Die neue Dimension des Rechtsterrors
20. Februar 2020Der Täter schoss in zwei Shisha-Bars in Hanau bei Frankfurt um sich, tötete neun Menschen und verletzte mehrere. Dann soll er seine Mutter und sich selbst getötet haben. In einem Video hatte der Mann zuvor rassistischen Hass und Verschwörungstheorien verbreitet. Tobias R. war den Behörden bislang nicht aufgefallen, wie der hessische Innenminister Peter Beuth sagte. Ob er Kontakt zu anderen Rechtsterroristen hatte, ob er die Tat schon lange geplant hatte, all das versucht die Bundesanwaltschaft nun zu ermitteln.
Klar ist: Die Gefahr durch rechten Terror hat in Deutschland zuletzt zugenommen. Das Bundeskriminalamtes (BKA) stuft aktuell rund 60 Personen als Gefährder ein, die rechtsextremem Gedenkengut schwere Gewalttaten bis hin zu Anschlägen folgen lassen könnten. Seit 2012 habe sich die Zahl der rechtsextremistischen Gefährder damit verfünffacht, sagte eine BKA-Sprecherin dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland".
Von der Fantasie zur Tat
Wie groß das Bedrohungspotenzial insgesamt ist, lässt eine Zahl aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht erahnen: Demnach gelten 12.700 Rechtsextremisten als "gewaltorientiert". Ihre Kommunikation findet mehr denn je im Internet statt. Der virtuelle Raum wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Eine jüngst ausgehobene Terrorzelle hat sich nach bisherigem Erkenntnisstand nicht zuletzt im Netz radikalisiert. Das gilt auch für Stephan B., der im Oktober 2019 in der Synagoge von Halle (Sachsen-Anhalt) ein Massaker anrichten wollte.
In ihrem Kampf gegen politische und religiöse Extremisten stehen die Sicherheitsbehörden vor zwei großen Problemen: Wer lässt seinen Gewaltphantasien Taten folgen und wer steckt überhaupt dahinter? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch der Staatsanwalt Christoph Hebbecker von der Zentral- und Anlaufstelle Cybercrime in Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Seit Februar 2018 habe es rund 1000 Strafanzeigen gegeben, die überwiegend dem rechten Spektrum zuzuordnen seien, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Etwa jede zweite Anzeige mündete in ein Ermittlungsverfahren. Das Problem: Es gelingt nur selten, "die Leute aus der Anonymität zu holen".
Razzien gegen mutmaßliche Terrorgruppe
Erst am Freitag vergangener Woche hatte die Polizei bei einer Razzia eine rechte Terrorgruppe ausgehoben. An 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt durchsuchte sie die Wohnungen von 13 Personen. Vier mutmaßliche Terroristen und acht mutmaßliche Unterstützer wurden in Untersuchungshaft genommen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft ihnen vor, sie hätten "bürgerkriegsähnliche Zustände" herbeiführen wollen. Und zwar durch "noch nicht näher konkretisierte Anschläge" auf Politiker, Asylsuchende und Muslime.
Auf den ersten Blick spricht vieles dafür, dass Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft gerade noch rechtzeitig einer zu allem entschlossenen Terrorgruppe das Handwerk gelegt haben. Allerdings steht den Ermittlern der wichtigste Teil ihrer Arbeit noch bevor: den dringenden Tatverdacht so überzeugend zu belegen, dass die Beschuldigten angeklagt werden können.
Der Prozess gegen Franco A. hat noch immer nicht begonnen
Wie schwierig das sein kann, zeigt der spektakuläre Fall des vom Dienst suspendierten Bundeswehrsoldaten Franco A. Der Oberleutnant saß 2017 wegen der Vorbereitung einer "schweren staatsgefährdenden Gewalttat" sieben Monate in Untersuchungshaft. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, Anschläge auf bekannte Politiker geplant zu haben. Darunter der heutige deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) und die Vize-Präsidentin des Bundestags, Claudia Roth (Grüne).
Doch obwohl der Angeklagte nachweislich Waffen und Sprengstoff gehortet hatte und die Namen potentieller Opfer bekannt gewesen waren, lehnte es das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zunächst ab, das Strafverfahren gegen Franco A. zu eröffnen. Begründung: "kein hinreichender Tatverdacht". Zwar attestierte das OLG dem mutmaßlichen Rechtsextremisten eine "nationalistische, völkische und antisemitische Einstellung", hielt es aber gleichzeitig für "hoch wahrscheinlich", dass er zu den geplanten Anschlägen "noch nicht fest entschlossen war". Nach einer erfolgreichen Beschwerde des Generalbundesanwalts muss sich Franco A. nun aber doch wegen Terrorverdachts vor dem Frankfurter OLG verantworten. Wann der Prozess beginnt, ist noch offen. Das Tauziehen um die strafrechtliche Einordnung dieses Falles belegt indes anschaulich, wie hoch die juristischen Hürden in Deutschland trotz zahlreicher Gesetzesverschärfungen sein können. Deshalb ist es keineswegs sicher, dass die seit einigen Tagen inhaftierten zwölf Terrorverdächtigen am Ende auch angeklagt werden können.
Bundesregierung will Hasskriminalität schärfer bestrafen
Zumindest die Hasskriminalität im Internet könnte allerdings schon bald härter bestraft werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Bundesregierung am Mittwoch vorgelegt. Sollte das Parlament mehrheitlich zustimmen, und davon ist auszugehen, können Mord- und Vergewaltigungsdrohungen im Netz künftig mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden. Bislang ist es maximal ein Jahr. Noch strenger sollen Diffamierungen und Anfeindungen von Kommunalpolitikern bestraft werden können: mit bis zu fünf Jahren hinter Gittern müssen die Täter dann rechnen.
Diese geplante Verschärfung ist eine Reaktion auf die zunehmenden Bedrohungen von Politikern via Internet. So erging es auch dem Christdemokraten Walter Lübcke im Regierungsbezirk Kassel (Bundesland Hessen), bevor er im Juni 2019 von einem mutmaßlichen Rechtsextremisten vor seinem Haus erschossen wurde.
Das Bundeskriminalamt rüstet sich gegen Rechtsextremismus
Mehr Erfolge gegen Hasskriminalität erhofft sich die Politik auch von einer Meldepflicht für Internet-Unternehmen wie Facebook, wenn sich auf ihren Plattformen Volksverhetzung und Neonazi-Propaganda abspielt. Zentraler Empfänger solcher Meldungen soll das Bundeskriminalamt (BKA) sein. Dessen Präsident Holger Münch ist gerade dabei, seine Behörde stärker denn je auf den Kampf gegen Rechtsextremisten einzuschwören.
Die in Köln ansässige Zentral- und Anlaufstelle Cybercrime arbeitet eng mit Medien zusammen, aber auch mit dem Verband der Internetwirtschaft (eco). Dank dieser Kooperation konnten innerhalb von zwei Jahren rund 130 Verdächtige aus ganz Deutschland und teilweise aus dem Ausland identifiziert werden. Wie oft die Ermittlungen zu einer Anklage geführt haben, weiß Staatsanwalt Hebbecker allerdings nicht. In den Strafverfahren seines Bereiches sei ihm aber kein Urteil bekannt, bei dem die Angeklagten eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung erhalten hätten. Meistens hat es die ZAC NRW mit Einzeltätern zu tun. Darunter "einschlägig" bekannte, aber auch solche, "die noch nie in einer Akte aufgetaucht sind". Hebbecker kann dahinter noch keine "großen, organisierten Strukturen" erkennen. Eine Erfahrung verblüfft den Kölner Staatsanwalt besonders: Oft habe er es mit Leuten zu tun, bei denen eine "klar rechte Gedankenwelt" zu erkennen sei, die sich selbst aber nicht als rechtsextrem wahrnähmen.
Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt
Auch das von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Januar angeordnete Verbot der Neonazi-Gruppe "Combat 18" soll als Signal der Entschlossenheit verstanden werden. Ob die Radikalisierung der Szene mit all den Maßnahmen gestoppt werden kann, ist jedoch fraglich. Nach dem Auffliegen der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) 2011 glaubte man in Deutschland, das Schlimmste hinter sich zu haben. Zehn Menschen hat der NSU erschossen, darunter neun Migranten.Doch dem Entsetzen über die jahrelang unaufgeklärte Mord-Serie folgte 2015 mit dem Beginn der Massenflucht von Bürgerkriegsflüchtlingen nach Deutschland eine Hass- und Gewaltwelle ungekannten Ausmaßes. Im Sommer 2018 wurde die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine abschreckende Wirkung, so scheint es, hat auch dieses Urteil nicht entfaltet.