Russland: Riskante Einreise ins Heimatland
13. März 2024Spenden an ukrainische Organisationen, Posts und Kommentare in sozialen Netzwerken gegen den von Russland entfesselten Krieg gegen die Ukraine und "verdächtige" Visa im Reisepass - all dies können Gründe für eingehende Kontrollen und "Befragungen" von Russen bei der Einreise in ihr Heimatland sein. In einigen Fällen hat dies dazu geführt, dass gegen die Betroffenen später Strafverfahren eingeleitet wurden.
Personen mit EU- und US-Visa im Visier
Natalja (Name geändert) beispielsweise überquerte im Februar 2024 die Grenze zwischen Estland und Russland. Sie sagt, eine Grenzbeamtin habe ihren Reisepass durchgeblättert und dabei auf einer Seite ein aktuelles lettisches Visum der Kategorie "D" entdeckt. Ein Visum dieser Kategorie lässt sich vor Ort in eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis umwandeln. Daraufhin habe sich die Beamtin Natalja genau angeschaut und sie aufgefordert, ihr in einen Raum zu einer "Befragung" zu folgen. Dort, so Natalja, habe ihr ein Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Fragen gestellt. Er sei streng gewesen, habe sich nach dem Visum aus Lettland erkundigt und sie nach ihrer Haltung zur "speziellen Militäroperation" befragt - nur so darf die russische Invasion der Ukraine in Russland genannt werden.
Der FSB-Vertreter durchsuchte zudem Nataljas Telefon. "Er hat nichts Verwerfliches gefunden, hat aber die IMEI meines Mobiltelefons kopiert", sagt sie. Anhand dieser 15-stelligen Seriennummer können Telefone weltweit eindeutig identifiziert werden. Die Kontrolle dauerte ihr zufolge mehrere Stunden. Seitdem reist Natalja nur noch über Belarus nach Russland ein. An der belarussisch-russischen Grenze hätten sich die Beamten bisher weder für ihr EU-Visum noch für den Inhalt ihres Telefons interessiert.
Ermittlungen nach genauer Kontrolle
Seit 2022 führen russische Grenzbeamte regelmäßig eingehende Kontrollen bei der Ein- und Ausreise in die Russische Föderation durch. Jeder kann in Verdacht geraten. Es gibt Fälle, in denen der Grund für die Überprüfung eine ausländische Staatsbürgerschaft, eine Aufenthaltserlaubnis eines anderen Landes oder Visa westlicher Länder waren. Wenn bei einer Person etwas festgestellt wird, das aus Sicht der Beamten verwerflich ist, wird sie in der Regel wegen einer fiktiven Straftat festgenommen - wegen Fluchens an einem öffentlichen Ort, Missachtung der Aufforderungen von Polizeibeamten oder Ähnlichem. In einigen Fällen geschah dies wenige Tage nach dem Grenzübertritt.
Ein solches Vorgehen sei bei den Sicherheitskräften verbreitet, sagt der Anwalt Jewgenij Smirnow. Ihm zufolge sprechen Behördenvertreter die Einleitung eines Strafverfahrens untereinander ab, während die betroffene Person wegen "kleinen Rowdytums" festgehalten wird.
So erging es der 32-jährigen Russin Ksenia Khawana, die im Jahr 2021 die Staatsbürgerschaft der USA angenommen hatte. Bei der Einreise nach Russland im Januar 2024 wurde ihr Telefon durchsucht. Ein FSB-Vertreter entdeckte dabei eine Spende in Höhe von 51 US-Dollar, die auf das Konto der ukrainisch-amerikanischen Stiftung "Razom for Ukraine" (Gemeinsam für die Ukraine), überwiesen wurde. Dies reichte aus, um ein Strafverfahren gegen die junge Frau "wegen Hochverrats" einzuleiten. Ihr wurde vorgeworfen, auf diese Weise die ukrainische Armee unterstützt zu haben. Ihr gelang es zwar noch, bis Jekaterinburg durchzukommen, wo ihre Eltern leben. Dort wurde sie aber von einer Polizeistreife festgenommen, weil sie angeblich an einem öffentlichen Ort geflucht hatte.
Handy-Durchsuchung mit Schlagwörtern
Grenzbeamte suchen, wie der Anwalt Jewgenij Smirnow erklärt, am häufigsten in Mobiltelefonen mithilfe von Schlüsselwörtern nach Informationen. So durchforsten sie Messenger, E-Mails und SMS. In der Regel prüfen sie, ob die Person pro-ukrainischen Seiten in sozialen Netzwerken folgt und welche Telegram-Kanäle sie abonniert hat. Auch die persönliche Korrespondenz wird überprüft. In manchen Fällen haben Grenzbeamte eine Person bereits genau im Visier, wenn sie auf der "schwarzen Liste" der Sicherheitskräfte steht.
Der Betroffene kann vollkommen ahnungslos sein, dass gegen ihn bereits eine Strafverfolgung in Vorbereitung ist. So war es im Fall des amerikanischen und russischen Staatsbürgers Jurij Malew. Der 60-jährige war im Dezember 2023 nach Russland eingereist. Zwei Wochen später wurde er in St. Petersburg festgenommen und in eine Untersuchungshaftanstalt gebracht, wo ihm vorgeworfen wurde, er würde den "Nazismus rehabilitieren". Der Grund waren zwei Posts von ihm im russischen sozialen Netzwerk "Odnoklassniki", die sich gegen den Krieg in der Ukraine richteten. Eine 86-jährige Rentnerin aus St. Petersburg hatte ihn laut Akten des Strafverfahrens angezeigt.
Vorkehrungen für eine Einreise
Experten raten daher, sich vor einer Reise nach Russland einen neuen Reisepass ohne "verdächtige" Visa zu beschaffen und das Mobiltelefon und gegebenenfalls den Laptop entsprechend einzustellen. Man könnte beispielsweise für die Reise auch ein ganz neues Handy mit neuen Profilen in Messengern oder sozialen Netzwerken mitnehmen, sagt Anastasia Burakowa, die Gründerin des "Ark-Project", das im März 2022 als Reaktion auf die Ausgrenzung von Russen gegründet wurde, die mit dem Krieg gegen die Ukraine nicht einverstanden sind. "Da können Bilder kleiner Katzen drin sein oder ein Schriftwechsel mit der Mutter über völlig unpolitische Dinge", sagt sie. Man sollte die Geräte vorher entsprechend vorbereiten und mit "sicheren Inhalten" befüllen.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk