Deutschland kürzt Entwicklungshilfe
20. November 2012Als Dirk Niebel Ende 2009 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurde, fand er einen Etat in Höhe von 5,8 Milliarden Euro vor. In den folgenden Jahren durfte sich der Freidemokrat (FDP) über eine kontinuierliche Erhöhung seines Haushalts freuen. Aktuell stehen ihm knapp 6,4 Milliarden Euro zu Verfügung. Der deutsche Beitrag zur offiziellen Entwicklungshilfe, der sogenannten ODA-Quote (Official Development Assistance), wuchs bis 2012 von 0,35 auf 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Doch die Zeiten steigender Etats sind vorbei. Im kommenden Jahr wird das Entwicklungsministerium sogar ein Minus von 87 Millionen Euro verkraften müssen.
Die Kürzung haben pikanterweise die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zu verantworten. Mit ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages kippten sie vor knapp zwei Wochen den Etat-Ansatz der Bundesregierung. Die wollte dem Entwicklungsministerium ein Plus von 38 Millionen Euro gewähren. Abgeordnete aus Niebels Fraktion und der Konservativen (CDU/CSU) begründeten ihre Entscheidung mit nicht benötigten Mitteln für den Europäischen Entwicklungsfonds.
Der Minister ist enttäuscht und verärgert
Projekte der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sind nach dieser Lesart nicht von Kürzungen betroffen. Aber selbst wenn diese Behauptung zutreffen sollte, muss Minister Niebel 2013 insgesamt mit weniger Geld auskommen. Betroffen sind dann zwangsläufig multilaterale Projekte und Fonds, wie sie unter anderem von der Europäischen Union (EU) betrieben werden. Niebel sprach von einer "herben Enttäuschung", vermied aber jede Kritik an seinen Parteienfreunden und am Koalitionspartner. Das Parlament habe für den Bundeshaushalt 2013 "andere Prioritäten gesetzt als die Bundesregierung, das ist zu akzeptieren".
Aber dass Niebel verärgert ist, steht außer Zweifel. Das Parlament verabschiede sich von dem international versprochenen Ziel, bis 2015 mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, stellte er lakonisch fest. Doch bei aller aus seiner Sicht verständlichen Enttäuschung ist auch Niebel klar, wie unrealistisch die 0,7-Prozent-Marke seit jeher war. Versprochen wurde sie bereits 1970, aber keine deutsche Regierung hat sie jemals auch nur annähernd erreicht. Der beste Wert wurde in den frühen 1980er Jahren mit 0,47 Prozent erreicht.
Es fehlt der politische Wille
Wenn selbst die zur Jahrtausendwende von den Vereinten Nationen (UN) beschlossenen Entwicklungsziele (Millenniumsziele) keinen Durchbruch in dieser Frage bewirken konnten, scheint in Deutschland der politische Wille zu fehlen. Dabei gibt es im Deutschen Bundestag über Parteigrenzen hinweg eine Mehrheit für die Umsetzung des 0,7-Prozent-Ziels. Im Februar 2011 haben Abgeordnete aller fünf Fraktionen den Appell "Das Ziel einhalten!" verabschiedet. Die Namen von 372 der 622 Parlamentarier stehen unter dem Aufruf, in dem eine jährliche Steigerung des Entwicklungsetats um mindestens 1,2 Milliarden Euro bis 2015 gefordert wird. Theoretisch sind also fast 60 Prozent dafür.
Praktisch hat sich Deutschland unter Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 0,7-Prozent-Ziel verabschiedet, obwohl im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP das Gegenteil steht. "Wir werden uns diesem Ziel verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushaltes annähern", heißt es da. Aber gemessen an den aktuellen Zahlen haben die oppositionellen Grünen mit ihrer Einschätzung recht: "Jetzt geht's rückwärts", lautete ihr erster Kommentar zur Kürzung des Entwicklungsetats.
Hilfsorganisationen vermissen Glaubwürdigkeit
Sollte die Umweltpartei bei der Bundestagswahl 2013 erfolgreich sein und mit den Sozialdemokraten (SPD) eine Koalition bilden, könnte sie den Trend wieder umkehren. "Wir bekennen uns zu Deutschlands internationalen Zusagen", erklärten sie nach der Kürzung des aktuellen Etats. Im nicht mehrheitsfähigen Entwurf der Grünen waren 1,2 Milliarden Euro zusätzlich vorgesehen.
Das Urteil der Hilfsorganisationen fällt einhellig aus. Die Welthungerhilfe und das Kinderhilfswerk "terre des hommes" kritisierten die Kürzung als "völlig falsches Signal" in einer Zeit mit neuen Herausforderungen. Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, verwies insbesondere auf den Klimawandel, Migration und Ressourcenverknappung. Von einem "symbolträchtigen Schritt" sprach der Dachverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen "Venro". Der Vorsitzende Ulrich Post befürchtet, dass die Bundesregierung ihre "Glaubwürdigkeit und Reputation im Ausland" verliert.