Deutsch-Israelische Literaturtage
13. April 2014Schwindet die Bedeutung der Religion in der modernen, aufgeklärten Welt? Zahlreiche Theoretiker haben das erwartet - die Realität hat sie Lügen gestraft. Denn Religion hat offenkundig immer noch Kraft. Wie kann die moderne, säkulare Gesellschaft daran teilhaben? Und kann vielleicht die Literatur den Weg ebnen?
Die Heinrich-Böll-Stiftung und das Goethe-Institut bringen seit 2005 Schriftsteller aus Deutschland und Israel zusammen, abwechselnd in Berlin und Tel Aviv. Zur Jubiläumsveranstaltung (05.-13.04.2014) ist Berlin an der Reihe - ein geeigneter Ort zur Ortsbestimmung für Religion und Glaubensfragen. Schließlich leben hier schätzungsweise bis zu 20.000 junge Israelis. Zudem ist hier die größte jüdische Gemeinde Deutschlands ansässig - und das in einer Stadt, in der sich nur noch rund ein Drittel der Bewohner zu irgendeiner Religion bekennen.
Von Sünden und Todsünden
Eva Menasse zeigt, dass die Literatur ein Weg ist, sich auch als nichtreligiöser Mensch mit Gott und Glaubenstraditionen auseinanderzusetzen. In ihrem Buch "Lässliche Todsünden" - schon der Titel ist ein Spiel mit dem eigentlich bitterernsten Konzept der Sünde - erzählt sie Geschichten rund um die traditionellen sieben Todsünden. Wollust, Völlerei, Zorn, Hochmut sind für Menasse Worte "wie Glockenschläge - oder auch wie Hackebeile". Sie hätten sie gerade als Schriftstellerin gereizt, die sich bewusst von ihrer katholischen Herkunft gelöst hat, sagt sie. Denn auch wenn man ohne Gott über Sünde rede, bleibe immer noch die Überschreitung von Grenzen, mit der sich auch heute alle Menschen auseinandersetzen müssten.
"Es gab Rezensenten, die sagten: 'Das mit den Todsünden hätte sie sich sparen können, die Erzählungen sind ganz schön'", erzählt Eva Menasse. "Aber ich hab sie nur deswegen geschrieben, weil meine ganze künstlerische Inspiration daher gekommen ist, aus diesem Nachdenken über Gott - Gottesbegriff, Sünde, Sündenbegriff."
Warum ausgerechnet über die Bibel?
Nichtreligiös über Religion zu schreiben, ist durchaus eine Herausforderung - für die Gläubigen ebenso wie für die scheinbar so aufgeklärten Nichtgläubigen. Das erlebte der israelische Autor Meir Shalev direkt auf dem Podium der Literaturtage: Warum nur schreibe ein erfolgreicher Autor wie er über die Bibel, wurde er gefragt. Er habe doch so viel anderes, mit dem er sich beschäftigen könne! Seine Antwort: "Ich liebe die Bibel, seit ich ein kleines Kind bin." Shalevs ebenfalls säkularer Vater habe ihm die Bibel von klein auf vermittelt. Und genau das sei wichtig, sagt er: dass Kinder gerade in Israel die Bibel auch als Grundlagentext von Staat und Gesellschaft kennenlernen. "Es gibt viele, die glauben, dass die Bibel den Religiösen gehört. Aber man sollte doch seinen kulturellen Hintergrund kennen." In seinem Buch "Aller Anfang" erkundet Meir Shalev erste Male in der Bibel: erste Liebe, erstes Lachen, erste Küsse.
Die Bibel und die Sünde - zwei Eckpunkte in der weltlichen Auseinandersetzung mit religiöser Tradition: Was das christliche Konzept der Todsünde heute bedeuten könnte, darüber hat Aviad Kleinberg nachgedacht. Er bezeichnet sich ausdrücklich als säkularen jüdischen Religionswissenschaftler. Christen, sagt er, seien in der jüdischen Tradition nicht als Mitschöpfer vorgesehen. Sünde werde da zum kreativen Akt, denn sie verändere die Welt. "Die Juden können Gott rügen und gegen ihn vor Gericht ziehen", so Kleinberg. "Denn es gibt etwas, das über Gott steht: die Gerechtigkeit. Das ermöglicht das Zusammenleben mit Gott." Schwierig sei nicht die Rede von der Sünde, sondern die religiösen Institutionen, die dieses Konzept in ganz konkrete Verbote umsetzen.
Religion als Schicksal
"Diese Vorstellung der Vertragsbindung finde ich sensationell", meint die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. In der Diskussion mit Kleinberg zeigt sie sich sehr aufgeschlossen für den Vergleich der Religionen in ihren Stärken und Schwächen. Schließlich ist auch sie studierte Religionswissenschaftlerin, versteht sich jedoch als religiös gebundenen Menschen. Für sie hat aber das Vergleichen deutliche Grenzen: "Mir sind Leute suspekt, die ihre Religion wählen. Das finde ich lächerlich. Für mich gilt es immer, eine Haftungsenergie zu entwickeln, in den unmöglichen Konstellationen, in die man hineingeboren ist. Ich finde, die Protestanten sind wirklich am Ende, in vielerlei Hinsicht - schlimmer geht's nicht in der Anpassungsfähigkeit. Aber ich werde trotzdem nicht zum Katholizismus überwechseln." Religion als Schicksal? Ihr israelischer Gesprächspartner verstand diese Entschiedenheit nicht.
Identität, Wunder, Versuchung, Fundamentalismus und der Tod als letzte Grenze - die Themen der Deutsch-Israelischen Literaturtage sind weit gefasst. Und sie zeigen sehr eindrücklich, dass die Literatur sehr wohl ein Ort sein kann, an dem Religiosität auch für weltliche Menschen verhandelt wird. Diese Möglichkeiten müssen sich die Literaten immer wieder gegen Skepsis von allen Seiten erkämpfen. Dass allerdings aus diesen Debatten tragende Wertkonzepte für eine Gesellschaft entstehen – das bleibt wohl doch eher eine Sehnsucht.