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Politik

Saudi-Arabiens jemenitische Nöte

9. November 2017

Die Intervention im Jemen bereitet Saudi-Arabien immer größere Probleme - politisch, humanitär und auch, was den Ruf des Königreiches angeht. Nun soll Russland helfen. Für Moskau würde sich die Vermittlung lohnen.

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Jemen Panzer
Bild: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi

Seit geraumer Zeit ist der jemenitische Präsident Abd-Rabbu Mansour Hadi ein Mann ohne Macht. Nun legen Berichte der Nachrichtenagentur AP nahe, dass er auch ein Mann ohne Bewegungsfreiheit ist. Der von seinen Gegnern, den rebellierenden Huthis, bis auf das Äußerste bedrängte Präsident, der sich mit seiner Familie seit Monaten im saudischen Riad aufhält, will bereits seit Längerem in sein Heimatland zurück. Doch eben das wird ihm verwehrt, und zwar von der saudischen Regierung - eben jener, die vorgibt, ihn als demokratisch legitimierten Präsidenten zu schützen. Und die darum seit zweieinhalb Jahren eine militärische Intervention in das kleine Nachbarland im Süden anführt.

Die Entscheidung, Mansour Hadi in Riad zu halten, stützt die Vermutung, dass Saudi-Arabien seinen Einsatz im Jemen beenden möchte - einen Einsatz, der das Königreich erhebliche Reputation gekostet hat, und dessen Sinn und Legitimität es angesichts der mehr als 10.000 zivilen Todesopfer nicht erklären kann.

Zudem leiden durch den Krieg 2,2 Millionen Kinder an Mangelernährung. Bereits im Jahr 2016 ist außerdem die Cholera ausgebrochen. Als "schlimmste Cholera-Epidemie der Welt inmitten der größten humanitären Krise der Welt", beschreiben Vertreter der Weltgesundheitsorganisation, des Kinderhilfswerks UNICEF und des Welternährungsprogramms die Situation heute.

Wunsch nach Rückzug

Jemen Videostill Raketenabschuß auf Saudi-Arabien
Ungewohntes Bild: High-Tech im Dienst der Huthis, hier der Raketenabschuss auf RiadBild: Reuters

Angesichts der desaströsen politischen und humanitären Konsequenzen des Feldzugs und des daraus resultierenden schlechten Image des Königreichs hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, bereits im August während eines Besuches in den USA anklingen lassen, dass sein Land sich am liebsten aus dem Jemen zurückzöge. Die Entscheidung, Mansour Hadi nicht aus dem Land zu lassen, könnte um dieses Zieles willen getroffen worden sein. Sie wäre dann ein eher indirektes als direktes Signal an die Gegenseite im Jemen: die Huthi-Rebellen unter Führung des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh.

Diese Vermutung gewinnt auch dadurch Plausibilität, dass Russland Anfang Oktober ein Flugzeug entsandte, das den inzwischen 75 Jahre alten Saleh zur medizinischen Versorgung ins Ausland bringen soll. Den jemenitischen Luftraum dürfen ausländische Flugzeuge derzeit aber nur mit saudischer Genehmigung durchfliegen. Auch das dürfte ein Ausdruck des Verständigungswillens mit den Huthis sein.

Diesen war es vor wenigen Tagen gelungen, aus dem Jemen heraus eine Rakete in Richtung des Flughafens von Riad zu feuern. Das dürfte die Staatsführung zusätzlich bewogen haben, sich um ein Ende der Kämpfe zu bemühen. Auch darum dürfte sie glücklich sein, Russland als Partner gewonnen zu haben. In Moskau wiederum sichert man sich auf diese Weise weiteren Einfluss in der Region, in diesem Fall als Vermittler in einem äußerst blutigen Krieg, der vor allem auf Kosten der Zivilbevölkerung geht.

Jemen Luftangriff auf Saada
Leidtragende des Krieges: die jemenitische ZivilbevölkerungBild: Reuters/N. Rahma

Kritik aus dem Jemen

Die Deutung, Saudi-Arabien könnte es darauf anlegen, mit seinen bisherigen Feinden im Jemen nicht nur zu verhandeln, sondern mit ihnen über die Köpfe seiner bisherigen Verbündeten hinweg Vereinbarungen oder gar Abkommen zu schließen, wird auch im Jemen diskutiert. Das wäre allerdings nahezu eine Umkehrung der bisher in Riad vertretenen Linie.

Durch diesen Schwenk zeige das saudische Königreich, "dass es nicht vermocht hat, den Aufstand niederzuschlagen", erklärt der jemenitische Polit-Analyst Khaled al-Ansi gegenüber dem Nachrichtensender Al-Jazeera. Dadurch habe es "der politischen Legitimität den Rücken gekehrt". Dieser Umstand ändere die Haltung der jemenitischen Befürworter der Intervention. "Wir haben die Präsenz der Militärkoalition akzeptiert, damit sie die politische Legitimität verteidigt - aber nicht, damit sie sie ruiniert. Jetzt aber sehen wir, dass die tatsächliche Agenda sich von der offiziell beschworenen unterscheidet. Damit ist die Präsenz der Saudis im Jemen illegal", so Al-Ansi weiter.

Umstrittener Einsatz

Der Einsatz der von Saudi-Arabien geführten Koalition ist seit langem umstritten. Sebastian Sons, Nahost-Analyst bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, deutet den saudischen Einsatz im Jemen vor allem als eine Art Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran: "Es ist in allererster Linie ein politischer und ein geostrategischer Konflikt. Aus saudischer Sicht gründet er auf dem Umstand, dass Iran in der arabischen Welt deutlich an Einfluss gewonnen hat."

Diese saudische Einschätzung treffe durchaus zu, so Sonst weiter. Tatsächlich sehe sich Saudi-Arabien in zahlreichen Ländern iranischen Verbündeten gegenüber. "Das ist nicht nur im Irak der Fall, sondern auch in Syrien, in Bahrein, im Jemen, im Libanon. Diese Länder werden aus saudischer Sicht von Iran kontrolliert." Dennoch sei die saudische Furcht vor einem wiedererstarkten Iran überzogen, so Sons weiter. "Eher folgt die Empfindung einer anti-iranischen Obsession. Darum meint man, neue Verbündete finden oder alte Verbündete wieder an sich binden zu müssen."

Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Saudi-Arabien sieht sich gezwungen, ausgerechnet den Verbündeten Irans, Russland, um Hilfe zu bitten. Hinter den Kulissen, so wohl das Kalkül, könnte Moskau Teheran zu einer gemäßigteren Außenpolitik drängen. Worte, so die nun offenbar auch in Riad sich verbreitende Einsicht, bewirken bisweilen doch mehr als Waffen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika