Asylpolitik verunsichert Geflüchtete und ihre Helfer
11. November 2023Wer den heiß begehrten Stempel für eine Aufenthaltserlaubnis bekommen will, muss in dem Escape Room in Bonn gleich drei Herkulesaufgaben meistern: Sich zunächst im umständlichen Bürokratiedschungel zurechtfinden, dann in vollkommener Dunkelheit die Angst vor der Zukunft überwinden und schließlich in einer engen Sammelunterkunft für Geflüchtete eisern durchhalten. 1800 Menschen haben diese ultimative Herausforderung in dem Escape Room bereits bestanden, ihnen ist die "Ankunft in Fremdistan" gelungen.
Junge Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak haben zusammen mit der Bonner Flüchtlingshilfe diesen Escape Room kreiert, in dem die Teilnehmer am eigenen Leib nachempfinden können, was Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Deutschland durchleben. Im Normalfall ist ein Escape Room Teil eines Spiels, in dem eine Gruppe von Menschen in einem geschlossenen Raum unter Zeitdruck Rätsel lösen muss. In Bonn kämpfen bis zu sechs Personen eine Stunde lang zunächst mit unverständlichen Formularen. Sie begegnen dann unfreundlichen Beamten mit Befehlston. Sie bekommen so einen Vorgeschmack auf den beklemmenden Alltag auf deutschen Ämtern und die Realität in Flüchtlingsunterkünften ohne jegliche Privatsphäre.
Initiatorin Nadja Müller de Ossio von der Bonner Flüchtlingshilfe sagt gegenüber der DW: "Wir thematisieren letztlich Angst. Und wir wollen mit diesem leicht verständlichen und attraktiven Medium Menschen anlocken, die sonst keine Berührungspunkte mit Migration, Integration und Geflüchteten haben und ihnen einen Perspektivwechsel ermöglichen. Eine Frau aus Sachsen sagte uns neulich ganz erstaunt: 'Wie sollen sich die Menschen denn so integrieren?'"
Härte statt Humanität?
Geht es nach der Politik, soll Deutschlands Aufnahme-Parcours für Migrantinnen und Migranten in Zukunft schwieriger zu durchlaufen sein - und am Ende möglichst kein Einreisestempel winken, sondern der Flug zurück ins Heimatland. So ließe sich die Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview mit dem Spiegel interpretieren. Er sagte darin: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben." Dies findet sich unter anderem auch in dem Maßnahmenpaket wieder, auf das sich Bundesregierung und Länder geeinigt haben.
Damit sollen die steigenden Zahlen bei der irregulären Migration gesenkt werden. Bis Ende Oktober haben 267.384 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. So viele wie seit September 2016 nicht mehr. 32.000 Asylanträge waren es allein im Oktober, Höchstwert für das laufende Jahr. Und dann sind da noch die über eine Million Menschen aus der Ukraine, die hierzulande als Kriegsflüchtlinge registriert sind. Viele Kommunen in Deutschland beklagen deswegen eine Überlastung.
Nadja Müller de Ossio kritisiert die Migrationsdebatte hierzulande: "Was mich wahnsinnig bei der aktuellen politischen Diskussion macht, ist, wie Geflüchtete durch Begriffe wie Obergrenze entmenschlicht werden. In Wahrheit ist es eine Scheindebatte gegen die erschreckend guten Wahlergebnisse von Parteien wie der rechten AfD. Der Weg der Integration wird damit noch ein Stück härter."
"Wir schaffen das" war einmal
Höhere Leistungsansprüche für Asylbewerber erst nach 36 statt 18 Monaten, eine Bezahlkarte statt Bargeld, verschärfte Grenzkontrollen und mehr Abschiebungen durch Migrationsabkommen. Acht Jahre nach Angela Merkels legendärem Satz "Wir schaffen das" zur deutschen Flüchtlingspolitik heißt das Motto, welches die Regierung jetzt aussendet eher: "Wir schaffen das nicht". Abschottung statt Willkommenskultur.
Die Bonner Flüchtlingshilfe gehöre nicht zu den Vereinen, die propagierten, öffnet die Grenzen, Aufenthaltserlaubnis für alle, sagt Nadja Müller de Ossio. Sie fordert einen differenzierten Blick in der Migrationsdebatte. "Es ist viel teurer, Menschen nicht gut zu integrieren, die eh' schon hier sind, und die wir zum aller größten Teil auch nicht loswerden, ob uns das nun gefällt oder nicht. Dadurch, dass wir Sozialleistungen kürzen, medizinische Versorgung erschweren oder auch Möglichkeiten für Sprachkurse kappen, werden sie nicht eher Teil der Gesellschaft."
"Toxische Debatte"
Von einer besseren Integration ist aktuell derzeit allerdings wenig die Rede, stattdessen sogar von Asylverfahren und Ankunftszentren in Drittstaaten, wie Italien dies in Albanien plant. Kritik hagelt es deswegen von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl, die sich über die Beschlüsse entsetzt zeigt.
"In Deutschland findet gerade eine sehr toxische Debatte über Flucht und Migration statt. Die Richtung ist, die eigene Verantwortung der Bundesregierung, aber auch der ehemaligen Bundesregierungen und der demokratischen Parteien nicht zu erkennen, sondern Geflüchtete als Sündenböcke für die jetzige Krise darzustellen", sagt Tareq Alaows gegenüber der DW. Er ist flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Deutschland leide unter Wohnungsnot, einem Mangel an Schul- und Kitaplätzen und fehlender Infrastruktur in den Kommunen: "Schuld daran ist aber ein Versagen in der Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte", so Alaows.
Migrationsdebatte kommt auch im Ausland an
Alaows erinnert daran, dass die deutsche Diskussion nicht nur bei Migrantinnen und Migranten hierzulande, sondern auch in den sozialen Medien im Ausland, aufmerksam verfolgt wird. Und damit auch von den Menschen, die Deutschland händeringend sucht, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Deutschland brauche 1,5 Million Zuwanderer im Jahr, um abzüglich der beträchtlichen Abwanderung die Zahl der Arbeitskräfte zu halten, hat die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer jüngst vorgerechnet.
"Personen im Ausland erzählen mir, wenn ich freiwillig irgendwohin gehen möchte, um zu arbeiten, dann würde ich nicht nach Deutschland gehen, lieber andere Länder wie Kanada oder Australien vorziehen. Dort, wo sie wie Menschen behandelt werden und keine Angst haben müssen", sagt Tareq Alaows. Und weiter: "Und einige, die seit Jahren in Deutschland leben, aufenthaltsberechtigt sind und sogar schon die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, sagen mir: Ich packe meine Sachen zusammen, diese Debatte geht mir zu weit."
Verschärfungen mit dem Grundgesetz vereinbar?
Schon jetzt ist fraglich, ob ein Vorhaben wie das der Regierung, erst nach 36 statt wie bislang nach 18 Monaten Geflüchteten Sozialhilfe zu zahlen, rechtlich überhaupt durchsetzbar wäre. Ein solche Kürzung staatlicher Leistungen könnte das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, möglicherweise kippen. In einem Grundsatzurteil hatte das Gericht schon einmal festgelegt, dass Leistungen nicht deshalb gesenkt werden dürften, um "Anreize für Wanderbewegungen" zu vermeiden. Tareq Alaows von Pro Asyl appelliert deshalb an die deutsche Politik, den Schutz der Menschenrechte in der Migrationsdebatte nicht zu vergessen. Und vor allem nicht die Forderungen der rechtspopulistischen AfD zu kopieren.
"Das ist gefährlich und zeigt, dass diese Debatte nicht mehr rational Richtung Lösungsvorschläge geht, sondern eher ein Überbietungswettbewerb ist, wer Geflüchtete noch schlechter behandeln kann, und wer die besten Ideen hat, wie man Geflüchtete ausschließt und entrechtet. Das beeinflusst natürlich die Stimmung in der Gesellschaft und führt zu noch mehr Spaltung."