Blick ins Erdinnere
22. November 2013Das Magnetfeld der Erde ist nicht zu sehen, nicht zu hören und nicht zu spüren - und dennoch ist es enorm wichtig: "Ohne das Magnetfeld der Erde gäbe es uns nicht, denn wir wären voll der kosmischen Strahlung ausgesetzt", erklärt Albert Zaglauer, Projektleiter bei der Firma Astrium in Friedrichshafen. Das Magnetfeld ist ein unsichtbarer Schutzschild, der die geladenen energiereichen Teilchen ablenkt, die aus den Tiefen des Alls und von der Sonne zu uns kommen. Ohne das Magnetfeld hätte die Erde längst ihre Atmosphäre verloren und Leben auf der Oberfläche wäre unmöglich. Deshalb will Europas Weltraumorganisation ESA jetzt das irdische Magnetfeld mit der Swarm-Mission genauer untersuchen. Am 22. November 2013 sind die Satelliten ins All gestartet.
Swarm ist das englische Wort für Schwarm - und der Name ist Programm: Gleich drei Satelliten werden auf verschiedenen Umlaufbahnen das Magnetfeld beobachten. "Die magnetischen Messungen im Weltraum liefern uns Informationen über die Vorgänge im geschmolzenen Erdkern, im Mantel und in der Erdkruste", betont Nils Olsen, der am Dänischen Weltraumzentrum in Kopenhagen an der Planung der Swarm-Mission beteiligt ist. Auch wenn das Satellitentrio auf Umlaufbahnen in 460 und 530 Kilometern Höhe zum Einsatz kommt, so geht dieses Projekt der Erde buchstäblich unter die Haut.
Raumflug ins Innere der Erde
Denn das Magnetfeld entsteht durch die Bewegung des flüssigen Materials im Erdinneren. Wie Messungen auf der Erde zeigen, hat die Magnetfeldstärke in den letzten 150 Jahren stetig abgenommen. Zudem wissen die Forscher, dass die magnetischen Pole der Erde wandern und dass sich das Magnetfeld im Schnitt etwa alle 500.000 Jahre komplett umpolt. Womöglich steht die Erde gerade wieder vor einem Tausch der magnetischen Pole.
Die Swarm-Satelliten sollen jetzt so genau wie nie zuvor den Zustand des Magnetfelds und seine Entwicklung untersuchen. Dabei erkunden die empfindlichen Satelliten auch die regional sehr unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften der Erdkruste. Swarm misst auch, wie selbst große Strömungen in den Ozeanen das Magnetfeld ein wenig verändern.
Zu den rätselhaften Phänomenen im Innern der Erde kommt der Einfluss von außen: Die Sonne schickt ununterbrochen einen mal schwächeren mal stärkeren Strom geladener Teilchen Richtung Erde. Gelegentlich kneten die solaren Teilchenstürme das Erdmagnetfeld regelrecht durch. Doch die gefährlichen Sonnenteilchen gelangen nur in der Nähe der Pole in tiefere Atmosphärenschichten und führen dort zu farbenprächtigen Polarlichtern.
Luftgitarren der besonderen Art
Um die sehr schnellen Veränderungen des Magnetfelds bei Sonnenstürmen zu verfolgen, sind simultane Messungen an verschiedenen Orten nötig. Es ist also kein unnötiger Luxus, gleich drei Satelliten in die Umlaufbahn zu setzen. Ein Satellit allein könnte die Daten gar nicht sammeln. "Es ist wirklich erstaunlich, was wir mit diesen ziemlich kleinen Satelliten alles über die Erde und die Sonne lernen werden", freut sich Olsen.
Die drei baugleichen Swarm-Satelliten sind jeweils 500 Kilogramm schwer und neun Meter lang. Um die Widerstandsfläche so klein wie möglich zu halten, sind die Satelliten schlanke, fast stromlinienförmige Gebilde. Die empfindlichsten Messintrumente befinden sich am Ende eines vier Meter langen Arms, der erst im All ausgeklappt wird. Mit langem Arm und schlankem Körper erinnern die Satelliten an Gitarren oder fliegende Hexenbesen.
Der Bau dieser Hightechgeräte hat etwa 90 Millionen Euro gekostet und stellte Techniker und Ingenieure vor große Herausforderungen. Denn die Satelliten mussten so konstruiert werden, dass das Material und die elektrischen Geräte an Bord die Messungen möglichst wenig stören. So wurden große Teile der Satelliten aus einer Kohlefaserstruktur gefertigt, die die Magnetfeldmessungen nicht beeinträchtigt.
Start mit einer alten Atomrakete
Das Swarm-Trio startete vom russischen Weltraumbahnhof Plessezk, gut 600 Kilometer nördlich von Moskau, ins All starten. Zum Einsatz kommt eine Rockot, eine frühere SS-19-Atomrakete. Die friedliche zivile Nutzung ist die eleganteste Art, die einstige Waffe entsprechend den Abrüstungsverträgen zu vernichten.
Die Swarm-Satelliten bleiben nicht auf Dauer auf ihren Bahnen. Durch die Reibung an der extrem dünnen Lufthülle wird das Trio allmählich absinken. Das ist einkalkuliert, denn die Physiker wollen zum Ende der Mission nach etwa vier Jahren in nur noch gut 300 Kilometern Höhe messen. Dort ist das begehrte Signal des Magnetfelds noch viel stärker zu spüren als auf der ursprünglichen Bahn. Bald nach Betriebsende werden die Satelliten in die Atmosphäre eintreten und komplett verglühen.
Messdaten statt bunter Bilder
Langfristig wollen die Forscher mithilfe der Daten von Swarm und zahlreichen Sonnensatelliten im All so präzise Wetterberichte erstellen wie auf der Erde. Zwar stellen die Sonnenstürme für Menschen auf der Erdoberfläche keine Gefahr da, aber die Strahlung kann Satelliten zerstören, GPS-Signale unscharf machen und zu Kurzschlüssen in Stromnetzen führen.
Swarm ist die vierte Mission im Rahmen des ESA-Programms "Earth Explorers", das die genaue Erforschung der wichtigsten Phänomene auf der Erde zum Ziel hat. Bisher befinden sich schon die Satelliten Cryosat, Goce und Smos in der Umlaufbahn. Sie untersuchen die Eisgebiete auf der Erde, das irdische Schwerefeld, die Bodenfeuchte und den Salzgehalt der Meere. Europas Wissenschaftler sind bei der Erdbeobachtung weltweit führend und werden diese Stellung mit weiteren Missionen in den kommenden Jahren noch ausbauen.
Während viele Satellitenmissionen mit wunderbaren Bildern der blauen Erdkugel für Begeisterung sorgen, wird es das Swarm-Team es in der breiten Öffentlichkeit eher schwer haben. Denn die drei Satelliten werden auf den ersten Blick unspektakuläre Zahlenkolonnen zur Erde funken. Bunte Bilder gibt es von den Satelliten ohne Kameras nicht, bedauert Albert Zaglauer: "Mit Messkurven wird man leider kaum über die Expertenwelt hinaus wahrgenommen. Aber Magnetfelder sind unglaublich wichtig für unser Leben!"