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Saudi-Arabiens gnadenlose Richter

Kersten Knipp29. Oktober 2014

Seit Beginn des Jahres 2014 wurden in Saudi-Arabien 60 Menschen hingerichtet. Auch Religionsverbrechen können mit der Todesstrafe geahndet werden. Denn das Königreich sieht sich als Hüter des sunnitischen Islam.

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Hinrichtungsplatz in Riad

Die Strafe war hart. Doch nach Ansicht mancher war sie nicht hart genug. Raif Badawi hatte auf seiner Website "Saudische Liberale" führende saudische Religionsgelehrte kritisiert. Außerdem hatte er sich kritisch mit der Rolle des Islam im Öffentlichen Leben des Landes auseinandergesetzt. "Beleidigung des Glaubens", warf der Richter ihm daraufhin vor. Weiter lastete er Badawi an, er habe islamische Würdenträger lächerlich gemacht und "die Grenzen des Gehorsams" überschritten. Später wurde auch der Vorwurf der "Apostasie", dem Abkommen vom Glauben erhoben. In Saudi-Arabien steht darauf die Todesstrafe. Im Juli 2013 wurde das Urteil verkündet: 600 Peitschenhiebe und sieben Jahre Gefängnis. Badawi ging in Berufung. Im Mai dieses Jahres verkündete der Richter das neue Urteil: Tausend Peitschenhiebe und zehn Jahre Gefängnis. Zusätzlich muss er ein Bußgeld von umgerechnet 195.000 Euro zahlen.

Badawis Schicksal ist kein Einzelfall. Regelmäßig werden in Saudi-Arabien Menschenrechtsaktivisten und Kritiker des religiösen Establishments zu drakonischen Strafen verurteilt. Im Juli 2014 verurteilte ein Gericht den Aktivisten Walid Abu al-Khair zu 15 Jahren Haft. Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge befanden die Richter ihn unter anderem folgender Vergehen für schuldig: "Ungehorsam gegenüber dem Herrscher", "versuchte Infragestellung der Legitimität des Königs"; "Schädigung des Staatsrufes durch Kommunikation mit internationalen Organisationen"; "Aufbereitung, Aufbewahrung und Übersendung von Informationen, die die öffentliche Ordnung gefährden". Auch Walid Abu al-Khair ist Menschenrechtsaktivist, der sein Geld als Anwalt verdient. Einer seiner prominentesten Klienten: Raif Badawi.

Raif Badawi (Foto: privat)
Blogger Raif BadawiBild: privat

Dehnbare Anklagepunkte

Al-Khairs Richter bezog sich in seinem Urteil auch auf ein neues Terrorgesetz. Das war zu dem Zeitpunkt, als gegen Al-Khair Anklage erhoben wurde, allerdings noch gar nicht in Kraft getreten. Rechtsgültig wurde es erst im Februar 2014. Das Gesetz soll dem Staat eine Handhabe gegen "terroristische Verbrechen" geben. Darunter versteht die saudische Legislative unter anderem folgende Delikte: Versuche, "die öffentliche Ordnung des Staates zu stören", "die Sicherheit der Bevölkerung oder des Staates zu destabilisieren", "die nationale Einheit zu bedrohen", oder "den Ruf oder das Ansehen des Staates zu schädigen". Auf diese dehnbaren Begriffe stützen die saudischen Richter viele ihrer Urteile.

Pilgermassen während der Hasdsch in Saudi-Arabien (Foto: Reuters)
Saudi-Arabien: Pilgermassen während der HaddschBild: Reuters/Muhammad Hamed

Insbesondere in den letzten zwei Jahren wurden zahlreiche saudische Menschenrechtsaktivisten und Blogger zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Auf diese Weise schränkt der saudische Staat auch die Pressefreiheit im Land massiv ein. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt Saudi-Arabien unter 180 gelisteten Ländern Rang 164.

Spitzenreiter ist Saudi-Arabien auch hinsichtlich der Todesstrafe. Amnesty International zufolge wurden in Saudi-Arabien 2013 mindestens 79 Todesurteile vollstreckt. 2014 wurden bisher 60 Menschen hingerichtet.

"Beleidigung der Religion"

Die Todesstrafe wird vor allem über Mörder und Drogenhändler verhängt. Sie kann aber auch im Fall so genannter "Religionsverbrechen" ausgesprochen werden. So wurde Mitte Oktober 2014 der schiitische Geistliche Nimr Bakir al-Nimr zum Tode verurteilt. Er wurde beschuldigt, zu Gewalt zwischen den Konfessionen aufgerufen und Proteste organisiert zu haben. Außerdem habe er sich des Ungehorsams gegenüber dem König schuldig gemacht.

Das Urteil habe Signalwirkung, erklärt der an der Universität Münster lehrende Islamwissenschaftler Menno Preuschaft, der sich vor allem mit arabischen Monarchien beschäftigt. "Es demonstriert, dass man nicht gewillt ist, Umbruch und revolutionäre Tendenzen in irgendeiner Art zu dulden."

Auf dem Tatbestand des Religionsverbrechens beruhen viele Urteile. Erstaunlich sei das nicht, sagt Menno Preuschaft. Das saudische Herrscherhaus ziehe seine politische Legitimität aus seiner Rolle als Schutzmacht des Islam und Hüterin von dessen heiligen Stätten. Damit begründe es innerhalb des sunnitischen Islam national wie international seinen theologischen Führungsanspruch in der sunnitischen Welt. "Jede Kritik an der Religion ist aus Sicht des Königshauses auch eine Kritik an dessen Führungsstil. Damit fordert sie auch dessen Machtmonopol heraus", sagt Preuschaft.

Herausforderungen für die Diplomatie

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein saudischer Kollege Saud al-Faisal, 13.10.2014 (Foto: Getty Images / AFP)
Der deutsche Außenminister Steinmeier und sein saudischer Kollege Saud al-FaisalBild: STR/AFP/Getty Images

Die desaströse Menschenrechtslage stellt für die deutsche Außenpolitik eine diplomatische Herausforderung dar. Saudi-Arabien sei strategisch wie ökonomisch ein bedeutender internationaler Akteur, sagt Ralf Mützenich (SPD), stellvertretendes Mitglied im "Auswärtigen Ausschuss" sowie im "Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe" des Deutschen Bundestages. Aber das führe auch zu Belastungen aufgrund der Menschenrechtslage sowie der Todesurteile. "Das führt natürlich zu schwierigen Fragen", sagt Mützenich. "Die darf man nicht ignorieren´, sondern diese müssen offen angesprochen werden."