Alexej Nawalny - für ein Ziel jenseits des Horizonts
17. Februar 2024Auch wenn es um Russlands berühmtesten Oppositionspolitiker in den letzten Jahren etwas leiser geworden war: Die Nachricht von seinem Tod in der arktischen Strafkolonie Nummer drei erschüttert die Menschen in seiner Heimat. Hunderte Russinnen und Russen brachten Blumen zu den Denkmälern der Opfer politischer Verfolgungen und zeigten damit spontan ihre Solidarität mit Alexej Nawalny. Ungefährlich ist das nicht in Putins Russland, in dem Nawalny so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins war.
Alexej Nawalny - für Kremlchef Putin nur "ein Blogger"
Der Kreml reagierte prompt auf die Nachricht über Nawalnys Tod, wenn auch schmallippig: Dmitri Peskow, Sprecher von Russlands Staatschef Wladimir Putin, verwies auf Mediziner, die Nawalnys Todesursache herausfinden sollen und bestätigte damit indirekt die Todesmeldung. Vom Kremlchef selbst kam kein einziges Wort. Wladimir Putin ist dafür bekannt, Nawalnys Namen niemals in den Mund zu nehmen. Für den russischen Präsidenten blieb Russlands weltweit bekanntester Oppositionspolitiker nur "ein Blogger."
Kaum ein russischer Systempolitiker traut sich, Nawalnys Tod frei zu kommentieren. Der Vize-Chef des Außenkomitees der Staatsduma, Wladimir Dzhabarow, wies lediglich Spekulationen zurück, wonach der Oppositionelle keinen natürlichen Tods gestorben sei: "Russland hatte keinen Grund, Nawalnys Gesundheit zu schädigen, absolut nicht. Dieser Mensch saß seine Frist ab, ihm standen noch einige Jahre bevor. Ich denke, das war ein tragischer Unfall. So etwas kommt vor."
"Voreilige Schlüsse des Westens" zu Nawalnys Tod
Außenamtssprecherin Maria Sacharowa nutzte die Chance für Kritik gegen "den Westen". "Noch gibt es keine Ergebnisse der forensischen Untersuchung, dennoch zieht der Westen schon seine Schlüsse." Gemeint waren offenbar die Reaktionen zahlreicher westlicher Politiker, in denen Kritik an der russischen Politik, dem Kreml und Präsident Putin persönlich zu hören und zu lesen war.
Verhaltene Kritik in Russland selbst kam in diesem Zusammenhang nur von Eva Merkatschowa, dem Mitglied des Russischen Menschenrechtsrates. Sie vermutete, dass Nawalnys Haftbedingungen seine Gesundheit ruiniert hätten, allen voran die zahlreichen Bestrafungen des Politikers durch die Einzelhaft: "Das sind sehr harte, ja brutale Haftbedingungen."
"Unser Sohn war gesund und lebensfroh"
Die Familie von Alexey Nawalny regierte bestürzt. Während seine Frau Julia das Wort auf der Münchner Sicherheitskonferenz ergriff und Präsident Putin persönlich für den Tod ihres Mannes verantwortlich machte, postete Nawalnys Mutter Ludmila auf Facebook: "Ich möchte keine Beileidsbekundungen hören. Wir sahen unseren Sohn im Straflager, am 12. [Februar] haben wir ihn besucht. Er war am Leben, gesund und lebensfroh."
Zu Nawalnys Gesundheitszustand äußerte sich in den unabhängigen russischen Medien auch der Mediziner Alexander Polupan. Er hatte den Politiker nach dessen Vergiftung 2020 untersucht und informierte auch in den Folgejahren Nawalnys Anhänger über dessen Zustand. Die vom russischen Staatsender RT verbreitete Todesursache, ein Blutgerinnsel habe sich gelöst, klinge für ihn nicht überzeugend. "Natürlich war sein Gesundheitszustand im Großen und Ganzen schlecht, wie bei jedem Menschen, der in solchen schrecklichen Bedingungen gehalten wird. Aber irgendwie denke ich, dass dieser Grund unglaubwürdig ist."
Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann zweifelt ebenfalls daran, dass Nawalny eines natürlichen Todes starb. Im Gespräch mit der DW erinnert sie sich an eine Gerichtssitzung, an der Nawalny erst vor einigen Tagen teilnahm: "Er hatte die Stimme eines gesunden, energischen, nicht eines kraftlosen Mannes. Wenn jemand eine Lungenentzündung hat, an Herzproblemen oder Hunger leidet - das hört man. Vor einer Woche noch war er gesund und voller Kräfte. Für uns ergibt keine andere Version außer Mord einen Sinn."
Kremlkritiker erheben Vorwürfe gegen Wladimir Putin
Auch für den im Exil lebenden Oppositionspolitiker und einstigen Putin-Rivalen Michail Chodorkowski ist klar: "Unabhängig von der formellen Todesursache trägt Wladimir Putin die Verantwortung für den frühzeitigen Tod von Alexej, der ihn zuerst vergiftete und später in den Knast steckte." Derselben Meinung ist auch Lettlands Staatsprädinent Edgars Rinkevic: "Egal was man von Alexej Nawalny als Politiker halten mag, er wurde brutal ermordet vom Kreml."
Der russische Politikwissenschaftler Abbas Galjamow glaubt, nach dem Tod von Alexej Nawalny würden russische Behörden vor den Präsidentschaftswahlen auf ein Klima der Angst setzen. Der Tod des Politikers werde diejenigen einschüchtern, die sich noch trauten, gegen den Kreml aufzustehen. Galjamows Meinung nach wird Nawalnys Tod dafür sorgen, dass weniger Menschen zu den Wahlen in einem Monat gehen und dass darunter schließlich die Legitimität dieser Wahlen leiden werde. Das aber kümmere die Machthaber nicht mehr: "Sie scheren sich nicht um diese Legitimität, wie sie sich um den Kranich im Himmel nicht scheren", schreibt Galjamow im Netzwerk Telegram.
Spekulationen über Verwicklung westlicher Geheimdienste?
Die Behörden würden zunächst behaupten, Nawalnys Tod sei ein Unfall gewesen, spekuliert Politikwissenschaftler Wladimir Pastuchow ebenfalls auf Telegram. Später jedoch werde diese Version durch "er wurde von Russlands Feinden getötet" verdrängt werden. "Es wird allen Ernstes nach außen hin untersucht, ob Nawalny im Gefängnis von anderen Oppositionellen mit Unterstützung der CIA, des MI6 und des MOSSAD vergiftet wurde".
Die meisten kremltreuen Politikwissenschaftler folgen der offiziellen Version, wonach es sich beim Tod des Kremlkritikers Tod um einen Unfall handelte. Einige deuten in der Tat eine "westliche Spur" an und erinnern an die Umstände der Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow unweit des Kremls. "Jedes Mal, wenn es ein Licht am Ende des Krieges gibt oder sich unser Sieg abzeichnet, organisiert einer der westlichen Geheimdienste einen Terroranschlag oder einen seltsamen Todesfall", schreibt etwa der kremltreue Politikwissenschaftler Marat Baschirow.
Alexej Nawalny - "bis zum Schluss ein echter freier Mann"
Manche regierungsnahe Kommentatoren räumen immerhin ein, dass Nawalny ein willensstarker Mann war, der ein "russischer Mandela" hätte werden können.
Für den unabhängigen Moskauer Politikexperten Alexander Kynew blieb Alexej Nawalny bis zum Schluss ein echter freier Mann durch seine schiere Willenskraft. Mit seinem physischen Leben sei die Flucht des Oppositionellen zu Ende, aber er sei Teil der russischen Politikgeschichte geworden, schreibt Kynew in seinem Telegram-Kanal. In Zukunft würden Universitäten, Straßen und Flughäfen nach Nawalny benannt werden, ist sich Kynew sicher: "Das Leben ist immer eine Wahl." Nawalny habe sich nicht für seine Familie oder seine Karriere entschieden, sondern "für ein Ziel jenseits des Horizonts".