Schaake: "Menschenrechtsdialog neu starten"
21. Dezember 2013
DW: Frau Schaake, warum hat es so lange gedauert, bis eine Delegation des Europäischen Parlaments den Iran offiziell besuchen durfte?
Marietje Schaake: Seit 2008 hat das Europäische Parlament wiederholt versucht, eine Iran-Reise zu organisieren. Jedes Mal wurde der geplante Besuch abgesagt, manchmal in der letzten Minute. Der Zeitpunkt dieses Besuches war jetzt sehr wichtig, weil der neu gewählte iranische Präsident Hassan Rohani offenbar einen Kurs für mehr Öffnung eingeschlagen hat.
Was wollten Sie mit diesem Besuch erreichen?
Wir wollten Themen ansprechen, die über das Atomprogramm hinausgehen, wie zum Beispiel Menschenrechte, Studentenaustausch, die Krise in Syrien und künftige Pläne für einen regelmäßigen Austausch zwischen unseren Parlamenten. Ich glaube, der Zugang ist zwar schwierig, aber die Gelegenheit muss jetzt genutzt werden. Ein wichtiger Schritt, den angemessenen Rahmen für die Arbeit zu schaffen, ist eine EU-Vertretung in Teheran zu eröffnen. Damit sind wir in der Lage, in einen direkten Dialog einzutreten mit der iranischen Regierung und der Zivilgesellschaft, mit Austauschstudenten, die nach Europa gehen, und anderen.
Konnten Sie auch mit den iranischen Oppositionsführern Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi sprechen? Werden sie bald aus dem Hausarrest entlassen?
Es hängt von der iranischen Regierung ab, ob Mussawi und Karrubi aus dem Hausarrest entlassen werden. Ich habe schon gemerkt, dass es darüber eine große Diskussion im Iran gibt. Das Ende des Hausarrestes wäre ein sichtbares Signal der Regierung, dass sie bereit ist, den Kurs zu ändern. Die signifikanteste Entwicklung hängt jedoch von Maßnahmen ab, die die Lebenssituationen des gesamten iranischen Volks verändern.
Haben Sie bei Ihren Gesprächen einen klaren Willen der Regierung für politische Reformen und Liberalisierung wahrgenommen?
Es gibt unterschiedliche Fraktionen in der iranischen Politik. Natürlich sind nicht alle mit den Reformen einverstanden. In den meisten Gesprächen, die wir geführt hatten, ging es um Menschenrechte, Sanktionen, Terrorismus, Syrien und die regionale Sicherheit, und natürlich auch um die Wirtschaftslage im Iran.
Was hatte die iranische Regierung über die Menschenrechtslage im Lande zu berichten?
Wir haben uns darauf verständigt, den Menschenrechtsdialog neu zu starten. Der Iran hat die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zum Gespräch eingeladen. Es wäre wichtig, dass Navi Pillay den Iran besucht und die Situation nach den Standards der Vereinten Nationen bewertet.
Wie wichtig waren die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bei den Gesprächen mit den iranischen Politikern?
Als ein Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel im Europäischen Parlament war das Thema Handel für mich besonders interessant. Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, und natürlich auch über die Folgen der Sanktionen.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Aufhebung der internationalen Sanktionen und einer Verbesserung der Menschenrechtssituation im Iran?
Ich bin überzeugt, dass die Machthaber im Iran nun bestens positioniert sind, um die Menschenrechte und das Wohlergehen des Volks zu verbessern. Die EU hat im Zusammenhang mit dem Atomprogramm und gegen Personen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden, Sanktionen verhängt. Einige der Strafmaßnahmen in Verbindung mit dem Atomprogramm wurden nach den erfolgreichen Gesprächen zwischen den fünf UN-Vetomächten, Deutschland und dem Iran (5+1Gespräche) provisorisch und umkehrbar aufgehoben. Doch die Aufhebung von Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms hängt nicht mit den Menschenrechten zusammen.
Wird die EU ihre Menschenrechtspolitik gegenüber dem Iran verändern, wenn die 5+1 Gespräche endgültig abgeschlossen sind?
Die EU und das Europäische Parlament haben die Menschenrechte immer weit oben auf die Agenda gesetzt beim Umgang mit dem Iran und werden dies auch weiterhin tun - unabhängig davon, ob der Atomstreit beigelegt ist oder nicht. Die Lösung dieses Konflikts wäre jedoch ein wichtiger Durchbruch und eine Befreiung von der (Selbst-)Isolation des Iran, und er würde einen grundlegenden Menschenrechts-Dialog erleichtern. Die Wiederherstellung des Vertrauens löst hoffentlich einen Dominoeffekt aus, der sich auf weitere Themen von gemeinsamem Interesse auswirkt. Also, die Lösung des Atomkonflikts ist wichtig. Sie darf aber nicht die breite Diskussionen über die Grundrechte im Iran überschatten.
Die Niederländerin Marietje Schaake ist Abgeordnete im Europäischen Parlament und Politikerin der niederländischen Partei Democraten 66 (D66).