschaftsinteressen - und um die der mitreisenden Wirtschaftsdelegation."
China: Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale
Für die Bundesregierung ist China Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Das schreibt die erste Chinastrategie der Bundesregierung vom Sommer 2023 fest. Nun will Bundeskanzler Scholz bei seiner zweiten Chinareise der Berliner Ampelkoalition und dem chinesischen Gastgeber zeigen, wo er sich in dieser gegensätzlichen und in sich widersprüchlichen Strategie positioniert.
Die Globalisierung bringt Deutschland und China als zwei der größten Volkswirtschaften der Welt zusammen. In der chinesischen Presse wird Deutschland immer als der größte Handelspartner von Peking in Europa angepriesen. In Summe werden so viele Waren zwischen beiden Ländern ausgetauscht wie die zwischen China und Frankreich, Italien sowie Großbritannien zusammengenommen.
China lockt mit riesigen Märkten und baut Schritt für Schritt die Einschränkungen für ausländische Investitionen (FDI) ab, um die nachlassende Konjunktur im Lande zu stimulieren. Ferner hat China weltweit bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung und E-Mobilität schon längst die Nase vorne.
China ist längst Technologienführer
"Die Zeiten, wo deutsche Firmen in allen Bereichen die Technologie hatten und bereit waren, sie zur Verfügung zu stellen, sind vorbei", resümiert China-Experte Sandschneider, der bis zu seiner Emeritierung 2020 den Lehrstuhl für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin innehatte. China sei einer der Technologieführer in so vielen zukunftsorientierten Technologien: von künstlicher Intelligenz bis hin zum Klimaschutz. "Es ist höchste Zeit, dass wir es einsehen."
Durch die Globalisierung werden die Volkswirtschaften abhängiger voneinander denn je. Die Berliner Chinastrategie unterstreicht deswegen, dass beim Umgang mit China eine Minderung von Risiken (De-Risking) dringend geboten sei. Eine Entkopplung der Volkswirtschaften (De-Coupling) lehne dagegen die Bundesregierung ab.
"Diese Abhängigkeitsdebatte geht völlig an den Tatsachen vorbei", regt sich Sandschneider auf. "Man muss immer wieder sagen: Abhängigkeiten sind in den letzten Jahren die Grundlage unseres Wohlstandes gewesen. Wer jetzt vom Abbau von Abhängigkeiten spricht, muss fairerweise den Menschen auch sagen, dass es weniger Wohlstand bedeuten würde. Das vermeidet die Politik, weil das nicht sonderlich beifallsfähig ist. Aber das ist ja eigentlich ihre Realität hinter dieser Diskussion."
Ein Beispiel ist die Energiewende als das zentrale Zukunftsthema. Nach Informationen der Berliner China-Denkfabrik Merics werden derzeit 87 Prozent der Fotovoltaikanlagen in Deutschland aus China importiert. Da werde heftig über den Abbau von Risiken nachgedacht, so Lead Analyst Nis Grünberg von Merics. "Wie wir die großen Kapazitäten in China nutzen und gleichzeitig ein De-Risking in diesem Bereich vornehmen, wäre eigentlich die zentrale Fragestellung für unsere künftige Politik." Doch ein gangbarer Weg zeigt sich nicht.
Ampelkoalition in Sachen China-Politik uneinig
In der Berliner Regierungskoalition aus SPD, FDP und den Grünen herrscht große Uneinigkeit über China. Auch die Union als Opposition mischt heftig mit. So reiste der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Anfang April nach China. Nach einem Besuch auf der Großen Mauer, dem Foto mit einem Plüschpanda und dem Treffen mit Chinas Premier Li Qiang attackierte der Vorsitzende der CSU, der Schwesterpartei der auf Bundesebene oppositionellen CDU/CSU-Fraktion, die Chinapolitik der Bundesregierung scharf. Söder forderte eine "Realpolitik" anstatt einer "Moralpolitik". Er suche den Austausch mit dem schwierigen Gegenüber. Söders Argument: "Wenn wir nur ein Gespräch führen mit denen, die komplett wie wir sind, dann haben wir aber nicht mehr wirklich viel zu tun".
Die Grünen distanzieren sich von einem noch engeren Austausch mit China. Sie befürchten, dass Deutschland nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die damit verbundene Russlandpolitik in eine neue Abhängigkeit von China gerate. Die Debatte habe schon immer eine innenpolitische Seite, räumt Chief Economist Max Zenglein von Merics ein. In der Berliner Koalition verantworten die Grünen die Ressorts wie Außenpolitik und Wirtschaft. Die grünen Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock reisen diesmal zwar nicht mit, signalisieren aber, dass sie dieses Jahr auch eine Chinareise planen.
"Allein an der Zeit, die der chinesische Präsident Xi Jinping für die Gespräche mit dem deutschen Bundeskanzler bereitstellt, wird es deutlich, wie groß das Interesse an deutscher Politik in China ist", sagt Sandschneider, "und natürlich beobachtet man dort haargenau die unterschiedlichen parteipolitischen Positionen. Wer wie Markus Söder Realpolitik predigt, bekommt in China einen großen Bahnhof. Das ist auch ein Zeichen an die deutsche Außenministerin, die im Moment Schwierigkeiten hat, in China überhaupt einen Termin zu bekommen; auch nicht bei der Reise des Kanzlers dabei ist."
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.