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Russland: Was heißt das Urteil gegen Orlow für Aktivisten?

Alexey Strelnikov
28. Februar 2024

Die Verurteilung des Menschenrechtlers Oleg Orlow hat in Russland, aber auch international für Aufsehen gesorgt. Doch trotz der Repression wollen Menschenrechtler die Arbeit fortsetzen - und sprechen von neuen Impulsen.

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Oleg Orlow in Moskau vor Gericht
Oleg Orlow in Moskau vor GerichtBild: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa/picture alliance

Zweieinhalb Jahre Lagerhaft für Kritik an Russlands Invasion der Ukraine -  Oleg Orlow, der 70-jährige Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation "Memorial", habe sich der "Diskreditierung" der russischen Armee  schuldig gemacht, befand am Dienstag ein Gericht in Moskau. In einem Artikel hatte Orlow die Invasion verurteilt und Wladimir Putins Regime als "faschistisch" bezeichnet. 

Der Urteilsverkündung wohnte Orlows Frau Tatjana Kasatkina bei, die ebenfalls vor mehr als 30 Jahren am Aufbau von "Memorial" beteiligt war. Seit Jahren versuchen die russischen Behörden, die Arbeit der 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation zu stoppen. Obwohl  "International Memorial" und "Memorial Human Rights Center" in Russland 2021 gerichtlich liquidiert wurden, führen die Aktivisten ihre Arbeit fort. Dass dies trotz des Urteils gegen Orlow auch künftig so bleibt, bekräftigte Kasatkina vor dem Gerichtsgebäude gegenüber Reportern. "Wir werden leben und hoffen, dass das, was jetzt passiert, ein Ende nimmt und dass Oleg und viele andere früher freikommen", sagte Kasatkina. Sie vermutet, dass sich das Gericht beeilt habe, das Urteil gegen Orlow noch vor den Präsidentschaftswahlen Mitte März zu verkünden.

"Faschistischer Totalitarismus"

Eingeleitet wurde das Verfahren wegen Diskreditierung der russischen Armee, weil sich Mitglieder der Bewegung "Veteranen Russlands" über einen Artikel von Orlow beschwert hatten, der unter dem Titel "Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen" auf dem französischen Portal "Mediapart" erschienen war. Darin heißt es, dass Russland infolge des "blutigen Krieges, den das Putin-Regime in der Ukraine entfesselt hat", erneut "zurück in den Totalitarismus, jetzt aber in einen faschistischen, abgerutscht" sei.

Logo der Menschenrechtsorganisation "Memorial"
"Memorial" wurde 1989 in der Sowjetunion gegründet und 2021 in Russland von den Behörden aufgelöst

Im Oktober 2023 wurde Orlow zu einer Geldstrafe von 150.000 Rubel (umgerechnet rund 1500 Euro) verurteilt, doch im Dezember wies eine Richterin an, den Prozess komplett neu aufzurollen. Während des Verfahrens las Orlow demonstrativ in Franz Kafkas Buch "Der Prozess". In seinem Schlusswort sagte er, die russischen Behörden würden die Handlung dieses Romans wiederholen: "Absurdität und Willkür, maskiert mit der formellen Einhaltung einiger pseudojuristischer Verfahren."

Fall Orlow sorgt international für Aufsehen

Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Politiker innerhalb und außerhalb Russlands fordern nun die Freilassung Orlows. Der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, nannte das Urteil "politisch motiviert". Es verstoße gegen die russische Gesetzgebung und die Verfassung des Landes. Der Vorsitzende der russischen liberalen Partei Jabloko, Nikolaj Rybakow, bezeichnete den Gerichtsentscheid als "kontraproduktiv", da er staatliche Institutionen untergrabe.

"Memorial"-Mitbegründerin Swetlana Gannuschkina glaubt, die russischen Behörden hätten gedacht, Orlow mit einer Geldstrafe zum Schweigen bringen oder zum Verlassen des Landes drängen zu können. "Aber er konnte nicht weggehen. Oleg ist vielleicht einer der wenigen, die sich selbst als Patrioten ihres Landes bezeichnen, und das bedeutet für ihn nicht nur, seine Kultur und Sprache zu lieben, sondern vor allem für Menschenrechte und Freiheit einzustehen sowie dafür zu kämpfen, die Wahrheit sagen zu können", betont sie.

Portrait von Swetlana Gannuschkina
Die Menschenrechtsaktivistin Swetlana Gannuschkina Bild: DW

Gannuschkina zufolge ist Orlows Haftstrafe ein weiterer Schlag gegen Menschenrechtler in Russland. Diese würden aber noch nicht "in den Untergrund" gehen wollen. In einigen Bereichen - wie der Hilfe für Flüchtlinge, beim Schutz von Arbeitsrechten und der Rechte Gefangener - könne man noch offen arbeiten.

Trotz der wachsenden Risiken würden sich aber immer wieder neue Aktivisten der Menschenrechtsbewegung als Freiwillige anschließen, erzählt Gannuschkina und fügt hinzu, dass diese Arbeit für einen Wandel der Gesellschaft notwendig sei. Gleichzeitig stellt sie jedoch fest, dass es möglicherweise Generationen von Russen brauchen werde, um beispielsweise die Folgen der "Speziellen Militäroperation", wie das Regime in Russland den Krieg gegen die Ukraine bezeichnet, irgendwie zu überwinden.

Neue russische Bewegungen entstehen

Der Gründer der Bewegung "Für Menschenrechte", Lew Ponomarjow, erinnert sich, dass Orlow mehr als einmal sein Leben riskiert habe. So habe er sich 1995 während der Geiselnahme durch tschetschenische Terroristen im südrussischen Budjonnowsk zusammen mit anderen Unterhändlern freiwillig als Geisel nehmen lassen, um einen Austausch von Zivilisten zu ermöglichen. "Auch in seinem letzten Wort im Prozess sprach er nicht über sich selbst, sondern über den getöteten Alexej Nawalny und andere politische Gefangene", so Ponomarjow.

Lew Ponomarjow auf ener Demonstration in Moskau (Archivbild)
Lew Ponomarjow auf ener Demonstration in Moskau (Archivbild)Bild: DW/M. Soric

Ihm zufolge gehen von den Repressionen in Russland aber auch neue Impulse für Aktivisten aus. So würden inzwischen kleinere "Volksbewegungen" die ehemaligen großen Menschenrechtsverbände ersetzen. Dazu zählte zum Beispiel die Bewegung von Frauen, deren Männer für den Krieg gegen die Ukraine mobilisiert wurden. Ponomarjow weist darauf hin, dass die neuen Strukturen ausschließlich auf private Spenden angewiesen seien, was ihre Menschenrechtsarbeit stark einschränke.

Außerdem ist Ponomarjow überzeugt, dass die zunehmenden Repressionen Ausdruck einer "hoffnungslosen Sackgasse" seien, in die sich das Putin-Regime manövriert habe. 

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk