Zukunft der Raumfahrt
2. April 2013Die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) haben sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen: Der Start neuer Satelliten für das europäische Navigationssystem Galileo und zahlreiche kommerzielle Kommunikationssatelliten gehören dabei schon fast zum Routinegeschäft. Spannender für die Wissenschaftler sind viel eher die zahlreichen Raumsonden und Erdbeobachtungssatelliten, mit denen Wissenschaftler der beiden Institutionen zum einen in die Tiefe des Alls schauen können, zum anderen aber auch unsere Erde besser verstehen wollen.
Aus dem Weltall können Forscher vieles über die Erde lernen. So startet die ESA dieses Jahr verschiedene Erdbeobachtungssatelliten. Der kleine Würfelsatellit Proba-V soll beispielsweise dazu dienen, die Entwicklung der Pflanzenwelt zu verfolgen. Die SWARM-Mission, die die Veränderungen des Erdmagnetfeldes beobachten soll, besteht hingegen aus drei haushohen Satelliten, die tief unter die Erdkruste schauen können.
Aber auch die Internationale Raumstation ISS bleibt ein wichtiger Forschungsstandort. In 360 bis 400 Kilometern Höhe fliegt sie um die Erde und erlaubt Wissenschaftlern unter anderem in Schwerelosigkeit zu experimentieren und einen besonderen Blick auf die Erde zu werfen.
Neue Generation von Raumtransportern
Regelmäßig braucht die ISS Nachschub. Der kommt zum vorletzten Mal Mitte Juni 2013 mit dem letzten europäischen Raumtransporter, dem Automatischen Transfer-Vehikel (ATV). Die US-Raumfahrtagentur NASA hatte vor drei Jahren ihr Space-Shuttle Programm eingestellt. Wenn dann auch noch 2014 das letzte ATV gestartet ist, stehen nur noch russische Sojus-Raumkapseln zum Transport von Astronauten und private Raumtransporter für Material zur Verfügung. Für ESA und DLR ist das Grund genug, das ATV weiterzuentwickeln und zwar diesmal zusammen mit den Amerikanern. Das neue Modul namens ORION soll nicht nur Güter transportieren - sondern auch Menschen.
"Gerade diese Kooperation mit der NASA ist natürlich etwas ganz Besonderes", betont Thomas Reiter, der ehemalige Astronaut und heutige Direktor für bemannte Raumfahrt und Betrieb bei der ESA, im Interview mit der Deutschen Welle, "weil es das erste Mal ist, dass wir tatsächlich zusammen mit der NASA in einem kritischen Bereich der Entwicklung eines bemannten Transportsystems eine Rolle spielen."
Die ESA steuert das zentrale Antriebsmodul für die Raumkapsel bei. Darin enthalten sind die lebenserhaltenden Systeme, zum Beispiel die Luft- und Thermalkontrollen. Den Astronauten Thomas Reiter fasziniert an der Zusammenarbeit vor allem eins: Nicht nur zur ISS soll das System einmal fliegen - die Perspektive geht weit darüber hinaus. Die ersten beiden Testflüge werden um den Mond herumgehen.
"Zur Frage, wo dann eigentlich das Ziel zukünftiger Missionen ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten", so Reiter. Die Reise könnte auch zu einem der möglichen Lagrange-Punkte gehen. An diesen, nach dem Astronomen Joseph-Luois de Lagrange benannten Punkte, heben sich die Anziehungskräfte von Erde, Mond und anderen Gestirnen auf. Sie eignen sich, um mitten aus dem Weltall, von dort aus weitere Expeditionen zu starten, zum Beispiel zum Mars. "Das ist deshalb von großem Interesse, weil ich dann dort die Raumschiffe zusammenbauen könnte. Oder wenn ich zum Mond will, könnte ich dort ein Logistik-Zentrum einrichten", so Reiter.
Forschung um der Erkenntnis Willen
Zwar gibt es für bemannte Missionen zum Mond und Mars weder in Europa noch in den USA konkrete Planungen, aber die Entwicklung der Orion-Kapsel ist nur einer von vielen kleinen Schritten der Menschen zur Erforschung des Weltalls, betont Johann-Dietrich Wörner, Vorstandsvorsitzender des DLR gegenüber der Deutschen Welle. "Der Mensch in seiner unbändigen Neugier, die er zumindest in der Jugend noch hat, wird es sich nicht nehmen lassen, auch ferne Welten zu erkunden", so der DLR-Vorsitzende. Gerade Wissenschaftler behielten sich diese Neugier manchmal bis ins hohe Alter.
Vor allem aber, so Wörner, brächten Wissenschaftsmissionen, die anfangs gar nicht auf kommerziellen Gewinn abzielten, doch immer wieder überraschende Ergebnisse zurück, die dann auch den Menschen nützten. So wisse die Medizin dank der Forschungen in der ISS heute viel mehr über das Immunsystem oder den Salzgehalt des Körpers. Der Mensch werde durch die Raumfahrt selbst zum Forschungsobjekt.
Auch dies ist ein Grund, weshalb das DLR derzeit ein neues medizinisches Forschungszentrum in Köln errichtet, ein Environment-Habitat Labor (ENVIHAB) zur Erforschung der Umwelt unter verschiedenen physikalischen Bedingungen. Dabei geht es den Forschern gar nicht nur um Langzeitaufenthalte fern der Erde, wie zum Beispiel bei Reisen zum Mars, sondern um viel näherliegende Probleme. So könnten am ENVIHAB Schlafstudien durchgeführt werden, bei denen die Auswirkungen von Lärm auf den Körper erforscht werden könnten. "Wir können dort auch untersuchen, wie Langstreckenflüge mit verringertem Luftdruck auf den Menschen wirken", so Wörner.
Raketen, die sich selbst entsorgen
Nicht nur an Raumkapseln, auch an der Weiterentwicklung der europäischen Trägerraketen ist das DLR beteiligt. So unterstützt Deutschland die Weiterentwicklung der europäischen Trägerrakete ARIANE 5 zu einer ARIANE 5 ME. Diese kann dann eine höhere Nutzlast tragen. "Vor allem kann sie aber auch ihre Oberstufe abbremsen, um sie beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen zu lassen", beschreibt Wörner die Weiterentwicklung.
Das hilft dann künftig, Weltraumschrott zu vermeiden. Schon jetzt sind 16.000 Objekte in der Erdumlaufbahn bekannt, die größer sind als ein Zentimeter. Und diese Teile können für Satelliten oder auch für die ISS gefährlich werden. "In 400 Kilometern Höhe fliegt ein Objekt etwa mit 28.000 Stundenkilometern. Wenn da ein Teilchen mit genau der gleichen Geschwindigkeit entgegenkommt, dann treffen die mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 56.000 Stundenkilometern aufeinander", rechnen der Astronaut und der ESA Direktor Reiter vor. "Das kann dazu führen, dass die Hülle oder Elektronikkomponenten beschädigt werden, in die ISS möglicherweise ein Loch gerissen wird, und sie Atmosphäre verliert."
Damit es gar nicht so weit kommt, hat das DLR die Deutsche Orbitale Servicing Mission (DEOS) ins Leben gerufen: Eine Art orbitale Reparaturwerkstatt und Sperrmüllabfuhr für Satelliten. Das DEOS Modul soll zunächst Satelliten, deren Antrieb nicht mehr funktioniert, einfangen, so DLR-Vorsitzender Reiter. Dann könne man Verschiedenes mit ihnen anstellen: "Entweder man hält sie in der Umlaufbahn, um sie auch weiter funktionstüchtig zu haben oder man bringt sie ganz gezielt zum Absturz in die tieferen Schichten der Erdatmosphäre. Auch kann man sie von der Erde wegbringen in eine sichere Umlaufbahn, wo sie niemanden mehr stören."
Asteroidenabwehr als Aufgabe für viele Generationen
Auch von natürlichen Himmelskörpern geht eine Gefahr aus. Das hat der Vorbeiflug des Asteroiden 2012 DA14 am 15. Februar 2013 und dem Eintritt eines größeren Meteoriten am selben Tag in die Atmosphäre über Russland gezeigt. Von der Entwicklung einer wirksamen Abwehr ist die Weltraumforschung aber noch weit entfernt. Heute ist die Vorwarnzeit vor einem Einschlag viel zu kurz, um schnell reagieren zu können. So wurde 2012 DA14 überhaupt erst ein Jahr vor dem erdnahen Vorbeiflug entdeckt.
Selbst wenn man optimistisch sei, dauere es mindestens zehn Jahre um ein wirksames System zu entwickeln, das einen Asteroiden ablenken könne. Zudem fehle der gesellschaftliche Wille, viel Geld aufzubringen, wenn die Gefahr kaum greifbar sei, so der DLR-Vorsitzende. Denn die Wahrscheinlichkeit, in einem Menschenleben einen verheerenden Meteoriteneinschlag zu erleben, sei nicht sehr groß. "Und das ist unser Problem: Mit geringen Wahrscheinlichkeiten kriegen Sie keine großen Zuschüsse", so Wörner. Allerdings könne man eins tun: die Beobachtung von erdnahen Himmelskörpern intensivieren.