Roger Waters wendet Konzertabsage ab
24. April 2023Die infolge von Antisemitismus-Vorwürfen gegen den Musiker geplante Konzertabsage verletze Roger Waters in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit, so die Einschätzung des Gerichts. Anhaltspunkte für strafbare Handlungen - etwa das Verwenden von Propagandamaterial und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Volksverhetzung - seien nicht ersichtlich, heißt es dazu in einer Mitteilung des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom Montag (24. April 2023).
Zwar bediene sich Waters in seiner Show "offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik", die vor dem Hintergrund des Veranstaltungsortes "als besonders geschmacklos zu bewerten sein" könne. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der rechtlichen Prüfung.
Das Konzert ist für den 28. Mai in der Frankfurter Festhalle geplant. Dort waren im November 1938 in den Tagen nach der Reichspogromnacht mehr als 3000 jüdische Männer aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet zusammengetrieben und misshandelt worden. Anschließend wurden sie in die mörderischen Konzentrationslager verschleppt.
Für die Frage, ob eine Absage des Konzerts rechtlich zulässig ist, sei allein entscheidend, "dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere", teilte das Gericht mit. Die Stadt Frankfurt kann gegen das Urteil Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen.
Stadt Frankfurt: "Israelfeindliches Auftreten"
Grund für das angedachte Konzertverbot war das "anhaltend israelfeindliche Auftreten" des Künstlers, so die Stadt Frankfurt. Waters gelte als "einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt". Auch in Köln und München war über das Verbot von Waters-Konzerten diskutiert worden. Weitere Auftritte während seiner Deutschland-Tour sind in Hamburg und Berlin geplant. In Berlin hatten sich der Antisemitismusbeauftragte und die Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin-Brandenburg für eine Absage ausgesprochen - doch alle Konzerte werden jetzt stattfinden.
Das Management wies Vorwürfe zurück, Roger Waters sei antisemitisch. Der Musiker habe "seine Anwälte angewiesen, sofort alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um diese ungerechtfertigte Entscheidung aufzuheben und sicherzustellen, dass sein grundlegendes Menschenrecht auf Meinungsfreiheit geschützt wird", hieß es Anfang April in einer Erklärung.
Sprachrohr für Russland
Der Musiker fiel in der Vergangenheit mit Nazi-Vergleichen, seiner Unterstützung der BDS-Bewegung und verschwörungstheoretischen Äußerungen auf. Am 8. Februar sprach der 79-jährige Brite, ehemaliges Mitglied der Avantgarde-Rockband Pink Floyd,auf Einladung Russlands per Videoschalte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. In seiner Rede sagte er unter anderem, er repräsentiere mit seiner Meinung mehr als die Hälfte der Menschheit. Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine sei zwar illegal gewesen, doch "nicht unprovoziert" erfolgt. Deswegen verurteile er "auch die Provokateure" - und dies ging an die Adresse Kiews - "auf das Schärfste".
Es war nicht das erste Mal, dass sich Waters öffentlich zum Ukraine-Krieg äußerte. Im September 2022 hatte er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "extremen Nationalismus" vorgeworfen und den Westen dazu aufgerufen, Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. Daraufhin erhielt er Auftrittsverbot im polnischen Krakau und wurde seitens der Stadtverwaltung zur "unerwünschten Person" erklärt.
Unterstützer der Boykottbewegung BDS
BDS steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" und ruft Musiker, Sportler, Firmen und Politiker dazu auf, nicht in Israel zu investieren oder dort aufzutreten. Im Mai 2019 stimmte der Deutsche Bundestag mehrheitlich für den Beschluss "Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen".
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sagte der "Jüdischen Allgemeinen", sie könne zwar kein Konzert verbieten, aber sie würde sich wünschen, dass Veranstalter darauf verzichteten, Konzerte mit Waters durchzuführen - "und wenn sie dennoch stattfinden sollten, dass er vor leeren Hallen spielt". Roth sagte, sie bedauere die Entwicklung des Musikers, der mittlerweile "offenkundig zu einem aktiven BDS-Unterstützer und darüber hinaus Verschwörungstheoretiker" geworden sei.
Ehemalige Bandkollegen distanzieren sich
In der Vergangenheit ließ Waters auf Konzerten Ballons in Schweineform aufsteigen, auf denen ein Davidstern abgebildet war. Auf seiner aktuellen Tour lässt er den Hinweis einblenden, Menschen, die Pink Floyd mögen, seine Politik aber ablehnten, könnten sich verziehen ("fuck off").
Zuletzt hatten sich auch seine früheren Bandkollegen, die übrigens gegen den russischen Angriffskrieg Position beziehen, von Roger Waters distanziert. Anfang Februar bezeichnete Polly Samson, die Pink-Floyd-Songwriterin und Ehefrau von Waters' ehemaligem Bandkollegen David Gilmour, Waters auf Twitter als "antisemitisch" und als "Putin-Apologeten".
Die Absage von Konzerten stößt allerdings auch auf Kritik. Einer Online-Petition, in der es heißt, diejenigen, die Konzerte absagten, sollten sich "mit ihrer eigenen Geschichte von Antisemitismus, Rassismus und Völkermord [...] befassen", haben sich Musiker wie Peter Gabriel und Eric Clapton, der US-Linguist Noam Chomsky und die Schauspielerin Susan Sarandon angeschlossen.
Die 1965 gegründete englische Gruppe Pink Floyd gehört mit Alben wie "The Dark Side of The Moon" oder "The Wall" zu den erfolgreichsten Bands der Rockgeschichte. Roger Waters stieg Mitte der achtziger Jahre aus der Band aus und verfolgt seither eine Solokarriere.
Dies ist eine aktualisierte Fassung des Artikels vom 9. Februar 2023.