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Sahra Wagenknecht: Neue Partei mit altbekannten Gesichtern

Veröffentlicht 7. Januar 2024Zuletzt aktualisiert 27. Januar 2024

Das "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" setzt beim Gründungsparteitag auf viele ehemalige Linke. Das gilt auch für die Europawahl.

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Die Namensgeberin der neuen Partei: Sahra Wagenknecht (r.) und ihr Ehemann Oskar Lafontaine werden beim ersten Parteitag von Kameraleuten und Fotografen umringt.
Die Namensgeberin der neuen Partei: Sahra Wagenknecht (r.) und ihr Ehemann Oskar LafontaineBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Sie ist der unumstrittene Star, ihre Bedeutung so groß, dass die neue Partei sogar nach ihr benannt ist: "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW). Auf dem Gründungsparteitag in Berlin traf die ehemalige Fraktionschefin der Linken im Deutschen Bundestag auf viele vertraute Gesichter - darunter ihren Ehemann Oskar Lafontaine.

Der war mal Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und deutscher Finanzmister. Später wechselte der inzwischen 80-Jährige zur Linken, jetzt ist er Mitglied in der Partei seiner Frau, strebt allerdings keine Ämter mehr an.

Andere Ex-Linke prägen hingegen das BSW. Den Parteivorsitz teilen sich Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali, die noch bis Oktober 2023 Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag war.

Spitzenkandidat für die Europawahl: Fabio De Masi

Auch der Spitzenkandidat für die Europawahl am 9. Juni 2024 ist ein alter Weggefährte: Fabio De Masi. Der Finanzexperte war bereits von 2014 bis 2017 im Europäischen Parlament - als Abgeordneter der Linken. Die Wahl wird zur ersten Bewährungsprobe der Wagenknecht-Partei, die zudem bei den drei deutschen Landtagswahlen im September antreten will.

Fabio De Masi, Spitzenkandidat des "Bündnisses Sahra Wagenknecht" bei der Europawahl 2024, gestikuliert mit erhobenen Armen.
Fabio De Masi will für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" ins Europäische Parlament gewählt werden Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

In Umfragen bekommt das BSW teilweise deutlich über fünf Prozent. Diese sogenannte Sperrklausel muss in Deutschland übersprungen werden, um ins Parlament einzuziehen. Mit Sahra Wagenknecht als Frontfrau scheinen die Aussichten gut zu sein. Wobei sich die 54-Jährige weit von ihren politischen Wurzeln entfernt hat. "Wir sind keine Linke 2.0", betonte sie in ihrer Parteitagsrede.             

Früher war Sahra Wagenknecht Kommunistin

Die junge Sahra Wagenknecht war Kommunistin. Das blieb auch noch eine Weile so, als sie älter wurde und die DDR-Diktatur im lange Zeit geteilten Deutschland längst Geschichte war. Ab 2007 prägte die aus Jena im Bundesland Thüringen stammende Politikerin für viele Jahre das Bild der Partei Die Linke - meistens im Streit um den vermeintlich richtigen Kurs. 

Linke Parteien in der Krise 

Ihre Entscheidung, eine neue Partei zu gründen, steht sinnbildlich für die Krise, in der sich das gesamte linke Parteien-Spektrum derzeit befindet: im Abwärtstrend und auf der Suche nach neuen Ufern. Das gilt für die oppositionelle und mehr denn je um ihre Zukunft ringende Partei Die Linke, aber auch für SPD und Grüne. Auch Letztere verstehen sich ebenfalls als links.

Der Bedeutungsverlust linker Parteien hat nach Überzeugung des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt eine entscheidende Ursache: dass sie sich zu wenig um die sogenannten einfachen Leute kümmern. Die seien zum Beispiel durch fehlenden Wohnraum bedroht und hätten mit "woken", linken Vorstellungen wenig zu tun, meint Patzelt im Interview mit der DW.

Warum die "einfachen Leute" AfD wählen

Der Begriff "woke" stammt aus dem Englischen und bedeutet, ein wachsames Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und Rassismus zu haben. Themen, mit denen sich nach Ansicht des Parteien-Experten Patzelt vor allem die akademische und gebildete Linke beschäftige. Und solange sich daran nichts ändere, dürfe sich die Linke nicht wundern, "wenn die einfachen Leute eher bei den Rechten ihre Hoffnungen abladen". 

Werner Patzelt über eine Querfront zwischen Links und Rechts

Die AfD erzielt ihre hohen Zustimmungswerte insbesondere mit migrationsfeindlichen Tönen. Davon war auf dem ersten Parteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht nichts zu hören.

Aber skeptische und warnende Worte zum Stichwort Migration finden sich im BSW-Gründungsmanifest.: "Den Preis für verschärfte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum, um Jobs mit niedrigen Löhnen und für eine misslungene Integration zahlen nicht in erster Linie diejenigen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen." Solche Sätze erinnern den Politikwissenschaftler Werner Patzelt an eine Verbindung zwischen rechten und linken Extremen, an eine sogenannte Querfront.

Spannungsfeld Migrationspolitik

"In der Sozialpolitik soll man klassisch linke Politik für kleine Leute machen und in der Migrationspolitik soll man eine Politik machen, die man heute eher der Rechten zuschreibt", skizziert der Politologe das Spannungsfeld, in dem sich die Neugründung bewegen will. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit" habe einen bestimmten politischen Reiz, glaubt der Politologe. Aber ob es gut zusammenhalten könne, sei eine offene Frage.

Die lange in Deutschland praktizierte Willkommenskultur für Flüchtlinge, 2015 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) initiiert, hält Sahra Wagenknecht für "hochproblematisch". Nicht, weil man diesen Menschen kein besseres Leben gönne, wie sie betont. "Sondern weil unser Land dadurch einfach überfordert wird." 

Die Bundesregierung will Einwanderung begrenzen

Auch SPD und Grüne haben inzwischen eine Kehrtwende in der Migrationspolitik eingeschlagen und wollen den irregulären Zuzug nach Deutschland begrenzen. Zugleich gibt es Kürzungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. "Es wird diesen Parteien durch die Wirklichkeit aufgezwungen", sagt der Politologe Werner Patzelt. Einsparungen seien keine "Herzensangelegenheiten" linker Parteien.

Die Ausgangslage für die anstehenden Wahlen ist für alle sich als mehr oder weniger links verstehenden Parteien schwierig. Nur die Linke setzt beim Thema Migration kompromisslos auf eine Politik der offenen Grenzen. Dafür steht die Spitzenkandidatin bei der Europawahl: die international bekannte Seenot-Retterin und Klimaaktivistin Carola Rackete.

In Umfragen zahlt sich ihre im November 2023 erfolgte Nominierung noch nicht aus, die Linke liegt auf Bundesebene weiterhin unter fünf Prozent. Der ebenfalls schwächelnden SPD und den Grünen empfiehlt Patzelt einen Blick nach Dänemark und Schweden. In diesen skandinavischen Ländern praktizieren Sozialdemokraten schon länger eine restriktive Migrationspolitik. Ganz nach dem Geschmack von Sahra Wagenknecht, die Dänemark bei diesem Thema als Vorbild nennt.  

Der Artikel wurde erstmals am 07.01.2024 veröffentlicht und zuletzt am 27.01.2024 aktualisiert.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland