1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schleichender Anschluss an Russland?

Christian F. Trippe18. Oktober 2015

Abchasien gilt als "de facto unabhängig", als Quasi-Staat am Schwarzen Meer, ein Puffer zwischen Russland und Georgien. Doch was bedeutet das? Eine Reise in eine Region im Schlagschatten des neuen Ost-West-Konfliktes.

https://p.dw.com/p/1Goh9
Stadtansicht von Suchumi (Foto: Mihail Mokrushin/RIA Novosti)
Suchumi, die Hauptstadt der nicht anerkannten Republik Abchasien, liegt am Schwarzen MeerBild: picture-alliance/dpa/M. Mokrushin

Die Dienstzimmer im Außenministerium der abchasischen Hauptstadt Suchumi sehen aus wie Amtsstuben überall auf der Welt. Als Außenminister Tschirigba das Büro betritt, springen seine Mitarbeiter auf, um den 56-Jährigen zu begrüßen. Wjatscheslaw Tschirigba ist gelernter Sprachwissenschaftler, ein Spezialist für die Sprachen des Kaukasus. Viele Jahre hat er im niederländischen Leiden geforscht, gelehrt und gelebt. Der Westen ist ihm also nicht fremd, und Abchasien nennt er ein europäisches Land.

Gleichwohl zieht er eine klare Trennlinie: Hier das prorussische Lager, dort der Westen. "Der Kalte Krieg ist zurück - leider." Da solle man sich nichts vormachen, sagt Tschirigba im DW-Interview und positioniert Abchasien: Russland garantiert Abchasiens Sicherheit gegenüber dem dezidiert prowestlichen Georgien, Russland gibt Geld für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und zahlt Zuschüsse zum Staatshaushalt. "Was ist daran schlecht?", fragt er leicht gereizt.

Kremlchef Wladimir Putin und der Präsident Abchasiens, Raul Chadschimba, (Foto: REUTERS/Alexei Druzhinin/RIA Novosti/Kremlin)
Kreml-Chef Wladimir Putin (r.) und der Präsident Abchasiens, Raul Chadschimba, schlossen Ende 2014 ein KooperationsabkommenBild: Reuters

Einfluss des großen Bruders

Was an dieser Politik Russlands schlecht sein könnte, wird in Abchasien lebhaft diskutiert. Nicht wenige befürchten, Moskau ziele auf eine Art schleichenden Anschluss bis hin zur Integration Abchasiens in die Russische Föderation. Tengiz Dschopua sieht Moskaus Einfluss kritisch. Er ist Vorsitzender von "Ainar", einer gerade erst gegründeten Partei, hervorgegangen aus einem Think Tank, der sich mit sozioökonomischen Themen befasste. Auch Dschopua kann das Dilemma nur beschreiben: Ohne die russische Militärpräsenz würde Abchasien kaum überleben. Das aber verringert den innenpolitischen Spielraum. Seine Forderung, Abchasien solle "endlich selber schwimmen lernen", dürfte wohl Wunschdenken bleiben.

Der russische Rubel ist offizielles Zahlungsmittel. Die Bewohner Abchasiens bekommen ohne weiteres russische Pässe ausgestellt - was für sie die einzige Möglichkeit darstellt, überhaupt ins westliche Ausland zu reisen. Der Tourismus in Abchasien wiederum lebt von Urlaubern aus Russland. Dieses Jahr sollen es mehr als vier Millionen werden. Und schließlich sichert sich der Kreml in einem "Abkommen über strategische Partnerschaft" zwischen Moskau und Suchumi weitgehende Rechte. Seitdem sehen westliche Beobachter Abchasien als Militärprotektorat von Moskaus Gnaden.

Spannungen zwischen Abchasen und Russen

Davon wollten wir uns selber ein Bild machen und waren Mitte September mit unserem DW-Kamerateam von Moskau aus zu einer Drehreise nach Abchasien aufgebrochen. Anfragen nach einem Interview mit einem russischen Offiziellen und nach einer Drehgenehmigung für eine russische Garnison waren schon in Moskau im Sande verlaufen. John Gulariya, Vizeverwaltungschef des Gali-Distrikts, etwa eine Autostunde von der Hauptstadt Suchumi entfernt, fährt mit uns zu einer russischen Kaserne. Sie liegt gleich an der E 60, der Verkehrsader, die Abchasien von Nord nach Süd durchläuft.

Der abchasische Offizielle meldet sich beim wachhabenden Offizier, einem Major des russischen Heeres, und fragt, ob wir von der Straße aus die Kaserne drehen können. Der Major verneint. Gulariya beharrt darauf, dass die Landstraße abchasisches Hoheitsgebiet sei, von der aus filmen und fotografieren dürfe, wer wolle.

Die beiden geraten in einen heftigen Streit. Schließlich sagt der russische Major: "Was weiß ich, wer Sie sind? Sie könnten ja ein Freund Saakaschwilis sein." Gulariya ist empört, mit dem bei Abchasen wie Russen gleichermaßen verhassten ehemaligen georgischen Präsidenten in Verbindung gebracht zu werden - und er giftet zurück: "Wir brauchen hier keinen Saakaschwili und keinen Hitler! Warum reden Sie so mit mir, Sie als Vertreter der ruhmreichen russischen Armee?" Eine Drehgenehmigung bekommen wir trotzdem nicht. Der Major droht uns und dem abchasischen Offiziellen mit schlimmen Konsequenzen, sollten wir trotzdem filmen.

Karte Georgiens mit Abchasien (Grafik: DW)
Abchasien gehört völkerrechtlich zu GeorgienBild: DW

Zoll behindert kleinen Grenzverkehr

Solchen Spannungen zum Trotz stehen die Abchasen in ihrer Mehrheit hinter der Politik Moskaus, das Land zu einem Bollwerk gegen Georgien auszubauen. Georgien will nach wie vor in die NATO aufgenommen werden. Von den südlichsten russischen Stützpunkten nahe des Grenzflusses Inguri bis zum Ölterminal Supsa auf georgischer Seite sind es gerade mal 80 Kilometer Luftlinie. Die russischen Stützpunkte sind schmucke Neubauten, auf jedem Objekt stehen rot-weiß-lackierte Sendemasten, auf deren Spitzen moderne Kommunikationstechnik montiert ist.

Die Demarkationslinie am Inguri wurde mit Bewegungsmeldern und Infrarot-Sensoren ausgerüstet. Der kleine halblegale Grenzverkehr zwischen Georgiern und Abchasen ist somit kaum noch möglich. Außerdem erhebt Abchasien seit kurzem Ausfuhrzoll auf landwirtschaftliche Produkte. Für die Kleinbauern im Gali-Bezirk wird somit der Export ihrer Früchte und Haselnüsse zu den Märkten in Georgien erschwert.

Auf unserer Recherchereise fahren wir mit dem Ortsvorsteher des Dorfes Akhiskha zum Inguri-Fluss. Er will uns alte Schmuggelpfade zeigen. Doch ein russischer Grenzsoldat taucht aus dem Gebüsch auf und hält unser Auto an. Der Soldat verschwindet mit dem Dienstausweis des Ortsvorstehers, kommt nach einigen Minuten zurück und fordert uns militärisch knapp auf, umzudrehen und wegzufahren. Den Einwand des abchasischen Offiziellen, dies hier sei schließlich "sein Dorf", lässt der russische Uniformierte nicht gelten.

Suche nach Anerkennung

Neben Russland haben lediglich Venezuela und Nicaragua und der pazifische Kleinstaat Nauru Abchasien diplomatisch anerkannt. In Suchumi sagt Außenminister Tschirigba, er verhandle derzeit mit weiteren Ländern in Afrika und Südamerika über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Das alles seien Schritte auf dem Weg zur politischen Normalität eines souveränen Landes. Abchasien, so ist in Lexika und Artikeln zu lesen, sei "de facto unabhängig". Diese Formulierung trifft die Zustände dort nicht wirklich.