Neue Entwicklungsziele gesucht
2. Oktober 2012Bis 2015 soll die Zahl der Armen in der Welt halbiert werden, gemessen an 1990. Das ist das Kernziel der UN-Millenniumserklärung. Um dies zu erreichen, wurden acht Millenniumsentwicklungsziele (MDGs, millennium development goals) formuliert, die von der Bekämpfung von Armut und Hunger über bessere Gesundheitsversorgung bis hin zum Umweltschutz reichen. Doch heute, zwölf Jahre später, werden die Schwächen dieses Konzepts immer deutlicher: Wenn Armutsreduzierung allein wirtschaftlich definiert wird und über Wachstum erreicht werden soll, geht sie schnell zu Lasten der Umwelt. Mehr Industrie schafft zwar mehr Arbeitsplätze, verbraucht jedoch mehr Wasser, Rohstoffe und Energie und belastet Gewässer, Luft und Klima.
Die Halbierung der Armut bedeutet im Umkehrschluss, dass statistisch gesehen jeder zweite Arme auch weiterhin arm bleiben wird. Das steht im Widerspruch zu den Menschenrechten, die für alle Menschen gelten. Marianne Beisheim von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) in Berlin fordert denn auch: "Die Menschenrechte müssen Ausgangspunkt der Post-2015-Ziele sein. Es gilt, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte umzusetzen, dazu gehört auch das Menschenrecht auf Nahrung und auf Wasser."
Was kommt nach 2015?
Allerdings ist noch nicht klar, wie die Ziele für die Zeit nach 2015 aussehen sollen. Auf UN-Ebene gibt es zahlreiche Arbeitsgruppen, die sich mit diesen Fragen befassen. In einem von Generalsekretär Ban Ki Moon eingesetzten Beratergremium für die Zukunft der globalen Entwicklungsziele ist Deutschland durch Alt-Bundespräsident Horst Köhler vertreten. Parallel dazu diskutiert eine von der UN-Vollversammlung eingesetzte Arbeitsgruppe über sogenannte Nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs, sustainable development goals) - ein Konzept, dass von Kolumbien und Guatemala auf die Tagesordnung der UN-Konferenz Rio+20 gesetzt worden war.
"Anders als die MDGs, die im Wesentlichen auf die armen Länder fokussiert waren, muss es bei den SDGs darum gehen, nachhaltige Entwicklungsziele für die gesamte Welt, also auch für die Industrieländer zu definieren", fordert Thomas Hirsch, Beauftragter für Entwicklungspolitik der Hilfsorganisation "Brot für die Welt" im Gespräch mit der DW. Dabei geht es nicht allein um Armutsbekämpfung, sondern auch um soziale und ökologische Nachhaltigkeit. "Zum Bruttosozialprodukt sollte mehr gehören, als nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates", ergänzt Jörg Mayer-Ries vom Bundesumweltministerium. Er fordert eine "neue Bewertung bestimmter Leistungen, die eigentlich Kosten sind, wie die 'Leistung' zerstörte Natur wieder aufzubauen. Im Gegenzug müssten die Kosten, die der Staat für Gesundheit aufwendet, eigentlich als Leistung in die Bilanz einfließen."
Verantwortungsvoll konsumieren und produzieren
Nachhaltige Entwicklung für Industrieländer bedeutet vor allem, dass bestehende Produktions- und Konsummuster überdacht werden müssen. Viele Industrieländer haben in den vergangenen Jahren zum Beispiel ihren CO2-Ausstoß nicht nur durch modernere Technologie reduziert, sondern auch durch die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland. Und im Bezug auf den Konsum sagt Thomas Hirsch von "Brot für die Welt": "Möglicherweise wird ein Fleischkonsum auf dem Niveau, wie wir ihn heute haben, in 15 Jahren so gebrandmarkt sein, wie heute das Rauchen in geschlossenen Räumen."
Die Welternährungsorganisation FAO geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach Fleisch bis 2050 auf 570 Millionen Tonnen steigen wird. Das entspricht einer Steigerung um 70 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000. Dadurch wird das Hungerproblem in der Welt tendenziell verschärft: Das Getreide, das heute als Viehfutter verwendet wird, entspricht dem jährlichen Kalorienbedarf von 3,5 Milliarden Menschen.
Parallele Prozesse
Auf der UN-Generalversammlung im September 2013 soll das UN-Beratergremium seine Vorschläge für die Fortschreibung beziehungsweise Ausweitung der Millenniumsziele vorstellen. Gleichzeitig wird auch die SDG-Arbeitsgruppe ihre Konzepte vorlegen. Je näher die Vorschläge der beiden Gremien sich bis dahin sind, desto eher wird man sich auf die Formulierung internationaler Entwicklungsziele für die Zeit nach 2015 einigen können. Vor allem müssen die neuen, nachhaltigen Entwicklungsziele Armutsbekämpfung und Umweltschutz miteinander verknüpft werden. Die Schwellenländer müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. Und als drittes muss den armen Ländern die Teilhabe am Weltmarkt ermöglicht werden, statt sie weiterhin durch Entwicklungshilfe in neue Abhängigkeiten zu bringen.
Dazu ist die Regulierung der internationalen Finanzmärkte unerlässlich. "Es geht darum, die Wirtschaft einzubetten in Ziele für nachhaltige Entwicklung. Da stellt sich die Frage, welche neue Regeln wir für wirtschaftliches Handeln weltweit setzen müssen", gibt Marianne Beisheim von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" zu bedenken.